„Bitte öffnen Sie die Eisbachwelle wieder!“

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Eine Gruppe Münchner Surfer hat am Donnerstag mit einem offenen Brief an Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) appelliert, die Eisbachwelle für das Surfen „unverzüglich und wieder dauerhaft“ freizugeben. Nach eigenen Angaben unterstützen mehr als 3600 „Surfer und Freunde“ der Eisbachwelle den Brief.
Die Stadt München hatte die Welle gesperrt, nachdem dort am 16. April eine 33 Jahre alte Surferin spätabends verunglückt war. Sie hatte sich offenbar mit ihrer Leash, der Leine, die das Brett mit dem Fuß verbindet, am Grund des Eisbachs verhakt und war unter Wasser gefangen. Sie konnte erst von Strömungstauchern der Feuerwehr befreit werden. Eine Woche später verstarb die junge Frau im Krankenhaus.
Ermittlungen werden laut Staatsanwaltschaft „gewisse Zeit andauern“
Die Verfasser des Briefes heben hervor, dass sie den Angehörigen der Surferin ihr tiefstes Mitgefühl aussprechen und auch die laufenden Untersuchungen „sehr ernst“ nehmen. Am 30. April hatten Polizeitaucher den Grund des Eisbachs auf Gegenstände abgesucht, an denen die Leash der Surferin womöglich hängengeblieben war. Vermutet wurde zuvor, dass vielleicht ein E-Scooter, Einkaufswagen oder Fahrrad in den Eisbach geworfen worden war, an denen sich die Leash dann verhakt hat. Gefunden wurden jedoch nur kleinere Gegenstände aus Metall. Ob diese ursächlich für das Unglück waren, wird zur Zeit untersucht.

In den Blick genommen werden sicherlich auch das Brett und die Leash der Surferin – ob also auch die Ausrüstung im Zusammenhang mit dem Unfall stehen könnte. Die Staatsanwaltschaft München I ermittelt seit dem Tod der jungen Frau wegen fahrlässiger Tötung gegen unbekannt. Zu den Details macht die Staatsanwaltschaft keine Angaben, auch nicht zur Dauer der Untersuchung: „Unsere Ermittlungen laufen weiter und werden wohl auch noch eine gewisse Zeit andauern“, teilt die Sprecherin Anne Leiding am Donnerstag auf Anfrage mit.
Verfasser: Sperrung sei nicht „verhältnismäßig“
Die Verfasser des Briefes plädieren dafür, die Welle wieder zu öffnen, da die Sperrung nicht „verhältnismäßig“ sei. Denn im Eisbach sei „kein größeres“ Hindernis gefunden worden und das Surfen sei immer schon ausdrücklich auf eigene Gefahr erfolgt. Bis zu dem Unfall galt eine Allgemeinverfügung der Stadt von 2010. Dort heißt es, dass jeder Surfer das Risiko „für Leib und Leben“ selber trage. Und: „Die Eisbachwelle ist nur für geübte Brettsurfer geeignet.“
Die Stadt, so der Brief, sei nicht haftbar und werde es auch künftig nicht sein. „Dieses Prinzip der Selbstverantwortung hat über Jahrzehnte funktioniert und ist Kern des urbanen Surfspirits, der München weltweit einzigartig macht.“ Die Eisbachwelle im Englischen Garten ist demnach seit 40 Jahren ein „unverwechselbares Symbol“ Münchner Lebensart, „kulturelles Wahrzeichen“ für ein weltoffenes und sportlich-kreatives München und ein „Magnet“ für Besucher aus aller Welt. Angeführt wird dazu ein „Aufmerksamkeitsvergleich“ anhand von Bewertungen auf Tripadvisor und Google Maps: Der Eisbach nehme einen vorderen Platz in der Beliebtheit Münchner Sehenswürdigkeiten ein, nach Hofbräuhaus, Englischer Garten, Viktualienmarkt oder Schloss Nymphenburg.
Doch nicht nur die Bedeutung der Welle als Touristenmagnet, die Dieter Reiter allerdings hinlänglich bekannt sein dürfte, wird hervorgehoben. Wichtig sei auch die Relevanz für die „Stadtökonomie“ (zum Beispiel Surfshops oder Gastronomie) sowie die „Nachhaltigkeit und Konsumfreiheit“ der Welle: Jeder könne dort „sozial gerechte Freizeit“ ohne Kaufzwang und mit einem nur „minimalen ökologischen Fußabdruck“ verbringen.
Stadt entscheidet allein über Öffnung der Welle
Als „starkes Signal“ für das Prinzip Eigenverantwortung, die das Surfen am Eisbach auszeichnet und seit jeher geprägt hat, sieht Franz Fasel, Erster Vorstand des Vereins „Interessengemeinschaft Surfen in München“ (IGSM), den Brief. Die IGSM, die rund 800 Mitglieder hat, gehört zwar nicht zu den Initiatoren des Schreibens, steht jedoch seit dem Unglück im engen Austausch mit der Stadt, um die Interessen der Surfer-Community zu vertreten und über mögliche Sicherheitsvorkehrungen zu beraten. Fasel spricht sich zum Beispiel für die Nutzung von Leashes aus, die sich unter starker Zugkraft von selbst lösen. Es sei ein großes Anliegen des Vereins, so Fasel am Donnerstag, dass das Surfen am Eisbach weiterhin in eigener Verantwortung gestattet werde – mit so wenig Nutzungsbeschränkungen wie möglich.
Es liegt jetzt allein an der Stadt München, eine Entscheidung über die Wiederöffnung der Welle zu treffen – darauf verweist auch die Staatsanwaltschaft. Doch die Stadt hat bislang noch keine Angaben dazu gemacht, wie oder wann es mit der Welle weitergehen könnte. So ist vermutlich auch dieses Schweigen ein Grund für den offenen Brief: Sollte die Eisbachwelle nicht „umgehend“ wieder öffnen, so schreiben die Verfasser, „bitten wir Sie, der Öffentlichkeit die Gründe dafür mitzuteilen“. Erbeten wird ebenso eine „zeitnahe Einschätzung“ dazu, welche möglichen Voraussetzungen die Stadt zu erfüllen habe, um das Surfen in Eigenverantwortung wie in der Allgemeinverfügung von 2010 zu ermöglichen. Die F.A.Z. hat das Büro von Dieter Reiter am Donnerstagvormittag um eine Stellungnahme zu dem Brief gebeten. Bis zum Nachmittag ist jedoch noch keine Antwort erfolgt.
Die Surfer hoffen nun auf eine positive Entscheidung, denn die Welle stehe für Freiheit im öffentlichen Raum – „lassen wir sie nicht zu einem weiteren Symbol übermäßiger Reglementierung oder Verbote werden“.
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