#Baske statt Maske
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„Baske statt Maske“
Mit der roten Baskenmütze hätte man früher gerechnet. Also nicht erst in Folge vier, was so überraschend spät ist, dass es sich damit um eine der wenigen Unvorhersehbarkeiten dieser schrecklich flachen Serie handeln dürfte. Diese „Emily in Paris“, so der Titel, ist eine junge Amerikanerin, die seit einigen Wochen auf Netflix durch eine Stadt stöckelt, die schon vorher nicht gerade bekannt war für die Herzlichkeit ihrer Bewohner. Die für unkultivierte Amerikaner etwa so viele Fettnäpfchen bereithält, wie es dort Hundedreck am Wegesrand gibt, und Emily tritt zuverlässig in jedes davon hinein, auch in den Hundedreck. Natürlich.
Jennifer Wiebking
Redakteurin im Ressort „Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Eine Serie wie ein einziges Klischee, die man getrost ignorieren könnte. Sehr viele Menschen schauen Emily allerdings gerade dabei zu, wie sie Paris in zehn Folgen verstehen lernt. Das zeigen die Netflix-Charts, die „Emily in Paris“ seit einigen Wochen anführt. Das lässt sich auch an den vernichtenden Kommentaren über die Serie in den sozialen Medien ablesen. Das hört man von Bekannten am Telefon oder per Whatsapp, die man jetzt wieder seltener trifft, was einer der Gründe sein könnte, weshalb viel Zeit bleibt für schlechte Serien.
Das Gegenteil unseres Corona-Daseins
In diesen Wochen, in denen das Leben abermals allmählich herunterfährt und zugleich komplizierter wird, gibt es also eine Serie, die das Gegenteil von allem ist, was unser Dasein unter Corona ausmacht. Emily Cooper aus Chicago kommt spontan für ein Auslandsjahr nach Paris, erobert in ihrer Freizeit eine Stadt, lebt sich überengagiert in der Mode aus und arbeitet zwischendurch ein bisschen unter einer strengen Pariserin in einer schicken Marketingagentur – während junge Menschen jenseits von Netflix ihr Auslandsjahr absagen. Städtetrips gleichen Abenteuerreisen, viele Zuschauerinnen weltweit werden ihre High Heels das letzte Mal im Februar getragen und ihr Büro seit Mitte März nicht mehr von innen gesehen haben.
Selfie-Bourgeoisie: An Accessoires mangelt es der Serienfigur Emily (Lily Collins) nicht. Das Wichtigste ist ihr Smartphone.
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Bild: AP
Emily, die ganz beiläufig in der Serie zur Influencerin wird, ist alles, was wir derzeit nicht sind. Was noch nicht einmal die echten Influencer aktuell haben können, die nun, wie etwa Camille Charriere, Französin in London, 966000 Instagram-Follower, am Dienstagabend von ihrem Zuhause aus postet: „Wots the opposite of homesick?“ und für dieses Anti-Heimweh-Bild die dicke Strickjacke über dem BH aus Wolle trägt.
Aufräumen, Bücher, Netflix – Emily
Ja, Sehnsucht, es bleiben also nur Bücher, Aufräumen, Puzzeln und Netflix und dort: Emily, als Gegenprogramm zum „ARD Extra“ zur Corona-Lage, in einem Paris ohne 32000 Neuinfektionen am Tag, ohne abendliche Ausgangssperren, ohne Abstandsregeln und ohne Mund-Nasen-Schutz. Dafür ist die junge Frau mit jeder anderen erdenklichen Form von Accessoire ausgestattet. Denn diese Serie, einfallslos in der Handlung, ist eben gerade deshalb nicht nur eine wunderbare Parodie der Franzosen, der Amerikaner und des Lebens, wie es einmal war. Sie führt auch die Mode vor, wie sie ist.
Für all das verantwortlich sind der Produzent Darren Star und die Kostümbildnerin Patricia Field, die zusammen einst „Sex and the City“ popkulturell verankerten. „Emily in Paris“, so hieß es zu Beginn, könne eine moderne Version davon sein: Emily, die auf Louboutins in die von Carrie Bradshaw und ihren Manolo Blahniks gesetzten Fußstapfen tritt. Ein Instagram-Account anstelle einer Kolumne. Spätestens nach zehn Minuten von „Emily in Paris“ hat man allerdings eher den Eindruck, die zwei „Sex and the City“-Veteranen hätten sich die neue Serie spontan während des Lockdowns bei zwei, drei Cosmopolitans zu viel ausgedacht.
Nicht komplex, dafür erfolgreich
Was nicht bedeutet, dass die Referenzen zur Vor-Corona-Zeit, nüchtern betrachtet, fehlen. Im Hinblick auf die Kostüme erinnert dieser Klischee-Look von Baskenmütze zu Karo-Outfit aus Folge vier etwa verdächtig an die Entwürfe, wie sie auch Maria Grazia Chiuri bei Dior vorlegt, seit sie für diesen Posten vor einigen Jahren von Rom nach Paris gezogen ist. Gewissermaßen als Maria Grazia in Paris. In jener Rolle hat sie Dior wirtschaftlich weit nach vorne gebracht. Was nicht allzu komplex ist, das ist seit einer Weile häufig irrsinnig erfolgreich. Platz eins der aktuellen Netflix-Charts zeigt es.
Schlichte Handlung, schrille Mode: Emily mit ihrer Freundin Mindy (Ashley Park).
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Bild: CAROLE BETHUEL/NETFLIX
Die Designerin Patricia Field sagte in einem Interview, sie habe sich für die Kostüme an den Outfits der Gäste einer Jean-Paul-Gaultier-Schau inspirieren lassen, die überhaupt nicht Jean-Paul-Gaultier-mäßig dahergekommen seien, sondern Streetwear trugen. Emilys Chefin Sylvie, die einzige nicht grundsätzlich banale Figur dieser Serie, verkörpert den Gegensatz dazu, eine Garderobe, die an den alten Glanz der Pariser Designer des 20. Jahrhunderts erinnert, Yves Saint Laurent, Thierry Mugler, Christian Dior.
Kein Platz für Düsternis und Unvorhersehbares
Dior, Mugler, Laurent, meint man Emily in ihrer staunend-verträumten Art schon sagen hören. Dazu der amerikanische Akzent ohne R-Betonung, als hätte sie einen Bissen backofenheißes Schokocroissant im Mund. Auch diese Croissant-Szene gibt es, klar. Emily, die da in perfekt gewellten Haaren steht, dünn und weiß ist, während Vielfalt nur für die Nebenrollen vorgesehen ist. Emily, die in ihrer Rolle noch nicht einmal das problematisiert, anders als ihre Darstellerin Lily Collins, die vor einigen Jahren über ihren Kampf mit der Essstörung schrieb. Auch diesen Stoff hat Netflix später adaptiert.
In „Emily in Paris“, diesem „Bergdoktor“ in jünger und glamouröser, aber ist kein Platz für Probleme, für Düsternis, für Unvorhersehbares. Was offenbar gerade ganz gut ankommt.
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