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#Ausgangssperren – darf der Staat das?

Ausgangssperren – darf der Staat das?

Mit dem für Montagabend erwarteten Beschluss der Bund-Länder-Konferenz könnte ein besonders ungeliebtes Instrument der Pandemiebekämpfung abermals Einzug in den Maßnahmenkatalog finden: Die nächtliche Ausgangsbeschränkung, die gemäß einem Beschlussentwurf von Montagvormittag künftig ab einer Sieben-Tages-Inzidenz von 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner verpflichtend eingeführt werden soll, sofern sich in den Verhandlungen nicht der Alternativvorschlag „verschärfter Kontaktbeschränkungen“ durchsetzt.

Constantin van Lijnden

Die Ausgangsbeschränkungen sollen ausweislich des Entwurfs von einer noch nicht näher benannten Uhrzeit (mutmaßlich am Abend) bis 5 Uhr am folgenden Morgen gelten; Ausnahmen soll es nur bei „gewichtigen Gründen“ geben. Damit wäre die Maßnahme einerseits weniger einschneidend als die im Frühjahr 2020 verhängten Ausgangsbeschränkungen, die rund um die Uhr galten. Andererseits ließen die damaligen Ausgangsbeschränkungen meist eine breite Palette an kaum kontrollierbaren Ausnahmen zu, so dass sich ihre praktische Wirkung und Durchsetzbarkeit in Grenzen hielt.

Das sieht bei nächtlichen Ausgangsbeschränkungen anders aus: Da nachts ohnehin weniger Menschen unterwegs sind, fällt es den Ordnungsbehörden leichter, die verbleibenden Personen zu kontrollieren. Hinzu kommt, dass viele rechtfertigende Gründe (Einkauf, Arztbesuch, etc), die das Verlassen der eigenen Wohnung tagsüber trotz Ausgangsbeschränkung legitimieren könnten, zu später Stunde nicht in Frage kommen.

Nachtspaziergang oder Party?

Das bedeutet umgekehrt allerdings auch, dass der Staat bei nächtlichen Ausgangsbeschränkungen unter einem besonderen Rechtfertigungsdruck steht: Da nachts ohnehin weitaus weniger Menschen unterwegs sind, erschließt sich nicht ohne Weiteres, warum ausgerechnet zu dieser Zeit besonders strenge Vorgaben gelten sollten. So ist eine Joggingrunde durch den um 22 Uhr weitgehend menschenleeren Park aus epidemiologischer Perspektive nicht gefährlicher, sondern allenfalls weniger gefährlich als zur sonnigen Mittagszeit, wenn es in dem Park vor Menschen wimmelt.

Das eigentliche Motiv der Maßnahme ist denn auch ein anderes: Zusammenkünfte in privaten Haushalten, also etwa Abendessen mit Freunden oder gar Partys, sollen unterbunden werden. Freilich kann man den Menschen nicht an der Stirn ablesen, ob sie sich auf einem einsamen Nachtspaziergang befinden, für dessen Verbot es keinerlei vernünftigen Anlass gäbe, oder auf dem Weg zu einer Feier. Aus juristischer Perspektive stellt sich damit die Frage, inwiefern der Staat bei der Verhängung von Ausgangsbeschränkungen auch den Aspekt einer effektiven Kontrollierbarkeit einpreisen darf – selbst wenn infolgedessen einzelne Verhaltensweisen verboten werden, die zur Verbreitung des Virus gewiss nichts beitragen.

Nur wenn andere Maßnahmen nicht reichen

Da in einzelnen Bundesländern bereits seit Monaten nächtliche Ausgangssperren gelten, sind zu dieser Problematik inzwischen eine Reihe von Gerichtsentscheidungen ergangen, die die mögliche Reichweite und Grenzen einer etwaigen bundesweit geltenden Regelung abstecken.

So hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg am 5. Februar die bis dahin gültigen landesweiten nächtlichen Ausgangsbeschränkungen aufgehoben. Der insoweit maßgebliche Paragraph 28a, Absatz 2 des Infektionsschutzgesetzes enthalte für Ausgangsbeschränkungen besonders strenge Voraussetzungen. Sie seien nur dann zulässig, wenn „auch bei Berücksichtigung aller bisher getroffenen anderen Schutzmaßnahmen“ eine wirksame Eindämmung der Pandemie bei Verzicht auf die Ausgangsbeschränkungen „erheblich gefährdet wäre“. Davon könne bei einer Inzidenz von (damals) 63,5 in Baden-Württemberg bei sinkender Tendenz nicht mehr die Rede sein.

Bei dem im aktuellen Beschlussvorschlag der Bund-Länder-Konferenz vorgesehenen Inzidenzwert von 100 dürften die Gerichte allerdings wohl weniger Bedenken haben – auch hier bleibt es aber dabei, dass andere (weniger einschneidende) Maßnahmen zuvor ausgereizt werden müssen.

Der Staat muss sein Handeln begründen

Einen anderen, gern vorgebrachten Einwand gegen Ausgangsbeschränkungen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bereits am 14. Dezember vergangenen Jahres (sowie in mehreren Folgeentscheidungen) abgeräumt. Die Münchener Richter stellten damals klar, dass es sich bei Ausgangsbeschränkungen nicht um einen zum Polizeigewahrsam vergleichbaren Freiheitsentzug handelt, der lediglich im Einzelfall und mit richterlicher Genehmigung verhängt werden dürfe. Das sehen die meisten Juristen ebenso.

Das Urteil wurde in der Fachwelt aus einem anderen Grund dennoch scharf kritisiert, da es allzu unkritisch über die eingangs erwähnte Problematik der „Kollateralschäden“ hinwegging: So befasste sich der Verwaltungsgerichtshof überhaupt nicht näher mit dem Einwand des Klägers, dass seine nächtlichen Joggingrunden epidemiologisch unbedenklich seien – obwohl gerade Jogger in der Regel gut als solche erkenntlich sind, sodass der Aspekt einer effektiven Kontrollierbarkeit hier eigentlich keine große Rolle hätte spielen dürfen.

Dass die Länder nachvollziehbar erklären müssen, warum sie Beschränkungen verhängen, und welche Ausnahmen sie (nicht) zulassen, entschied am 5. März dieses Jahres das Oberverwaltungsgericht Bautzen, das die dortige Ausgangsbeschränkung in Ermangelung einer solchen Begründung aufhob. Auch das ist ein Signal im Vorfeld der anstehenden Entscheidung: Die Länder müssen ihr Handeln klar erklären – und der bloß allgemeine Hinweis, dass eine Ausgangsbeschränkung vielleicht irgendwie zur Pandemiebekämpfung beitragen könnte, reicht dafür nicht aus.

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