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#Ich sehe dich, aber du siehst mich nicht

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Ich sehe dich, aber du siehst mich nicht

Fehlende Sichtbarkeit steht zurzeit prominent auf der gesellschaftspolitischen Ta­ges­ordnung. Wer Gesehenwerden einfordert, dem geht es, ob berechtigt oder strategisch behauptet, um Teilhabe und Repräsentanz. Man kommt so etwa darauf, dass im „Tatort“ Frauen hinter der Kamera, bei der Regie und in anderen zentralen Gewerken immer noch keine angemessene Rolle spielen. Auf inhaltlicher Ebene der „Tatort“-Filme ist das mittlerweile anders.

Im Flaggschiff der deutschsprachigen Krimiunterhaltung spielen Sicht- und Un­sichtbarkeit von Frauen ­ – und Männern – immer wieder herausragende Rollen. Es geht um Mörder oder Mörderinnen, die entweder nicht oder ganz unbedingt gesehen werden wollen. Täter und Täterinnen, auch Opfer, denen, aus welchen Gründen immer, das vermeintliche Glück der anderen unerreichbar scheint.

Zuletzt hat hier nicht der „Tatort“, sondern der Rostocker „Polizeiruf 110“ mit „Sabine“ geglänzt. Ansonsten gibt es Verbrechen, die sehr schwierig zu beleuchten sind. Pathologen, die aus Wunden Tathergänge sichtbar machen, unterstützt von Bildgestaltungen, die besonders in Rückblenden verspätete Sichtbarkeit rekons­truieren. Oft Rätsel und Puzzle von Vorkommnissen, die mit Licht und Dunkel, mit Erwartungen und Enttäuschungen spielen und ihr Publikum einbeziehen.

Krimi auf der Metaebene

Gelegentlich werden die gestalterischen Verfahren selbst zum Spielmaterial. Wie im „Tatort“ des Regisseurs Sebastian Marka mit dem sprechenden Titel „Meta“. Auch den neuen Dresdner „Tatort: Unsichtbar“ hat Sebastian Marka inszeniert (Buch Michael Comtesse, Kamera Willy Dettmeyer, Musik Thomas Mehlhorn). Auf den ersten Blick ist er zwar ein mehr klassisches Whodunnit, und gerade in dieser Hinsicht zeigt er dramaturgische Schwächen. Auf den zweiten ist er schon auch mehr als ein wenig „me­ta“ und bietet starke Frauenrollen. Im guten wie im bösen Fach. 

Kommissariatsleiter Peter Michael Schnabel (Martin Brambach) hat sich an die geballte Power seines Teams Karin Gorniak und Leonie Winkler (Karin Han­czewski und Cornelia Gröschel) nicht nur gewöhnt, er stellt sich auch besorgt vor sie. Seine vermutlich angeborene Säuerlichkeit fokussiert sich inzwischen auf den neuen Pathologen Jonathan Himpe (Ron Helbig). Der ist ihm ein Dorn im Auge, kann aber zum Fall Konstruktives beitragen. Dass es einen Fall überhaupt gibt, bezwei­felt Schnabel. Plötzlicher Herzstillstand bei der jungen, gesunden Caféhausbesitzerin Anna Schneider (Milena Tscharntke), so etwas kommt vor, meint er.

Nicht den Tä­ter, aber Teile des Tathergangs führt der Film für das Publikum offen ­ – der unzweifelhafte Mordhergang hat mit Psychoterror eines unsichtbaren Stalkers zu tun. Ins Un­glaubliche gesteigertes Schmerzempfinden, verstecktes Babyfon zum Abhören und Irremachen, heimliche Fotozooms und Videoaufnahmen, Drohungen von Festnetztelefonen (die man binnenlogisch be­nötigt, um über die Standortbestimmung stracks zu einem verdächtigen Krebsforschungslabor zu kommen) ­ – lauter Mini­fakten und Details, die im Bild des Polizisten noch nicht auftauchen, aber beim Zu­schauer präsent sind. In und an Schneiders Leiche ist aber keine Tötung nachweisbar. 

Bevor es richtig verworren werden könnte mit der ganzen Sicht- und Unsichtbarkeit, begeht Winkler einen Vertrauensbruch. Sie und Gorniak besitzen nämlich heimliche Gewissheit, dass Anna Schneider ermordet wurde. Gorniak hat die gleichen Symptome, von denen eine Freundin der Toten berichtet hat. Plötzliche un­er­trägliche, vielleicht psychosomatische Schmerzen, denen sie auch beim regelmäßigen Abregebesuch in einem „Wutraum“ (euphemistisch: „bin beim Yoga“) nicht bei­kommt. Jemand schickt ihr Videos einer Party vor zwanzig Jahren. Jemand will gesehen werden, droht am Telefon mit ei­ner Wahrheit, die ans Licht kommen werde. Eine Spur gibt es. Im Labor von Professor Mühl (Matthias Lier) arbeitet Schneiders angeschlagener Ex-Freund, Nils Klotsche (Christian Friedel), als Assistent für Martha Marczynski (Anna Maria Mühe) an Nanobots ­ – winzigen, kaum nachweis­baren Partikeln, die das Tumorwachstum hemmen und Schmerzrezeptoren ausschalten sollen. Pharmaforschung im Diskreten.

Die gefühlte Unheimlichkeit von nanomedizinischen Verfahren, mithin Zu­kunftsmusik, und die Suche nach dem Mo­tiv, das Schneider und Gorniak verbindet, auch Gorniaks Zeit an der Polizeihochschule verbindet „Unsichtbar“ im letzten Drittel prägnant und temporeich hin zum Kammerspielfinale, in dem die Stalker­unsichtbarkeit doppelte, auch tra­gische Be­deutung gewinnt. Zum Schluss zeigt dieser „Tatort“ eine gewisse Größe. Was übersehen wird, kann wachsen, wie die Wut, oder heilen, wie eines Tages Nanomedizin. „Unsichtbar“ begeistert nicht auf ganzer Linie, bespielt aber den Sehen- und Gesehen-Werden-Komplex über­zeugend.

Der Tatort: Unsichtbar läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

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