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#Bis heute ungeklärt

Bis heute ungeklärt

In der Sprache der Tourismus-Werbung gilt das Höllental östlich der kleinen nordbayerischen Stadt Lichtenberg als „wildromantisch“. Im Mai 2001 bekam der Name jedoch einen neuen Klang, als die neunjährige Peggy Knobloch als vermisst gemeldet wurde und die Suchaktionen auch die teils schwer zugänglichen Abhänge zum Fluss Selbitz erfassten. Ihre Leiche wurde erst Jahre später gefunden. Für die Filmemacherin Marie Wilke wurde der Name „Höllental“ zu einem naheliegenden Titel für eine sechsteilige Serie, die sich mit dem Mord an Peggy Knobloch befasst. Er ist eines der größten Kriminalrätsel seit der Wiedervereinigung, das seit vergangenem Jahr auch offiziell als ungelöst gilt. Denn die Ermittlungen wurden eingestellt, und wenn jetzt nach drei Sonderkommissionen und zwei Gerichtsverfahren noch etwas über das Schicksal von Peggy herauskommen sollte, dann müsste schon der Zufall mithelfen. Oder schlechtes Gewissen. Aber selbst dann könnte man sich nicht sicher sein, denn auch Geständnisse erwiesen sich als irreführend.

„Höllental“ gehört zum boomenden Genre der True-Crime-Geschichten, die in allen Formaten (vom Podcast bis zum Taschenbuch) ein großes Publikum finden. Auch zu Peggy Knobloch gibt es bereits jede Menge Aufbereitungen, zuletzt 2019 einen bayerischen Podcast („Geheimakte Peggy“, Antenne Bayern), der mit dem Deutschen Radiopreis ausgezeichnet wurde. Von Marie Wilke, einer der wichtigsten deutschen Dokumentarfilmerinnen (zuletzt „Aggregat“, 2019), kann man bei so einem Sujet einen analytischen Blick auf das Zusammenspiel von Institutionen und Individuen, Dokumenten und Landschaften erwarten.

Und das ist dann auch tatsächlich die wesentliche Qualität der sechs Folgen: eine konzentrierte Aufmerksamkeit zweiter Ordnung, denn das Material, mit dem Wilke arbeitet, lag ja immer schon irgendwo einmal vor. Sie fügt es nur mit Interviews zusammen, die ihrerseits überwiegend von Berichterstattern stammen. Aus Polizei und Justiz kommen nur wenige Protagonisten zu Wort. Wilke sucht nicht so sehr nach Erklärungen als nach Beobachtungen.

Zentral, die Videoaufnahme von einer Besprechung am Tatort

Peggy Knobloch verschwand am 7.Mai 2001 am frühen Nachmittag auf dem Weg von der Schule nach Hause inmitten einer Kleinstadt mit gut tausend Einwohnern. Ihre Leiche wurde erst 2016 in einem Wald in gut zwölf Kilometern Entfernung vom mutmaßlichen Tatort gefunden. Zu diesem Zeitpunkt war Ulvi Kulac, ein geistig beeinträchtigter Verdächtiger, nach einem detaillierten Geständnis bereits verurteilt, das Verfahren später aber wiederaufgenommen und mit einem Freispruch beendet worden.

Mehr Beobachtungen als Erklärungen: Gedenkstein für Peggy Knobloch in Nordhalben.


Mehr Beobachtungen als Erklärungen: Gedenkstein für Peggy Knobloch in Nordhalben.
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Bild: ZDF und Alexander Gheorghiu

Marie Wilke präsentiert als zentrales Dokument eine Videoaufnahme von einer Besprechung am Tatort, bei dem der Tathergang bis in viele Details nachgestellt wird, und lässt später deutlich werden, dass auch diese „Erzählung“ keineswegs für bare Münze genommen werden kann. Ein Gerichtsgutachter wird im zweiten Verfahren einräumen, dass von einem Geständnis nicht mit Gewissheit auf Wahrheitsgehalt zu schließen ist. Vor allem dann nicht, wenn die Vernehmungen so geführt werden, dass sie Verdächtige an Hypothesen „heranführen“. So dass sich jemand irgendwann einfach ergeben könnte: „Ich sag irgendwas, bloß dass ich mei Ruah hab.“

Die Gratwanderung bei einer Serie wie „Höllental“ besteht darin, dass im Verlauf der sechs Folgen ständig Fragen auftauchen, die man als Zuschauer gern vertieft sähe, bei denen man die Regisseurin gern zur Ermittlerin machte. Zum Beispiel bei den Erzählungen von einer veränderten Peggy in den Wochen vor ihrem Tod. Dass sie Opfer einer Vergewaltigung wurde, bleibt vergleichsweise kursorisch von Bedeutung; dass sie in einer psychologischen Beratung mit einem Pharmazeutikum anstatt einer eingehenden Anamnese abgetan wurde, ist nur eines von mehreren Indizien, dass das Thema sexueller Missbrauch wohl alle Beteiligten überforderte. Wilke hält sich bei diesen Implikationen auch deutlich zurück, was wiederum mit der gleichsam forensischen Neutralität zu tun hat, die das Genre im Umgang mit Material und Zeugenschaft verlangt.

Als richtiger Dokumentarfilm über eine Kleinstadt im Zeichen eines Verbrechens würde „Höllental“ vermutlich anders gewichten, könnten Aspekte wie die Nähe zu Tschechien (die sich auch in Phantasien von einem „roten Auto“ und von Versklavung in die Kinderprostitution manifestiert) eine größere Rolle spielen. Marie Wilkes sehenswerter Sechsteiler ordnet die Aspekte des Mordes an Peggy Knobloch souverän und lässt gleichzeitig erkennen, dass vieles offenbleibt, über die Schuldfrage hinaus.

Höllental, heute um 23.15 Uhr im ZDF.

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