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#Fische, verheddert in Plastikmüll

„Fische, verheddert in Plastikmüll“

Kann man all die Schocknachrichten über Klimawandel, Überbevölkerung und Unterversorgung noch hören? Kann man sie noch ertragen? Doch dann kommt Lina Beckmann im schwarzen Pulli zur schwarzen Hose in den dunklen Saal des Schauspielhauses Hamburg und beschreibt die heutige Weltlage so ernst und entschlossen, dass all die Probleme wieder da sind, die man lieber draußen gelassen hätte: „Wir konnten nicht sehen, dass was nicht stimmte. Also schlossen wir die Augen. Damit wir nicht sehen konnten, dass was nicht stimmte.“ Und wie sie das alles mit der ganzen Wahrhaftigkeit ihrer hohen Kunst denkt und spricht und dabei dem Publikum ins Gesicht blickt, gehen die sattsam bekannten Tatsachen plötzlich tatsächlich unter die Haut, als wären sie neu.

Der australische Autor Finegan Kruckemeyer, Jahrgang 1981, hat seinem 2021 in Adelaide uraufgeführten Stück „Der lange Schlaf“ nun für die deutschsprachige Erstaufführung einen Prolog vorangestellt. Lina Beckmann trägt ihn als Rede an die Welt vor, die hier nicht größer ist als jede, als jeder von uns. Das macht ihn so glaubwürdig. Danach öffnet sich der Vorhang über sechs von Lichtstäben gerahmten Quadern, die mit ein paar Requisiten als Café in Australien, als Küche in Kolumbien, als Fernsehstudio in Los Angeles, als ein Haus in Nigeria und ein anderes in Tadschikistan sowie als Regierungsflugzeug über den Wolken hergerichtet sind. Elegant hat der Regisseur Philipp Stölzl zusammen mit Franziska Harm im Bühnenbild eine optische Entsprechung zu den dramatischen Modulen des Stücks gefunden. Denn Kruckemeyer springt in kleinen Szenen munter zwischen den Orten und Zeiten hin und her, und Stölzl schiebt dazu die passenden Vitrinen vor und zurück.

Schlafen, um den Planeten zu retten?

„Der lange Schlaf“ ist ein originelles Gedankenexperiment darüber, wie die Umweltzerstörung gestoppt werden könnte: Mithilfe eines speziellen Gases werden 2030 alle Menschen für ein Jahr in eine Art Winterschlaf versetzt, um der Natur Erholung zu gewähren – wie schon während der Corona-Lockdowns, als global die CO2-Werte drastisch sanken. Nur was passiert, wenn in diesem Jahr irgendwo Feuer ausbricht oder ein Dach wegfliegt? Und was geschieht mit den freigelassenen Haus- und Zootieren? Ist dieses Manöver zur Rettung des Planeten weise oder diktatorisch? Wird es weniger Opfer kosten, als wenn alles weiterliefe wie bisher? So bringt Kruckemeyer seine theatralische Versuchsanordnung auf Touren, und das großartige Hamburger Ensemble entwickelt aus den geschickt konzipierten Thesenträgern plastische, mitreißende Figuren.

Lina Beckmann und Mehmet Ateşçi in „Der lange Schlaf“


Lina Beckmann und Mehmet Ateşçi in „Der lange Schlaf“
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Bild: Knut Koops

Sandra Gerling gibt raffiniert die Referentin Emily, die den künstlichen Schlaf ersonnen hat und die am Anfang eine überzeugende Büromaus, am Schluss eine medial ausgefuchste Agitatorin ist. Josef Ostendorf sitzt in einem Rollstuhl in Bogotá als alte Frau, die nicht glücklich ist, weil ihr ein Lebensjahr gestohlen wird. Samuel Weiss ist der australische Minister, der alert das Schlummerprojekt durchdrückt, Daniel Hoevels sein hellsichtiger Spin Doctor. Indes sich die Menschheit zur Zwangsruhe bettet, sind bei Stölzl auf einer riesigen Leinwand Fotos von Klimakatastrophen zwischen Ahrtal und Pakistan zu sehen, live begleitet von gediegenen Filmmusikklängen. Zwei Personen allerdings bleiben überraschend wach, da das Gas ihren synthetischen, nach einer Krankheit implantierten Lungen nichts anhaben kann.

Das letzte Liebespaar in einer ausgestorbenen Stadt

Maggie und Pete schlagen sich auf bizarre Weise durch ihre ausgestorbene Stadt, kommen freilich nicht unschuldig davon, und als sie einander begegnen, werden sie ein Liebespaar. Lina Beckmann und Mehmet Ateşçi zeigen mit hinreißender Zartheit und hybrider Gewalt, wie die beiden nach einsamen Monaten wieder zu kommunizieren wagen und in einer Zeit des Stillstands von Vergangenheit und Gegenwart sprechen – einerseits losgelöst von den seltsamen Umständen, andererseits verheddert darin wie Fische im Plastikmüll.

„Der lange Schlaf“ ist in seiner bemühten dramaturgischen Heterogenität zwar kein gutes Stück, und auch die bieder erzählende, zunehmend leerlaufende Inszenierung ist künstlerisch eher mau. Aber in der Summe ist die Aufführung ein toller Coup: thematisch aktuell und aufrüttelnd, glänzend gespielt und ein kollektiv herausfordernder Denkanstoß.

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