Wissenschaft

#Alte DNA enthüllt Herkunft der Indo-Europäer

Das nomadische Steppenvolk der Jamnaja gilt als ein Vorfahre der heutigen Europäer und Begründer aller indogermanischen Sprachen. Wie genau sich die Jamnaja-Kultur und ihre Sprache in der Bronzezeit entwickelt und verbreitet hat, war jedoch bislang unklar. Nun haben zwei Forschungsteams die DNA von über 400 Menschen untersucht und aus ihrer Verwandtschaft die Geschichte der Jamnaja rekonstruiert. Demnach verlief sowohl die Entstehung als auch die Verbreitung dieser Kultur komplexer als bislang angenommen. Erstmals gibt es auch Belege, dass Jamnaja und Menschen in Anatolien sowie deren Sprachen einen gemeinsamen Vorfahren hatten – die Kaukasus-Wolga-Linie und deren Proto-Indo-Anatolische Sprache, wie die Teams in „Nature“ berichten.

Die Kultur der Jamnaja oder Jamna gelten als einer der Vorfahren der heutigen Europäer. Die Reiternomaden lebten zur Bronzezeit in den Steppen Eurasiens, nördlich des Schwarzen und Kaspischen Meeres. Ab etwa 3100 vor Christus fingen sie an, nach Osteuropa sowie Zentralasien zu migrieren und bewohnten bis etwa 1500 vor Christus schließlich ein Areal von Ungarn bis Kasachstan. Die Einwanderung der Steppennomaden nach Europa ist das bedeutendste demografische Ereignis der letzten Jahrtausende. Denn dabei brachten die Jäger, Sammler und Viehzüchter nicht nur ihre Nutztiere und ihre DNA mit, die in das Erbgut der späteren Europäer einfloss, sondern auch ihre Kulturtechniken und vor allem ihre Sprache.

Diese gilt als der Grundstein aller heutigen indogermanischen Sprachen. Dazu zählen über 400 einzelne Sprachen sowie große Sprachfamilien wie die germanischen, romanischen, slawischen, baltischen, keltischen und indo-iranischen Sprachen. Fast die Hälfte der Weltbevölkerung spricht daher heute eine Sprache, die auf das Proto-Indo-Europäisch der Jamnaja zurückgeht. Doch wo die Jamnaja genau aus Eurasien herkamen, war trotz intensiver historischer und linguistischer Forschung bislang unklar.

Foto eines Grabes in Remontnoye
Foto eines Grabes in Remontnoye, einem Dorf zwischen dem unteren Don und dem Kaspischen Meer, mit spiralförmigem Tempelring aus Bronze aus der Zeit zwischen 3766 und 3637 vor Christus. © Natalia Shishlina, CC BY

Ursprung der Jamnaja liegt zwischen Kaukasus und Wolga

Um das herauszufinden, haben Forschende um Iosif Lazaridis von der Harvard University nun alte DNA ausgewertet. Die Proben stammen aus den Gebeinen von 435 Menschen, die einst in oder nahe der Pontisch-Kaspischen Steppe in der heutigen Ukraine oder Russland gelebt haben. Die alte DNA wurde aus Gräbern sowie archäologischen Stätten von menschlichen Siedlungen geborgen, die zwischen 6400 und 2000 vor Christus bewohnt waren. Diese genetischen Daten verglichen Lazaridis und seine Kollegen mit geografischen und anderen archäologischen Hinweisen – darunter die Position der Toten, Grabbeigaben und Aussehen der Gräber – und rekonstruierten daraus die Entstehungs- und Verbreitungsgeschichte der Jamnaja.

Die Analysen legen nahe, dass die Jamnaja nicht wie bisher angenommen aus zwei, sondern aus drei verschiedenen Untergruppen hervorgegangen sind, die sich genetisch vermischten. Einige ihrer Vorfahren lebten demnach zur Kupfersteinzeit, zwischen 4500 und 3500 vor Christus, in der Gegend zwischen dem Kaukasus und der unteren Wolga, andere an der oberen Wolga in Russland oder am Dnipro in der Ukraine. Es ist das erste Mal, dass eine solche Kaukasus-Wolga-Linie beschrieben und belegt werden kann, wie das Team erklärt. Zu etwa 80 Prozent begründeten diese Menschen die Jamnaja, zu etwa zehn Prozent trugen sie in der Bronzezeit aber auch zur Entwicklung der Völker in Anatolien in der heutigen Türkei bei, wie das Team feststellte. Dazu zählen auch die Hethiter, deren Sprache linguistisch eigenwillig ist und daher bislang als einzige indogermanische Sprache nicht als Erbe der Jamnaja betrachtet wurde. Die neuen Analysen beweisen jedoch nun, dass auch die Hethitische Sprache ihren Ursprung in der eurasischen Steppe hat. Ihre deutlichen Unterschiede zu anderen indogermanischen Sprachen entstanden dadurch, dass sich diese Sprache schon sehr früh von den anderen abspaltete, wie Lazaridis und seine Kollegen erklären.

Diese Kaukasus-Wolga-Linie stellt demnach die gemeinsamen Vorfahren der Indo-Europäer beziehungsweise Jamnaja und der Anatolen dar und ihre Proto-Indo-Anatolische Sprache den Vorläufer der beiden Sprachgruppen Indo-Europäisch und Indo-Anatolisch, schließen die Forschenden. Diese Vorfahren lebten wahrscheinlich zwischen 4400 und 4000 vor Christus in den eurasischen Steppen zwischen den Bergen des Kaukasus und den Flüssen Wolga und Dnipro, breiteten sich von da aus aber in alle Richtungen aus und mischten sich mit den örtlichen Jägern, Sammlern und Bauern zu neuen Gruppen und Kulturen.

Drei Migrationswellen nach Westen

Um die Herkunft und Entwicklung der Jamnaja noch besser zu verstehen, untersuchte ein zweites Forschungsteam um Alexey Nikitin von der Grand Valley State University in Michigan 81 der 435 alten DNA-Proben detaillierter, die aus der heutigen Ukraine und umliegenden Ländern stammen. Aus diesen DNA-Sequenzen schließen Nikitin und seine Kollegen, dass die Jamnaja und ihre Vorfahren sich in drei Wellen im westlichen Eurasien ausbreiteten. In der ersten Welle mischten sich um 4500 vor Christus Vertreter der Kaukasus-Wolga-Linie mit mehreren örtlichen Jägern und Sammlern. Eine Mischung der Kaukasus-Wolga-Linie und der Dnipro-Linie führte um 4000 vor Christus dann zur Begründung der sogenannten Kern-Jamnaja. Diese Subgruppe lebte vor allem in der Gegend um Mychajliwka in der Ukraine – „wahrscheinlich ein Epizentrum der Jamnaja-Bildung“. Von dort stammen auch die ältesten DNA-Proben einer Person der Jamnaja-Kultur (circa 3635-3383 vor Christus).

Foto eines Grabes der Jamnaja in Tsatsa
Foto eines Grabes der Jamnaja in Tsatsa in der Nordkaspischen Steppe (I6919) aus der Zeit zwischen 2847 und 2499 vor Christus. © Natalia Shishlina

Diese Subgruppe war es, deren Population außergewöhnlich stark stieg und die kulturelle Innovationen hervorbrachte, wie die Forschenden erklären. Von Mychajliwka aus breiteten sich die Kern-Jamnaja dann nachfolgend innerhalb kurzer Zeit mit Pferdewagen weiter Richtung Westen aus, aus der Steppe heraus, und mischten sich dabei mit der lokalen Bauernbevölkerung. Wegen ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit dominierten die Jamnaja dabei die genetische und sprachliche Entwicklung. „Der integrative Charakter dieser Gemeinschaften, gepaart mit ihrer bemerkenswerten Mobilität, trug zweifellos zum Erfolg der Jamna bei, ihre indoeuropäische Sprache und Kultur über geografische und Bevölkerungsgrenzen hinweg zu verbreiten“, schreibt das Team. Selbiges galt für die dritte, die Hauptwelle der Westmigration der Jamnaja aus den eurasischen Steppen ab etwa 3300 vor Christus, wie die Forschenden ermittelten. Doch nicht alle Jamnaja aus dieser dritten Welle mischten sich mit den lokalen Anwohnern, so dass in manchen Gegenden phasenweise zwei Kulturen parallel existierten.

Zusammen liefern die beiden Studien wichtige neue Hinweise, wie die Kultur der Jamnaja entstanden ist und wie sie sich auf die Nachfahren in Europa auswirkte. Die Entdeckung der Kaukaus-Wolga-Linie (CLV) als Vorfahren der Jamnaja schließt auch eine Lücke in der Entwicklung der indogermanischen Sprachen. „Die Entdeckung der CLV-Population als fehlendes Glied in der indoeuropäischen Geschichte markiert einen Wendepunkt in der 200 Jahre alten Suche nach der Rekonstruktion der Ursprünge der Indoeuropäer und der Routen, über die sich diese Menschen über Europa und Teile Asiens ausbreiteten“, erklärt Co-Autor Ron Pinhasi von der Universität Wien.

Quellen: Iosif Lazaridis (Harvard University) et al.; Nature, doi: 10.1038/s41586-024-08531-5 und Alexey Nikitin (Grand Valley State University) et al.; Nature, doi: 10.1038/s41586-024-08372-2

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