Christian Zübert: ‚Das Konsulat ist damit fast so etwas wie eine Hauptfigur‘

In dem neuen Netflix-Spielfilm «Exterritorial» verschwindet das Kind einer Mutter. Doch die Amerikaner behaupten, dass das Kind auf dem Gelände gewesen sei. Alles nur Einbildung oder eine große Verschwörung?
«Exterritorial» handelt von Sara, einer Ex-Soldatin mit PTSD, die mit ihrem Sohn Josh ein neues Leben in Amerika beginnen will. Als sie mit Josh im US-Konsulat in Frankfurt wegen ihrem Visum vorspricht, verschwindet er plötzlich. Nach kurzer Suche der Schock: der Konsulats-Sicherheitsdienst hat Videos und Check-in-Listen gecheckt – ihr Sohn wäre nie hier gewesen! Sie zweifeln an Saras Verstand und bitten sie zu gehen. Doch sie weiß: ein Konsulat ist exterritoriales Gebiet, deutsche Polizei und Behörden haben hier keine Befugnis. Wenn sie jetzt geht, wird sie ihren Sohn vielleicht nie wieder sehen. Sie muss es schaffen, auf dem riesigen Konsulatsgelände zu bleiben und ihren Sohn zu suchen.
Ihr Werk verbindet Actionthriller mit einem emotionalen Mutter-Kind-Drama. Was hat Sie an dieser ungewöhnlichen Mischung gereizt?
Ich liebe Filme, die so etwas schaffen, die das Entertainment und das Spektakel eines Genresfilms mit der Ernsthaftigkeit eines Dramas verbinden. Wer nur das will, bekommt den Spaß, den Joyride, den wilden Ritt des Actionthrillers – aber wer mehr will, der bekommt auch die Geschichte einer Mutter, die ihre eigene Stärke wiederfinden muss. Ich denke, nur straighte Action, das ist fast nicht mehr zeitgemäß, da wurde schon alles durch dekliniert und wenn, dann muss man da Schauwerte bieten, wo wir budgetmässig sowieso nicht mit Hollywood konkurrieren können. Wir müssen das Besondere so eines Filmes anders generieren, das kann Humor sein oder eine originelle Perspektive und im Fall von Exterritorial ist es die Emotionalität.
Der Film spielt fast ausschließlich auf dem Gelände eines US-Konsulats einem rechtsfreien Raum mitten in Deutschland. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?
Durch ein eigenes Erlebnis. Wir waren einmal mit unseren Kindern in diesem US-Konsulat, das wirklich so groß ist wie eine kleine Stadt, um ein kurzfristiges Visum zu beantragen. Dort gab es wie im Film einen Spielplatz, auf dem wir unsere Kinder gelassen haben. Da kam mir die Idee: was wäre, wenn sie jetzt verschwunden wären und die im Konsulat behaupten würden, unsere Kinder wären nie hier gewesen. Wir hätten überhaupt keine Handhabe. Das mit dem Visum hat leider nicht geklappt, aber dafür bin ich mit einer Filmidee nach Hause gegangen.
Die Geschichte lebt stark von der inneren Anspannung der Hauptfigur Sara. Wie haben Sie diese emotionale Reise inszenatorisch greifbar gemacht?
Zuallererst ist es natürlich Jeannes großartiges Spiel. Wir haben versucht, sie mit der Kamera zu unterstützen, indem wir so nah wie möglich an ihr dran waren, immer auf ihrer Augenhöhe – und dem DOP Matthias Pötsch ist ein großartiger Effekt eingefallen: der Focus Puller hat in solchen Momenten bei Nahaufnahmen von Sara schnell an dem Schäferegler herum gerüttelt, wodurch so ein subkutanes Beben im Bild entsteht – was den Eindruck erweckt, dass es Sara innerlich fast zerreißt.
Jeanne Goursaud trägt als Sara den Film fast allein. Was hat sie für diese Rolle prädestiniert und wie haben Sie gemeinsam an der Figur gearbeitet?
Jeanne ist einfach eine großartige Schauspielerin, die sich emotional total durchlässig macht und gleichzeitig eine große Stärke ausstrahlt. Bei der Vorbereitung habe ich es gemacht wie immer: viel über die Rolle sprechen, viel Proben. Auf der physischen Ebene war es mir wichtig, dass Jeanne alle ihre Kämpfe selbst bestreitet. Der Zuschauer sollte fühlen, das ist sie, das passiert ihr. Das hat eine enorme Vorbereitung von ihr erfordert, neben mehrmonatigen Grundlagentraining hat sie sechs Wochen jeden Tag die Kampfhoreographien trainiert. Und sie hat es unglaublich gut gemeistert.
Das Thema Verschwindenlassen erinnert an politische Thriller der 70er-Jahre. Gab es filmische oder literarische Vorbilder, an die Sie bewusst anknüpfen wollten?
Ich wollte, dass sich der Film physisch anfühlt, echt. Dass die Schläge wehtun, dass sie Kraft kosten, dass man auch mal daneben schlägt. Dass da echte Menschen auf dem Bildschirm sind, keine over-the-top-Actionhelden. Vorbilder waren in der Tat die großen Thriller Regisseure der 70er Jahre, z.B. Friedekin, Frankenheimer oder Costa-Gravas. Weniger von der Geschichte und der Visualität her, die Filme sind ja dann doch schon fast 50 Jahre alt – aber vom physischen und emotionalem Realismus fand ich sie sehr inspirierend.
Der Drehort Wien spielt Frankfurt und das Innere des Konsulats wirkt fast klaustrophobisch. Wie wichtig war das Szenenbild für die Atmosphäre des Films?
Extrem wichtig. Das Konsulat ist praktisch der einzige Spielort der Geschichte und damit fast so etwas wie eine Hauptfigur. Wir haben lange mit der Szenenbildnerin Heike Lange daran getüftelt, wie wir diese amerikanische Bürokratie so gestalten, dass sie realistisch und authentisch bleibt und gleichzeitig zur Dramaturgie der Geschichte beiträgt. Die Authentizität war mir nicht nur bei den Schauspieler:innen und der Geschichte, sondern eben auch bei dem Drehort wichtig.
Lera Abova spielt eine geheimnisvolle Doppelrolle. Ohne zu spoilern: Was war Ihnen bei der Besetzung und Umsetzung dieser Figur besonders wichtig?
Eben genau dieses Ambivalenz – eine Figur, bei der man nie richtig weiß, woran man ist. Oder die man sich vielleicht nur einbildet? Lera hat es großartig hinbekommen, permanent zwischen Wärme und Härte, zwischen Zugänglichkeit und Distanz zu wechseln.
In einer Zeit, in der viele Actionstoffe mit CGI überladen sind: Wie haben Sie den Spagat zwischen realistischer Action und psychologischem Tiefgang geschafft?
Ein Regisseur, ich kann mich leider nicht an den Namen erinnern, hat einmal gesagt: du kannst das Auto so spektakulär explodieren lassen, wie du willst. Wenn dem Zuschauenden die oder derjenige egal ist, der/die drin sitzt, dann hättet du dir das Geld auch sparen können. Deswegen waren mir bei «Exterritorial» die Figuren immer am wichtigsten – dass der Zuschauende Empathie für sie hat, mit ihnen mitgeht. Und die Action musste sich immer echt anfühlen – auch wenn die CGI noch so gut gemacht ist, am Ende spürt der Zuschauende immer die Künstlichkeit. Deswegen ist bei uns bis auf einige Retuschen alles handgemacht.
Die Veröffentlichung über Netflix gibt dem Film weltweite Reichweite. Hatten Sie beim Dreh auch das internationale Publikum im Hinterkopf?
Meine Produzent:innen werden jetzt die Hände über den Kopf zusammenschlagen, aber ich denke beim Schreiben und Inszenieren eigentlich nie groß an die Zielgruppe. Ich denke, wenn die Geschichte und die Figuren einen emotional packen, man mit ihnen mitgeht, dann passiert der Rest von ganz allein. Das sieht man gerade an «Adolesence». Eigentlich ein sehr arthousig erzähltes, sozialpolitisches Drama, also auf dem Papier jetzt erstmal kein Blockbuster – und bricht alle Rekorde.
Was wünschen Sie sich, was die Zuschauer nach «Exterritorial» mitnehmen neben Spannung und Nervenkitzel?
Ich hoffe, dass sie sich auf emotionale Reise von Sara und den anderen Figuren einlassen. Mit ihnen fühlen, leiden, an ihnen zweifeln und sich freuen, wenn sie ihre Stärke finden. Unter der Action und dem Thrillerplot ist es letztlich ein Drama über Menschen, die alle auf ihre Art um ihre Heimat und ihre Familie kämpfen.
Danke für Ihre Zeit!
«Exterritorial» erscheint am Mittwoch, den 30. April, bei Netflix.
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