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#Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin

Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin

Unter all den Märchen, die ja selten heiter und kaum der Stoff für Kinderträume und Wünsche sind, gibt es eines, das besonders traurig und dunkel ist. Die Großmutter in Georg Büchners „Woyzeck“ erzählt es: vom Kind, das keinen Vater und keine Mutter mehr hatte, „war alles tot, und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es ist hingegangen und hat gesucht Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt’s in den Himmel gehen . . .“

Peter Körte

Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung in Berlin.

Es ist kein Zufall, dass man ganz zu Anfang und am Ende des Films „Lieber Thomas“, der vom Schriftsteller und Filmemacher Thomas Brasch handelt, sofort an dieses Märchen denken muss. Da ist ein kleiner Junge, zehn Jahre alt, er liegt zwischen den Eltern im Bett, dann sind die Eltern fort, und er steht auf, steigt im Pyjama in ein Auto und fährt los, die Welt ist leer, nirgendwo ein Mensch zu sehen.

Er kommt zu einem Flugplatz, er steigt in das Flugzeug, es hebt ab, ungewiss wohin, weil in diesem Moment die Kamera schwenkt und den Blick auf zwei Jungen in ihren Betten richtet, denen die Mutter ein Märchen vorliest.

Die Welt in seinem Kopf

Ganz am Ende wird es ein Mann in seinen Fünfzigern sein, der diesen Weg geht durch eine leere Welt. Irgendwann mitten im Film spricht Braschs Bruder Klaus, der Schauspieler, einmal davon, dass sein Woyzeck die Leute überzeugt habe – und vermutlich geht einem auch deshalb dieses Märchen nicht aus dem Sinn.

Es passt ja auch zu gut in den Film, den Andreas Kleinert nach einem Drehbuch von Thomas Wendrich gedreht hat. Was diesen Film so besonders macht, das ist die Sicherheit, mit der er seine visuellen Motive einsetzt und immer wieder variiert. Am Leben des Schriftstellers interessieren ihn nicht allein dessen reale, gleichsam dokumentarisch erzählbare Stationen, sondern auch die Welt in seinem Kopf, wo die Fiktionen entstehen.

„Lieber Thomas“ ist ein Film, wie man ihn im deutschen Kino nicht oft zu sehen bekommt. 150 Minuten, die einem nie lang werden, in einem schönen, kontrastreichen Schwarz-Weiß, das einem schon nach fünf Minuten zwingend vorkommt; zweieinhalb Stunden mit einem Schriftsteller, der 2001 mit gerade mal 56 Jahren starb, der zwar nie ganz vergessen war, den aber viele vergessen haben, trotz Dokumentationen zum zehnten Todestag, trotz des Romans seiner Schwester Marion Brasch, trotz des Schlüsselromans seines Freundes Klaus Pohl, des Dramatikers, oder des Dokumentarfilms von Annekatrin Hendel aus dem Jahr 2018.

Von der Nachkriegsgeschichte gebeutelt

Der Film erzählt die Geschichte eines Autors, durch dessen Biographie die Nachkriegsgeschichte der beiden deutschen Staaten hindurchgefegt ist. Der eine große literarische Hoffnung war als Lyriker, als Stückeschreiber, als Regisseur; der für „Engel aus Eisen“ den Bayerischen Filmpreis für die beste Erstlingsregie bekam und, nachdem er ihn von Franz Josef Strauß entgegengenommen hatte, sich in seiner Rede für die Ausbildung an der Filmhochschule der DDR bedankte – von der man ihn verwiesen hatte.

Und der vom Widerspruch des Künstlers redete, „der mit dem Geld des Staates arbeitet und den Staat angreift, der den subversiven Außenseiter zum Gegenstand seiner Arbeit macht und sich selbst zur gleichen Zeit zu einem Komplizen der Macht“. Einer, der verstummte nach 1989, nur noch übersetzte, Tschechow und Shakespeare; dessen Buchtitel „Vor den Vätern sterben die Söhne“ zum geflügelten Wort geworden ist.

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