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Bau einer Atombombe: Irans sagenumwobene Atomfestung Fordow

Anfangs klang es so einfach. Amerika müsse nur seine B-2-Tarnkappenbomer vom Stützpunkt Diego Garcia losschicken und einige seiner 13,6 Tonnen schweren bunkerbrechenden Bomben vom Typ GBU-57/B auf die unterirdische Urananreicherungsfestung Fordow abwerfen – dann wäre das iranische Atomprogramm erledigt. So jedenfalls hieß es in vielen Kommentaren. Inzwischen wachsen Zweifel, auch beim amerikanischen Präsidenten Donald Trump. Er soll laut Nachrichtenplattform Axios seine Berater gefragt haben, ob ein Erfolg einer solchen Operation garantiert sei.

Zu den Risiken gehört nach Einschätzung der britischen Denkfabrik Royal United Services Institute, dass einer der präzisionsgesteuerten Flugkörper womöglich nicht ausreicht, um die 80 bis 90 Meter tief ins Bergmassiv gebauten Stollen mit den Urananreicherungsanlagen zu zerstören. 60 Meter an Gestein soll eine solche Bombe zerschlagen können. Eine noch größere Unbekannte ist die Reaktion Teherans auf einen solchen Angriff. Der iranische Führer Ali Khamenei hat den Vereinigten Staaten mit „irreparablen Schäden“ gedroht. Denkbar wären Angriffe auf amerikanische Stützpunkte in der Region, Ölförderanlagen arabischer Staaten und auf Handelsschiffe in der Straße von Hormus.

Täuschung und Vertuschung

Fordow ist zu einem Symbol in diesem Krieg geworden, auch zu einem Test für Israels Strategie. Wird es dem israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu gelingen, Trump in einen Krieg hinein­zuziehen, an dem der sich erklärtermaßen nie beteiligen wollte? Allein kann Israel Fordow – und damit das Atomprogramm – nicht zerstören, weil ihm die nötigen bunkerbrechenden Bomben und Trägerflugzeuge fehlen. In dem Bergstollen befinden sich nach Angaben des Iranexperten Ali Vaez von der Denkfabrik „Inter­national Crisis Group“ zwei von mehreren Elementen, die es für den Bau einer Atombombe bräuchte: leistungsfähige Zentrifugen und Vorräte von bis auf 60 Prozent angereichertem Uran.

Die unterirdische Anlage ist Gegenstand von Täuschungen und Vertuschungen, mit denen Iran die internationale Gemeinschaft seit vielen Jahren an der Nase herumführt. Im Jahr 2009 informierten die USA, Großbritannien und Frankreich die Weltöffentlichkeit erstmals über deren Existenz. Zu jenem Zeitpunkt hatte Iran schon mehrere Jahre lang an dem Geheimprojekt gearbeitet. Der Codename lautete Al Ghadir. Das Regime in Teheran muss geahnt haben, dass ihm westliche Geheimdienste auf die Schliche gekommen waren. Wenige Tage bevor Washington, London und Paris ihre Erkenntnisse der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) präsentierten, schickte Iran der Behörde einen Brief, in dem es von einem neuen Anreicherungsstandort schrieb. Dabei wäre es verpflichtet gewesen, die Wiener Agentur schon in der Planungsphase zu unterrichten.

Israelische MilitärschlägeWas Satellitenbilder über die Angriffe auf Irans Atomanlagen verraten

„Dies ist nicht das erste Mal, dass Iran Informationen über sein Atomprogramm vertuscht“, sagte Barack Obama damals in einer Pressekonferenz mit dem franzö­sischen Präsidenten Nicolas Sarkozy und dem britischen Premierminister Gordon Brown. Die Entdeckung führte zu weiteren Sanktionen gegen Teheran.

Seit 2009 weiß Israel von der Anlage

Israel hatte kurz zuvor von Fordow erfahren. Man habe über britische Geheimdienste Informationen erhalten, sagt Danny Citrinowicz. Der Israeli ist für das „Institut für Studien zur Nationalen Sicherheit“ (INSS) tätig, eine Denkfabrik in Tel Aviv, zuvor arbeitete er lange für den Militärgeheimdienst seines Landes. Von 2013 bis 2016 leitete er die Abteilung, die mit Irans Atomprogramm befasst war. Rückblickend auf das Jahr 2009 sagt Citrinowicz: „Seit damals haben wir mit diesem Schlamassel zu tun.“ Israels Fähigkeit, Fordow zu zerstören, sei „vermutlich sehr begrenzt“, sagt er. „Andernfalls hätten wir das längst getan.“

Einen Monat nach der Enthüllung betraten Inspekteure der IAEA erstmals die Stollen, die etwa 60 Kilometer südlich der Stadt Ghom, dem Zentrum der Geistlichkeit in Iran, liegen. Sie erhielten Zutritt zu zwei langen, schmalen Produktionshallen. Beide sollten nach Teherans Angaben der Anreicherung von Uran auf einen niedrigen Grad von weniger als fünf Prozent dienen. Das braucht man für die meisten zivilen Zwecke, etwa zur Herstellung von Brennstäben für Kernkraftwerke. Bei der Anreicherung wird ein uranhaltiges Gas, Uranhexafluorid, in hintereinandergeschaltete Zentrifugen eingespeist. Sie schleudern immer reineres Uran aus dem Gas.

Für die ersten Schritte, bis fünf Prozent, braucht man lange Kaskaden von Zentrifugen und viel Zeit. Die Anreicherung bis 20 Prozent (es gibt wenige zivile Anwendungen dafür, etwa in der Medizin) ist ebenfalls noch langwierig. Für die weitere Anreicherung auf einen waffenfähigen Grad werden die Schritte immer kürzer: auf 60 und schließlich auf 90 Prozent.

IAEA-Direktor trug viele belastende Fakten zusammen

Das Design der einen Halle, die die IAEA-Inspekteure 2009 zu sehen bekamen, entsprach dem angegebenen Zweck. Die andere Produktionshalle hingegen war zu klein für eine lange Kaskade, wie sie zur Niedriganreicherung nötig ist. Außerdem waren Arbeiter dabei, hastig Verbindungsrohre abzumontieren. Das passte nicht zu den offiziellen Angaben. Teheran behauptete, man habe beim Bau etwas falsch gemacht und müsse nachbessern. Später gab das Regime wechselnde Erklärungen dafür ab, was mit der Anlage bezweckt wurde.

Die IAEA berichtet nicht über Details ihrer Inspektionen. Die Schilderung stammt von dem sicherheitspolitischen Forschungsinstitut ISIS in Washington. Es ist spezialisiert auf Nichtverbreitung und nukleare Tätigkeiten, geleitet wird es von dem einstigen IAEA-Inspekteur David Albright. Der Physiker ist kein ideo­logischer Falke. 2003 kritisierte er die Begründungen, unter denen der amerikanische Präsident George W. Bush den Irak angriff. Zu Iran trug er allerdings über die Jahre viele kritische Fakten zusammen.

50.000 Seiten Geheimdokumente

Zunächst behauptete Iran, der Bau der Anlage habe erst 2007 begonnen. Es dauerte einige Jahre, bis das als Lüge entlarvt wurde: Im Januar 2018 verschaffte sich eine Gruppe mutmaßlich iranischer Agen­ten des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad Zugang zu einem Lagerhaus im Süden von Teheran. Sie schalteten die Alarmanlagen aus, brachen Safes auf und erbeuteten rund 50.000 Seiten Geheimdokumente und mehr als 160 CDs mit Dateien. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu stellte Trump die Ergebnisse des Dokumentenraubs per­sönlich vor. Kurz darauf traten die Vereinigten Staaten aus dem Atomabkommen von 2015 aus.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Viele der Dokumente stammten aus ei­ner Zeit, in der Iran nach Überzeugung westlicher Geheimdienste aktiv den Bau von fünf Atombomben vorantrieb. Dieser „Amad-Plan“ wurde 2003 gestoppt, noch bevor das Ziel erreicht war. So hat es die amerikanische Geheimdienstdirektorin Tulsi Gabbard im März dieses Jahres bei einer Kongressanhörung noch einmal bekräftigt. Amerikas Geheimdienste gingen weiterhin davon aus, „dass Iran keine Atomwaffe baut und der Oberste Führer Khamenei kein Atomwaffenprogramm genehmigt hat, das er 2003 beendet hat“. Das passt nicht zu Trumps Kriegsdrohungen, weshalb er davon in diesen Tagen nichts wissen will. „Ist mir egal, was sie sagt“, sagte er und behauptete später, Iran sei „ein paar Wochen“ davon entfernt gewesen, eine Atombombe zu besitzen. Andersdenkende in Amerikas Geheimdiensten füttern derweil die Presse mit anderslautenden Einschätzungen.

Geplant waren ein bis zwei Atombomben pro Jahr

Manche der bekannt gewordenen Dokumente bezogen sich auf Fordow. Laut IAEA-Inspekteur Albright wurde aus ihnen deutlich, dass die Bauarbeiten wohl schon 2002 begannen – also nicht erst 2007 wie von Teheran behauptet – und dass die Geheimfabrik Teil des Amad-Plans gewesen sei. Diese sei mit dem Ziel gebaut worden, waffenfähiges Uran für ein oder zwei Atombomben pro Jahr herzustellen. Über den weiteren Verlauf nach 2003 gaben die Dokumente aber keine Auskunft.

Iranische Flaggen vor einem Öl-Depot nahe Teheran, das von der israelischen Luftwaffe angegriffen wurde
Iranische Flaggen vor einem Öl-Depot nahe Teheran, das von der israelischen Luftwaffe angegriffen wurdeReuters

In den gestohlenen Unterlagen taucht ein Name öfter auf: der des damaligen iranischen Verteidigungsministers Ali Scham­khani. Bis zum israelischen Angriff auf Iran am 13. Juni beriet er Khamenei zu den Atomverhandlungen mit den USA. Am ersten Tag der Offensive wurde Schamkhani in seiner Wohnung Ziel eines Angriffs. Laut Staatsmedien wurde er schwer verwundet. Aus iranischer Sicht war das gleichbedeutend mit einem israelischen Mittelfinger gegenüber den Beteiligten der Atomverhandlungen.

Der Codename der Anlage in Fordow, Al Ghadir, bezieht sich auf den Ort einer Predigt des Propheten Muhammad, in der dieser nach schiitischer Lesart seinen Cousin Ali zu seinem Nachfolger und damit zum ersten Imam, erklärt hat. Der religiös inspirierte Name lässt Zweifel an Khameneis angeblicher Fatwa gegen den Bau einer Atombombe aufkommen.

In den erbeuteten Unterlagen befanden sich auch Baupläne. Auf Interesse stießen vor allem die Tunneleingänge. Sie sind so konzipiert, dass im Fall einer Explosion im Eingangsbereich die Druckwelle und die Trümmer nicht ins Innere der Fabrik gelangen, sondern von zwei seitlich abgehenden Gängen aufgenommen würden. Die Ingenieure scheinen also die heutige Lage antizipiert zu haben, in der israelische Kampfflugzeuge versuchen könnten, die Tunneleingänge zu verschließen.

„Anreichern, praktisch morgen“

Schon am ersten Tag des Krieges gab es einen israelischen Angriff auf Fordow. Vermutlich sei der folgenlos geblieben, sagt Citrinowicz. Man müsse vorsichtig sein mit Angaben von iranischer Seite, mahnt der INSS-Analyst, aber „wenn man sich die Bilder von dem Ort ansieht, wirkt es so, als sei alles unversehrt“. Nach An­gaben der IAEA sind in Fordow derzeit 1044 Gaszentrifugen vom veralteten Typ IR1 in drei Doppelkaskaden installiert sowie 1740 Zentrifugen vom modernen und sehr viel leistungsfähigerem Typ IR-6 in 10 Kaskaden. Seit November 2022 wird dort auf 60 Prozent angereichertes Uran produziert, ein Jahr zuvor auch schon in Natans; bis dahin hatte Iran nur auf 20 Prozent angereichert. Diese sehr hohe Anreicherung erhöht die Gefahr erheblich, dass Iran sich in einem „Breakout“-Szenario waffenfähiges Uran verschaffe. Citrinowicz beschreibt das Pro­blem aus israelischer Sicht so: „In Fordow können die Iraner Uran auf 90 Prozent anreichern – praktisch morgen. Das wäre kein Problem für sie.“

Die gut 400 Kilogramm an 60-Prozent-Uran, die Iran bislang in Natans und Fordow produziert hat und auch lagert, würden, legt man einen von der IAEA verwendeten Maßstab an, bei entsprechender Weiteranreicherung für etwa neun Nu­klearwaffen ausreichen. Das ist noch nicht gleichbedeutend mit einer einsatzfähigen Bombe. Dafür müssten Komponenten wie der Atomwaffenkern und ein Zündungsmechanismus entwickelt und erprobt werden. Allerdings hat die IAEA auch schon Spuren und Komponenten gefunden, die in diese Richtung deuten, etwa das für den Kern nötige Uranmetall.

Auch wenn die Anlagen in Natans gemessen an der Zahl der Zentrifugen größer sind, ist Fordow die Hauptstätte zur Anreicherung von Uran auf 60 Prozent. Dort haben die iranischen Wissenschaftler und Techniker auch ein Verfahren entwickelt, das Zwischenstadium von 20 Prozent zu überspringen, wodurch sich die Produktion um das Siebenfache steigern lässt. Einmal war man schon so weit, waffenfähiges Uran zu produzieren: 2023 hatte die IAEA in Fordow auf 83,7 Prozent angereicherte Uranpartikeln entdeckt. Die seien versehentlich entstanden, erklärte Teheran damals.

Ein Krieg, den Israel nicht allein gewinnen kann

Das israelische Militär versetzt Iran seit einer Woche harte Schläge. Aber ob der Krieg aus Sicht Jerusalems als Erfolg gewertet werden kann, steht und fällt mit der Frage, ob die Zerstörung Fordows gelingt. Es wäre „sehr problematisch“, überstände die Anlage den Krieg intakt, sagt Citrinowicz. „Diese Militäroperation darf definitiv nicht enden, ohne dass Fordow aus dem Spiel genommen wird.“

Dafür gibt es nur wenige Möglichkeiten. Theoretisch ist eine Bodenoperation denkbar – sie wäre aber schwer zu verwirklichen, vor allem jetzt, während eines offenen Krieges zwischen Israel und Iran. Ob Israel Fordow durch einen Cyber­angriff lahmlegen könnte wie 2009 mit dem Stuxnet-Computervirus, ist offen. Die Iraner werden Maßnahmen ergriffen haben, sich gegen eine Wiederholung ei­ner solchen Attacke zu wappnen, die damals Schäden in Natans verursachte.

Der direkteste Weg wären wohl bunkerbrechende Bomben, die umgangssprachlich auch unter dem Namen MOAB bekannt sind: Mother of all bombs – Mutter aller Bomben. Er wisse natürlich nicht, ob die Israelis nicht noch ein anderes Ass im Ärmel hätten, sagt Citrinowicz, aber vermutlich seien sie auf diese Bomben angewiesen – und damit auf amerikanische Hilfe. Das hält er für ein großes Problem, denn es hieße, „dass wir einen Krieg begonnen haben, der darauf abzielt, die nukleare Bedrohung Israels erheblich einzuschränken oder sogar zu beseitigen, obwohl wir wussten, dass wir dazu nicht in der Lage sind“. Netanjahu hat den Krieg begonnen, ohne von Trump die Zusicherung aktiver militärischer Unterstützung erhalten zu haben. Erst rückblickend wird sich beurteilen lassen, ob das eine meisterhafte politische Kalkulation war – oder ein fehlgeschlagenes Glücksspiel, ungeachtet aller anderen militärischen Erfolge.

Hinzu kommt eine weitere Unbekannte: Ali Vaez von der International Crisis Group warnt, dass unklar sei, ob die hochangereicherten Uranvorräte nicht längst aus Fordow anderswohin gebracht wurden. Denn seit Kriegsbeginn konnten die IAEA-Inspekteure die unterirdische Anlage nicht mehr betreten.

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