#Auf dem Oktoberfest: Illusionstheater Corona
Inhaltsverzeichnis
„Auf dem Oktoberfest: Illusionstheater Corona“
Viele Dinge lernt man erst zu schätzen, wenn sie nicht mehr da sind. Beim Oktoberfest ist es anders. Es ging zwei Jahre sehr gut ohne Wiesn-Grippe und schlecht eingeschenkte Maßen, zumindest für alle, die nicht ihr Geld damit verdienen. Aber jetzt, da das Fest wieder da ist, merkt man doch, dass es gefehlt hat, irgendwie.
Unter den gesellschaftlichen Vegetationszonen ist das Oktoberfest der Regenwald, eine Welt wie ein Wimmelbuch, in der es kreucht und fleucht und flirrt. Das Leben besteht ja überwiegend aus Sich-zusammenreißen und Dranbleiben, hier kann man für ein paar Stunden loslassen.
Wer einmal miterlebt hat, wie Fremde nach der ersten, maximal zweiten Maß, ohne sich der kulturellen Aneignung verdächtig zu machen, Arm in Arm auf Bierbänken schunkeln, ahnt, wozu der Mensch im Guten fähig sein könnte. „Wer tanzt, prügelt nicht“, sagte dieser Tage die gut gelaunte Münchner Polizei.
Hier ist Bayern wirklich eine Benchmark
Andererseits ist der Firnis der Zivilisation auf dem Festgelände traditionell besonders dünn. Das sieht man nach dem letzten Ausschank, wenn derangierte Männer durch die Zelte irren, um schale Bierreste in herrenlosen Krügen abzustauben. Umso erstaunlicher ist es, dass es der Stadt immer wieder gelingt, das Fest ohne größere Vorkommnisse und in Würde über die Bühne zu bringen. Hier ist Bayern wirklich, was es bisweilen nur vorgibt zu sein: eine Benchmark.
Dieses Jahr sind sichtlich weniger Leute gekommen als vor der Pandemie. Das mag am durchwachsenen Wetter gelegen haben, an der Angst vor einer Ansteckung, an Reisehindernissen für Asiaten, an Geldsorgen angesichts von Inflation und Energiekrise, an mieser Laune angesichts von allem. Es muss aber nicht schlecht sein, wenn sich die Grenzen des Wachstums auch auf dem Oktoberfest manifestieren, schon gar nicht für Familien und Einheimische, die dort einfach nur einen entspannten Nachmittag verbringen wollen.
Dass man sich um die Marke keine Sorgen machen muss, zeigen die vielen Influencer, die oft nur für eine halbe Stunde ins Zelt gehen, für die sozialen Medien Ausgelassenheit mimen und dann wieder abdampfen. Das ist unwirklicher als jede Geisterbahn. Nicht viel anders verhalten sich die Politiker. Markus Söder glaubt, dass seine Wahlchancen mit jedem Bad in einem Festzelt steigen. Und selbst die vorsichtigen Grünen, die unter Maßhalten gewiss nicht das Halten von Maßen verstehen, waren auf der Wiesn präsent, ohne Maske.
Illusionstheater entlarvt Illusionstheater
Ausgerechnet das Illusionstheater Oktoberfest hat den Umgang der Politik mit Corona vollends als Illusionstheater entlarvt. Hier wurde nur besonders konsequent praktiziert, was längst unausgesprochene Regierungspolitik ist: Man lässt die Sache laufen. Ist das zu verantworten? Es gab dieses Jahr schon andere große Volksfeste. Die Infektionszahlen stiegen danach, die Krankenhäuser kamen damit klar. Gilt das auch fürs Oktoberfest, das von Virenwirten aus aller Welt besucht wird?
Seit die Pandemie ihren Schrecken verloren hat oder dieser durch andere, noch größere Schrecken verdrängt wurde, sind beim Umgang mit ihr gesundheitliche Aspekte in den Hintergrund getreten. Es geht vermehrt um die Frage: Wie wollen wir leben, welchem Bild von uns selbst wollen wir entsprechen? So gesehen war es sich München wohl schuldig, nicht wieder auf Nummer sicher zu gehen.
Die Zweifel sind geblieben, nicht nur wegen der Pandemie. Der Oberbürgermeister fragte sich, ob man in München, einer Partnerstadt Kiews, feiern sollte, während nur 2000 Kilometer entfernt ein mörderischer Krieg tobt. Die Antwort ist Ja.
Pietät hilft keinem in der Ukraine, sie ist allenfalls ein Vorwand fürs Nichtstun. Menschen müssen feiern, wahrscheinlich brauchen sie auch Debatten über Harmlosigkeiten wie den Song „Layla“, weil sie sich nicht permanent mit den wirklichen Problemen beschäftigen können. Das zeigen ja auch Bilder aus der Ukraine, wo Menschen weiterhin in Cafés oder zum Baden gehen.
In Deutschland wird trotzdem ständig Alarm geschlagen, als wären auch wir schon im Krieg. Leute finden alles Mögliche unerträglich und unfassbar und fordern andere auf, es ihnen gleichzutun. Die Zeiten sind ohne Zweifel übel. Aber viele unterschätzen die Kraft demonstrativer Normalität und Gelassenheit.
Auch die sind nämlich ansteckend. Nach Terroranschlägen – auch die Wiesn war von einem betroffen – hieß es oft: Wir müssen weiterleben wie bisher, um so unseren westlichen Lebensstil zu behaupten. Der ist beileibe nicht so toll, wie wir uns und anderen das eingeredet haben – der „Kotzhügel“ am Rande der Festwiese taugt dafür als Mahnmal.
Doch wer zuletzt noch einmal die Bilder der Machtübernahme der Taliban vor einem Jahr gesehen hat oder ebendie aus dem Ukrainekrieg, der kann nur zum Schluss kommen: Feiere, wer kann. Deutschland wird auch auf der Theresienwiese verteidigt.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.