#Atemberaubender Bilderrausch: Ungewöhnlicher Fantasy-Film erweckt Märchen-Bösewichtin zum Leben und es wird richtig düster

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Das Märchen Die Schneekönigin zählt zu den längsten und komplexesten Werken des renommierten dänischen Dichters Hans Christian Andersen. Aus dessen Feder stammen Klassiker wie Die Prinzessin auf der Erbse und Die kleine Meerjungfrau. Im ungewöhnlichen Fantasy-Drama The Ice Tower von Regisseurin Lucile Hadzihalilovic ist es die Lieblingsgeschichte der jungen Hauptfigur Jeanne – die plötzlich selbst in die magische Welt des Märchens einzutauchen scheint und auf eine sehr reale Schneekönigin trifft.
Der Film, der im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale läuft, gestaltet dieses Aufeinandertreffen als schlafwandlerische Entdeckungsreise, die irgendwann sprachlos macht. Wenn man langsame Filme nicht mit langweiligen Filmen gleichsetzt.
Besonderer Fantasy-Trip fühlt sich wie ein endloses Taumeln durch die Nacht an
In The Ice Tower klammert sich die 16-jährige Hauptfigur an Andersens Märchen, als wäre es die kraftvollste Geschichte der Welt. Womöglich spendet ihr die Erzählung Trost und Hoffnung, um dem Alltag des kleinen Waisenhauses zu entfliehen, in dem Jeanne in den 70ern im Tal über einer französischen Stadt lebt.
Eines Tages, während der verschneiten Weihnachtszeit, flüchtet sie und stürzt aus dem eisigen Hang in eine neue Welt, die Lucile Hadzihalilovic mit leicht entrücktem Realismus in Szene setzt. Wie Jeanne (Clara Pacini) in der Nacht völlig orientierungslos durch diesen Ort wandert, gleicht einer schlaftrunkenen Trance – und gibt das stark entschleunigte Erzähltempo für den Rest der Handlung vor.
Auf einem Filmfestival wie der Berlinale können Werke wie The Ice Tower Fluch oder Segen sein. Wenn man Tag für Tag mit unterschiedlichsten Eindrücken im Kino bombardiert wird, ist Hadzihalilovics Film vielleicht ein Geduldstest, bei dem einem mehrfach die Augen zufallen. Die meditative, einlullende Sogwirkung von The Ice Tower kann aber auch wohlige Entspannung auslösen, die einem den Berlinale-Tag rettet.
Wie ein magischer Rettungsanker erscheint auch der Zufluchtsort, an dem sich die Protagonistin von The Ice Tower schließlich verirrt. Jeanne findet sich in einem Gebäude wieder, das sich als Filmstudio entpuppt, in dem ausgerechnet eine Adaption des Andersen-Märchens gedreht wird.
Die Regisseurin nimmt sich rund eine Stunde Zeit, um zu beobachten, wie sich die Hauptfigur in und um das Set herum schleicht. Wenn Jeanne als Statistin selbst Teil der Inszenierung wird, rutscht The Ice Tower wie die Hauptfigur zu Beginn ab. Was folgt, ist ein sinnlich-düsterer Tanz zwischen Filmkulisse, Vorstellungskraft und Märchenwelt.
Marion Cotillard glänzt in The Ice Tower als menschgewordene Fantasy-Bösewichtin
Zum Fixpunkt entwickelt sich darin Marion Cotillard als Schauspielerin Cristina Van Der Berg. Sie ist nicht nur als Schneekönigin besetzt, sondern tritt auch hinter der Kamera als über den Dingen schwebende Erscheinung auf. Cristina spricht von ihrer Rolle als Tyrannin und Monster und der Film bleibt unklar darüber, ob sie sich diese Charakterzüge beim Dreh einverleibt hat oder schon mit den besten Voraussetzungen angetreten ist.
Cotillard, die durch Filme wie La Vie en rose zu den begnadetsten französischen Schauspielerinnen gehört, spielt Cristina als zerbrechliche Diva. In einem Moment wirkt sie seltsam verletzlich, wenn der deutsche Schauspielstar August Diehl als Arzt Max auftaucht und ihr eine geheimnisvolle Substanz injiziert. Im anderen Moment sitzt Cristina vor den Testaufnahmen des Films wie eine eisige Grande Dame, die nie zufriedenzustellen ist.
Als menschgewordene Fantasy-Bösewichtin wird sie für Jeanne Obsession und Gefahr zugleich. Ihr gegenüber ist Cristina fehlende Mutterfigur und Märchen-Projektion in einer Person. Dabei spielt Hadzihalilovic mit der Frage, ob diese Schneekönigin genauso wie die Figur aus Andersens Vorlage ein Opfer von allen fordert, die ihr Herz an sie verlieren.
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Im Märchen des Dänen sucht das kleine Mädchen Gerda nach ihrem verschwundenen Spielgefährten Kay, der von der Schneekönigin entführt wurde. Daraus entwickelt sich ein finsteres Abenteuer, an dessen Ende die Figuren als Erwachsene heimkehren.
Für The Ice Tower sucht die Regisseurin lieber nach filmischen Anknüpfungspunkten, wenn Jeanne neugierig wie Amélie durch Löcher in der Wand blickt, wie Winona Ryder in Tim Burtons Edward mit den Scherenhänden durch die winterliche Landschaft wandert und an Grenzen stößt, hinter denen sich Alice im Wunderland zu verbergen scheint.
Am Ende blickt man auf The Ice Tower wie ein Kind auf eine der Schneekugeln, in denen nach dem Schütteln die weißen Kügelchen ganz langsam auf eine Miniatur-Landschaft rieseln. Seltsam fasziniert und voller entspanntem Glück.
Wir haben The Ice Tower im Rahmen der 75. Berlinale gesehen, wo der Film im Wettbewerb läuft. Einen deutschen Kinostart hat er noch nicht.
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