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Bundestrainer Harold Kreis im Interview vor deutschem Start

Herr Kreis, die Vorbereitung ist abgeschlossen, in sieben Testspielen gab es drei Siege und vier Niederlagen. Wie steht es um die WM-Form der deutschen Eishockey-Nationalmannschaft?

Das Team, das jetzt hier in Herning ist, lässt sich nicht mit der Mannschaft vergleichen, die in den ersten Vorbereitungswochen dabei war. Es ist ein völlig anderes. Ich bewerte den Ist-Zustand nach dem letzten Spiel gegen die USA in Düsseldorf. Das haben wir zwar verloren (2:5, d. Red.), aber unser Kurs stimmt. Wir waren besser, als es das Ergebnis aussagt. Und wir haben jetzt auch genügend Videomaterial vor­liegen, mit dem wir arbeiten können. Denn es ist immer schwierig, wenn du mit einer Mannschaft sprichst und ihr dann Szenen zeigst, auf denen kaum jemand zu sehen ist, der gerade vor dir sitzt. Meine Mannschaft ist grundsätzlich selbstkritisch. Wir sind auf einem guten Weg, und es ist schön, dass es am Samstag (16.20 Uhr bei Magentasport gegen Ungarn, d. Red.) für uns losgeht.

Wann ist das Turnier für Sie ein Erfolg?

Mir kommt es auf unsere Performance an. Eine der Hauptaufgaben von mir und meinem Staff ist es, den Rahmen zu schaffen, dass die Mannschaft ihr Potential abrufen kann. Es gibt den schönen Trainerspruch: Ich bin nicht für die Ergebnisse zuständig, ich bin für die Leute verantwortlich, die für die Ergebnisse zuständig sind – das stimmt. Ich bin glücklich, mit Spielern zu arbeiten, die selbst untereinander viel miteinander sprechen, sich Tipps geben und bei Problemen helfen. Das sind gute Voraussetzungen.

Wer mit Ihren Spielern spricht, hört mu­tige Aussagen zu den Vorhaben in den kommenden beiden Wochen. Ist ein neues Selbstvertrauen gewachsen?

Diese Mentalität ist unter Marco Sturm entstanden (Bundestrainer von Juli 2015 bis November 2018, d. Red.). Seitdem gibt es die ausgeprägte Einstellung, dass niemand mehr zufrieden ist, wenn man mal gut gespielt hat. Heute gehen wir in jedes Spiel hinein, um zu gewinnen – auch gegen die schwersten Gegner. Wir sehen uns selbst als Nation, die etwas darstellt und erreichen kann. Wie man mit der WM-Silbermedaille 2023 gesehen hat. Es hilft, dass alle, die dabei sind, in sehr kompetitiven Vereinen in sehr guten Ligen spielen, in denen sie gelernt haben, ständig zu schauen, an welchen Stellen sie noch besser werden können. Meine Spieler sind bodenständig in ihrer Einschätzung, aber ehrgeizig in der Zielsetzung. Sie sind bereit, eine Menge zu investieren, um sich ihre Vorstellungen zu realisieren. Das gefällt mir.

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Mit den angeschlagenen Moritz Müller (Köln), Kai Wissmann (Berlin) und To­bias Rieder (München) fehlt ein Trio, das zuletzt mit seiner Führungskraft den Rest der Gruppe lenkte. An wem soll sich das Team nun orientieren?

Unsere Kabine ist ein dynamischer Ort. Wir haben zum Beispiel Moritz Seider dabei und ihn nicht von ungefähr zum Ka­pitän ernannt. Er ist ein junger Mann, der Respekt von seinen Kollegen genießt. Nicht allein durch seine Leistung auf dem Eis, sondern durch seine Persönlichkeit, durch seine Ansichtsweise. Was er anspricht, wie er es anspricht – das ist vorbildlich. Moritz ist jemand, der die Mannschaft mitnimmt. Und seine Mitspieler gehen bei ihm, so wie er es macht, gern mit.

Sie selbst gelten als ein Trainer, der mit ruhiger Hand handelt – aber klare Prin­zipien verfolgt. Wie würden Sie Ihren Führungsstil beschreiben?

Es gibt einen englischen Begriff, der heißt „servant leadership“. Damit wird beschrieben, dass Führung nicht durch Befehle und Kontrolle, sondern durch das Dienen an den Bedürfnissen der Mitarbeiter und des Teams erreicht wird. Ich stelle bei meiner Arbeit die Spieler in den Vordergrund. Mir geht es um sie und um ihre Wertschätzung. Sie sollen das Gefühl erhalten, dass sie in die Ent­scheidungsprozesse eingebunden sind. Ich bin kein Freund von Mikromanagement. Die Spieler bekommen Verant­wortung von uns. Und das nutzen sie. Sie unternehmen in ihrer Freizeit viel mit­einander. Das schweißt zusammen und hilft, sich im Wettkampf zu behaupten.

„Unsere Kabine ist ein dynamischer Ort“: Eishockey-Bundestrainer Harold Kreis
„Unsere Kabine ist ein dynamischer Ort“: Eishockey-Bundestrainer Harold Kreisdpa

Wie bauen Sie Vertrauen auf – gerade wenn die gemeinsame Zeit so begrenzt ist?

Vertrauen ist immer ein Prozess, das entsteht nicht ohne Weiteres, sondern dauert lang. Mit einem falschen Satz oder einem Satz, der nicht ausgesprochen wird, oder einem Gespräch, das nicht stattfindet, kann Vertrauen erodieren. Ich denke, dass ich in meiner Art beständig bin, dass die Spieler sich auf mich und meine Vorgehensweise verlassen können – unabhängig vom Turnierverlauf.

Wie wichtig ist es Ihnen, nicht nur Takt­geber, sondern auch Zuhörer zu sein?

Diese Eigenschaft ist essenziell. Es gibt immer wieder Situationen, die die Spieler sehen, die wir nicht sehen. Sowohl in der Analyse hinterher als auch während des Spiels, wenn wir von ihnen Informationen bekommen, auf die wir im Pre-Scout nicht eingegangen sind. Das ist keine lange Debatte an der Bande, sondern ein konstruktiver Austausch in Kürze. Selbst kleine Bemerkungen von ihnen können eine große Bedeutung für unseren Erfolg haben. Mitspracherecht ist unentbehrlich. Und ich bin nie der Einzige, der vor dem Spiel redet. Mein Team weiß, dass ich immer sechs Minuten vor Beginn des Drittels in die Kabine komme. Aber das Wort ergreifen dann auch Alexander Sulzer oder Serge Aubin, wenn ich das Gefühl habe, dass die Mannschaft eine andere Ansprache braucht, eine andere Stimme, eine andere Energie. Es geht beim deutschen Nationalteam nicht um mich, sondern es geht darum, was das Beste für die Mannschaft ist.

Wie nah lassen Sie Ihre Spieler an sich heran?

Als „Herr Kreis“ spricht mich keiner an, das würde ich verbieten (lacht). Sie nennen mich Coach oder Harry, das passt. Auch wenn wir ein professionelles Verhältnis miteinander haben und unser Business erledigen müssen, versuche ich eine zwischenmenschliche Beziehung aufzubauen, um zu wissen: Wie geht’s dir? Wie geht’s der Familie? Wie ist es zu Hause? Ist alles in Ordnung? Das hat für mich fun­damentale Bedeutung. Und wenn ich sehe, wie lange die Spieler aktuell nach dem Essen zusammensitzen, dann sehe ich, dass unser Wir-Gefühl sehr stark ausgeprägt ist und uns weit bringen kann.

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In Nationalteam treffen Spieler aus un­terschiedlichen Vereinen, Kulturen und Aufgabenverständnissen aufeinander. Wie gelingt es, all diese Egos, Hoffnungen und Ansprüche zu einem funktionierenden Kollektiv zu formen?

Die Spieler wissen: Wenn die Mannschaft erfolgreich ist, sind wir alle erfolgreich. Einer allein kann es nicht machen. Mir geht es manchmal auch darum, einen Spieler zu vergewissern, dass er sich den Druck nehmen soll, dass es von seiner Leistung abhängt, ob wir gewinnen oder nicht. Es ist meine Pflicht, individuelle Absichten in die Ziele der Mannschaft zu integrieren. Wir haben zunächst sieben WM-Spiele in zehn Tagen – das ist ein straffes Programm, da muss jeder wissen, wie er sich einbringen soll. Die Rollengespräche sind daher für mich das A und O, damit jeder seine Zuständigkeit aufgezeigt bekommt und die Erwartungen an ihn kennt.

Gab es Situationen, in denen Sie bewusst harte Entscheidungen treffen mussten, um den Teamfrieden zu schützen?

Nein. Für mich ist es aber jedes Mal, wenn ich einen Spieler nicht mitnehme zur nächsten Maßnahme, keine leichte Entscheidung. Bernhard Peters (ehemaliger deutscher Hockey-Trainer, DFB-Berater und Sportdirektor des Hamburger SV, d. Red.) hat mal gesagt: „Wer nominiert, enttäuscht.“ Das ist so. Und es gab schon den ein oder anderen Tag, an dem ich gesagt habe: So geht das nicht, so können wir nicht auftreten. Aber dabei sah ich nie in überraschte Gesichter. Die Jungs wussten es immer selbst, warum es nicht geklappt hat.

Ist Ehrlichkeit in der Ansprache zum Team relevanter als Diplomatie?

Anstand ist immer wichtig. Ich bin mit meinen Spielern durch und durch ehrlich, wir gehen alle offen miteinander um. Ich kann aber nicht um den heißen Brei herumreden. Ich muss schon auf den Punkt kommen. Dabei bleibe ich professionell, sachlich – und werde nie persönlich. Es geht mir auch bei der Aufarbeitung von Fehlern einzig um den Moment, nie um die Person.

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Wie erkennen Sie im Auswahlverfahren, ob ein Spieler nicht nur sportlich, sondern auch charakterlich ins Team passt?

Ich habe das letzte Wort. Aber es ist nicht meine Entscheidung allein. Ich führe viele Gespräche mit Stakeholdern – oft mit Christian Künast, unserem Sportdirektor. Und den Coaches in den Ligen. Nicht nur über Spieler, die bei ihnen spielen, sondern auch über Spieler, die für den Gegner spielen, die sie selbst beobachten. Ich spreche regelmäßig mit Klubmanagern. Ich bin grundsätzlich sehr kommunikativ und will einen holistischen Eindruck von jedem Spieler bekommen. Auch von seinem Umfeld: Wie geht’s ihm im Moment? Wie ist seine Leistung? Wie wird das beurteilt? So entsteht ein Bild, das zu einer Einladung zum Nationalteam führt – oder nicht.

Gibt es Eigenschaften, die ein Nationalspieler als Muss mitzubringen hat – oder ein Ausschlusskriterium?

Wir suchen stets nach Spielern, die sich mit ihrer Position und Stellung im Team identifizieren. Charakterlich hat noch nie etwas nicht gepasst. Und da die Jungs selten das erste Mal mit der Nationalmannschaft in Berührung sind, ist es für sie immer auch ein Ort, wo sie genau wissen: Okay, ich komme rein – hier herrscht ein besonderer Wettbewerb. Ich habe mehr Spieler als Positionen zur Verfügung. Aber das Nationalteam bildet einen Raum, in dem sie sich alle gern aufhalten. Sie spielen gern für Deutschland und begreifen es als Ehre. Das macht mir meinen Job leichter.

Was auffällt, ist die Besetzung Ihres Trainerstabs: Mit Serge Aubin haben Sie als Assistenten den Meistercoach der Ber­liner Eisbären dabei, zudem Alexander Sulzer, der in der DEL mit Bremerhaven ein Topteam betreut. Nach welchen Kri­terien wählen Sie Ihre Mitstreiter aus?

Nach Expertise. Man kann diese Besetzung auch mit dem Begriff der Schwarmintelligenz beschreiben, auch wenn da manche möglicherweise lächeln. Ich trage die Bezeichnung „Headcoach“, das stimmt, aber es ist viel mehr Kompetenz vorhanden. Serge Aubin kümmert sich um unsere Offensive, die Stürmer, das Powerplay – das macht er autark. Ich bin dabei, wir diskutieren – aber es ist seine Entscheidung. Genauso ist es bei Alexander Sulzer in Verteidigung und Unterzahl – er bestimmt. Wir besprechen alles, und ich bin froh, dass mich zwei solche Experten unterstützen. Ich lerne viel von ihnen, wir stehen in engem Kontakt. Außerdem sind ja auch Rob Leask, der zuletzt die Straubing Tigers in der DEL betreut hat, Ilpo Kauhanen von Ingolstadt als Torwarttrainer und Adam Mitchell als Video-Coach dabei. Sie genießen aufgrund ihrer Vita ebenfalls von mir und dem Team höchste Wertschätzung. Wir profitieren voneinander. Keiner scheut sich, seine Gedanken vorzubringen. Es geht nicht darum, wer recht hat – sondern was richtig ist.

Gibt es für Sie Werte, die über den Erfolg im Sport für das Nationalteam stehen sollen?

Ich hatte in meiner Karriere schon in einigen Klubs gearbeitet, bevor ich im März 2023 als Bundestrainer beim DEB begonnen habe. Das ist eine völlig andere Dimension, die Bühne, auf der ich mich nun bewege, ist viel größer. Aber meine Motive sind genau gleich: Ich will Bedingungen für die Spieler schaffen, dass sie zeigen, was in ihnen steckt. Und dass die Zuschauer im Stadion und an den Bildschirmen Spaß haben an dieser Mannschaft. Die Spieler sollen durch ihr Auftreten auf dem Eis und durch ihr Verhalten fern der Eisfläche begeistern. Ich habe noch nie einen Nationalspieler gesehen, der an einem Fan vorbeilief, der ein Autogramm wollte. So muss das sein. Die Nationalmannschaft soll nahbar sein und Freude bereiten.

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