#Das Geschäft mit den Scheinvaterschaften
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„Das Geschäft mit den Scheinvaterschaften“
Die Behörden wissen genau, was geschieht. Aber weil ihnen rechtlich die Hände gebunden sind, müssen sie mitansehen, wie mit der Anerkennung angeblicher Vaterschaften Missbrauch betrieben wird. Beispiele dafür gibt es aus dem gesamten Bundesgebiet. In Bremen geht es um einige hundert Personen aus Ghana und Nigeria. In Berlin ist die Methode unter Vietnamesen verbreitet. Aus Nordrhein-Westfalen wird über Familienverbände aus Balkanstaaten berichtet, deren Asylantrag zuvor wiederholt abgelehnt wurde. Doch wenn dann plötzlich ein deutscher Vater für ein Baby präsentiert wird, erhält dieses „Ankerkind“ die deutsche Staatsangehörigkeit – und die Familie muss nicht in ihr Heimatland zurückkehren, sondern erhält in Deutschland Aufenthaltsrecht und Sozialleistungen.
Denn zum System der Scheinvaterschaften gehört es, dass der anerkennende Vater selbst ebenfalls von staatlichen Transferleistungen lebt und sein angebliches Kind vermutlich nie unterhalten wird. Das Geld fließt stattdessen in die entgegengesetzte Richtung. Die Behörden nehmen an, dass die Männer für die Anerkennung der unehelichen Vaterschaft mehrere Tausend Euro in bar erhalten. Die Zeugungskraft mancher dieser Männer ist zumindest auf dem Papier groß. Im Jobcenter Mönchengladbach kennt man einen Mann, der 14 Vaterschaften anerkannt hat, und einen, bei dem es sogar 15 sind.
Der F.A.Z. liegt ein Schreiben der Bezirksregierung Arnsberg von 2019 vor, in dem die Behörde auf Schlepperbanden im Hintergrund hinweist und vor volkswirtschaftlichen Schäden in beträchtlicher Höhe warnt, da eine Vielzahl von Personen über Jahre in den Genuss von Sozialleistungen komme.
Offenkundige Lücke im Gesetz
Auch der ehemalige Bundesverwaltungsrichter Harald Dörig, der viele Jahre letztinstanzlich für das Ausländerrecht zuständig war, spricht von einer offenkundigen Lücke im Gesetz. Ausgangspunkt sei das modernisierte Kindschaftsrecht von 1997 gewesen, erklärt Dörig. Die damalige Reform stellte neben die leibliche Vaterschaft das Konzept einer sozialen Vaterschaft und gestaltete deren Anerkennung „bewusst voraussetzungsarm“. Die Möglichkeit zum Missbrauch war damit geschaffen und wurde auch bald genutzt.
Die Bundesregierung reagierte, indem sie bei missbräuchlicher Anerkennung von Vaterschaften ein behördliches Anfechtungsrecht einführte. Diese Regelung wurde jedoch 2013 durch das Bundesverfassungsrecht für nichtig erklärt. Seither sind die Behörden weitgehend machtlos, sobald eine Vaterschaft erst einmal anerkannt worden ist. Der Gesetzgeber reagierte auch darauf und etablierte 2017 eine präventive Missbrauchskontrolle.
In der Praxis zeigte sich jedoch rasch, dass diese Regelung leicht umgangen werden kann. Nach derzeitiger Gesetzeslage darf man nämlich frei auswählen, bei welchem Jugendamt, Standesamt, Amtsgericht, deutschen Konsulat oder Notar man die Vaterschaftsanerkennung beurkunden lässt. Weitaus am häufigsten geschieht die Anerkennung durch Notare. Diese sind laut Gesetz zwar ebenfalls zu einer genauen Prüfung verpflichtet. In dem internen Dokument aus Arnsberg heißt es jedoch, dass nur wenige Fälle bekannt sind, in denen Notare Verdachtsfälle an die Ausländerbehörden gemeldet hätten. Stattdessen wisse man von Notaren, die an vielen mutmaßlich missbräuchlichen Vaterschaftsanerkennungen beteiligt seien.
Der F.A.Z. liegt ein Schreiben der Berliner Ausländerbehörde an die dortige Notarkammer vor, in dem konkrete Beispiele genannt werden. Demnach hat ein einziger Notar allein 2017 mehr als 200 Vaterschaftsanerkennungen beurkundet. Das Gesetz laufe dadurch „praktisch leer“, warnt die Behörde und mahnt die Notare: Solche Vorgänge könnten „das Bild des Notars als Träger eines öffentlichen, vom Staat verliehenen Amtes“ beschädigen. Die Bundesnotarkammer spricht auf Anfrage der F.A.Z. von „Einzelfällen“. Es lägen keine Anhaltspunkte für eine falsche Handhabung vor, und es gebe auch keinen Grund, auf den Berufsstand einzuwirken. Harald Dörig widerspricht. Der frühere Bundesrichter hat – so wie viele Behörden – den Verdacht, dass bei den beteiligten Notaren auch finanzielle Interessen eine Rolle spielen.
Gescheitert sind bisher alle Versuche, die offenkundige Lücke im deutschen Recht zu schließen. Die Land Nordrhein-Westfalen hatte im Sommer einen Gesetzesantrag im Bundesrat präsentiert. Die schwarz-gelbe Landesregierung zog ihren Vorschlag allerdings im November wieder zurück, da sich keine ausreichende Zustimmung anderer Länder abzeichnete. Auf der Bundesebene gibt es schon seit Jahren Zank über die Scheinvaterschaften zwischen dem unionsgeführten Innenministerium und dem SPD-geführten Justizministerium. Die geltende, in der Praxis untaugliche Rechtslage von 2017 war bereits das Ergebnis eines Kompromisses zwischen SPD und CDU.
Das Innenressort unterbreitete seither mehrere Änderungsvorschläge. „Leider sind bisher alle Versuche an dem Unwillen des Bundesjustizministeriums gescheitert“, klagt der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg. Gegenwärtig gibt es in der Sache keine weiteren Gespräche, heißt es von beiden Seiten. Es wird auch nicht mehr erwartet, dass es noch in dieser Legislaturperiode eine Lösung gibt, obwohl auf der Unionsseite von einer „beachtlichen Häufung“ von Scheinvaterschaften „mit ansteigender Tendenz“ die Rede ist.
Der frühere Bundesrichter Dörig erklärt sich die Abwehr des Justizministeriums mit einer Sorge um den Bestand des reformierten Familienrechts. Dörig hat deshalb einen Vorschlag erarbeitet, wie man den Missbrauch verhindern könnte, ohne die Reform des Familienrechts anzutasten. Man müsste lediglich vorschreiben, dass die Anerkennung einer Vaterschaft vorab der Ausländerbehörde zur Zustimmung vorgelegt werden muss, wenn ein Elternteil nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt.
Samstags um 9.00 Uhr
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