#Einen grauen Wolf erkennen
Inhaltsverzeichnis
Die türkischen rechtsextremistischen Grauen Wölfe sind rassistisch, antisemitisch, gewalttätig und können sich in Deutschland nahezu unbehelligt ausbreiten. Warum prüft man nicht endlich ein Verbot der Organisation?
Nur weil etwas legal ist, ist es noch lange nicht legitim. Und nur weil man etwas verbietet, ist es noch lange nicht verschwunden. Alle paar Monate, immer, wenn etwas vorgefallen ist, geistern die Grauen Wölfe wieder durch die Medien. So wie jetzt in Belgien.
Da hatte vor zwei Wochen ein Mob aus türkischen Rechtsextremen Kurden angegriffen, die gerade von einer Newroz-Feier (dem kurdischen Neujahrsfest) kamen. Sechs Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Auf Videos, die auch von den Tätern selbst verbreitet wurden, sieht man die Rechtsextremen das Haus der kurdischen Familie umzingeln. Ihre Hände sind zum Wolfsgruß gereckt, eine kurdische Flagge brennt, man sieht eingeschlagene Autoscheiben. Sie rufen „Bismillah, Allahu Ekbar“. Einen Brandanschlag auf das Haus verhinderte die Polizei.
Erinnerungen an das Massaker von Sivas
Man musste sofort an Sivas denken, wo türkische Rechtsextreme und Islamisten 1993 das Madimak-Hotel, in dem gerade ein alevitisches Kulturfestival gefeiert wurde, anzündeten. 35 Menschen verbrannten bei lebendigem Leib. Einige der Täter lebten später unbehelligt in Deutschland. Allein 24 waren der Bundesregierung bekannt, wie man der Antwort auf eine kleine Anfrage der Linken von 2006 entnehmen kann. Im Laufe der Jahre wurden zwar Strafanzeigen gestellt – zuletzt 2019 –, und es gab weitere kleine Anfragen und Antworten. Passiert ist jedoch bis heute nichts – und das ist symptomatisch für den Umgang mit türkischem Rechtsextremismus.
Ronya Othmann
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Bild: Kat Menschik
Dabei ist das Problem seit Langem bekannt. Die Extremisten organisierten sich schon in den Sechzigerjahren, und die rechtsextreme MHP gründete Auslandsvertretungen. Gewerkschaftler warnten vor der Gefahr, aber man hörte nicht auf sie. Im Gegenteil: Im Jahr 1978 empfing der CSU-Chef Franz Josef Strauß Alparslan Türkeş, Gründer der MHP und deren paramilitärischen Arms, der „Ülkücü“, der Grauen Wölfe. Im Vordergrund stand wohl der Kampf gegen den gemeinsamen Feind, den Kommunismus. Die vielen politischen Morde und die zutiefst rassistische (vor allem gegenüber Kurden, Armeniern, Aleviten) und antisemitische Ideologie der Grauen Wölfe war offenbar nicht von Belang.
1978 wurde auch die „Türk Federasyon“ gegründet. Einige Jahre später folgte die ATIB, die übrigens auch Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime ist. Bis heute betreiben die türkischen Rechtsextremen Moscheen, sind aktiv in der Jugendarbeit, veranstalten Konzerte, verbreiten in Workshops ihre Ideologie. Sie trainieren in eigenen Fußballvereinen, betreiben Box- und Motorradklubs. Man erkennt sie an ihren Wolf-Emblemen, den drei Halbmonden, den Orchon-Runen und den obligatorischen Türkeiflaggen.
Eine Blutspur quer durch Europa
Die Grauen Wölfe sind die größte rechtsextreme Organisation in Deutschland, heißt es. Der Verfassungsschutz zählt etwa 12.100 Anhänger. Sie gelten nicht nur als gewaltbereit, sondern auch als gewalttätig. Sie hinterlassen in Europa eine Blutspur. Der Bauingenieur Neşet Danış – 1974 bei einem Treffen des Vereins türkischer Arbeitnehmer zu Tode geprügelt. Der Lehrer und Gewerkschafter Celalettin Kesim – 1980 in Kreuzberg nach einer Messerattacke verblutet. Das Attentat auf Papst Johannes Paul II. – 1981 ebenfalls von einem Anhänger der Grauen Wölfe verübt. Der kurdische Jugendliche Sedat Kalan – 1995 in Neumünster erschossen – und zwei weitere Jugendliche, die ebenfalls durch Schüsse zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden. Die Ermordung von Ercan Alkaya, einem Aleviten – 1997 in Kiel auf dem Nachhauseweg erschossen. Der Kurde Ibrahim Algöz – 1999 in Groningen ermordet. Erol Ispir – 1999 in Köln erstochen. Ibrahim Demir, ein kleinwüchsiger Kurde – 2020 in Dortmund von einem Anhänger der Grauen Wölfe zu Tode getreten.
Es war nicht verwunderlich, wenn auch längst überfällig, dass Ende 2020 Union, SPD, Grüne und FDP in einem gemeinsamen Antrag forderten, den Einfluss der Ülkücü-Bewegung zurückzudrängen und ein Organisationsverbot zu prüfen. Passiert ist seitdem nichts. Über die Gründe lässt sich nur mutmaßen. Vielleicht wegen der diplomatischen Beziehungen zur Türkei – die AKP regiert schließlich in einem Bündnis mit der MHP. Oder man hat es angesichts all der anderen Extremisten, die in Deutschland herumspazieren, schlicht vergessen. Doch selbst wenn nun endlich etwas passieren würde: Ideologien lassen sich nur schwer verbieten.
Meist erfolgt nach einem Verbot eine Strukturverschiebung. Das kann man etwa an der 2003 verbotenen islamistischen Hizb ut-Tharir sehen. Deren Anhänger finden sich heute bei Generation Islam, Realität Islam und Muslim Interaktiv wieder. Trotzdem spricht vieles für ein Verbot und die Zerschlagung der Organisations-, Rekrutierungs- und Finanzstrukturen. Es hätte auch zur Folge, dass man einmal sehr ausführlich über die Extremisten spräche. Denn was sie so gefährlich macht, sind nicht allein sie selbst, sondern die Ignoranz der Gesellschaft. Ein erster Schritt bestünde darin, einen Grauen Wolf als solchen zu erkennen.
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