#„Das Hausboot“ bei Netflix: Der Kahn muss sinken!
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„„Das Hausboot“ bei Netflix: Der Kahn muss sinken!“

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In der neuen Netflix-Serie „Das Hausboot“ renovieren Fynn Kliemann und Olli Schulz das alte Hausboot von Gunter Gabriel. Am Ende bleibt nur eine Frage: Warum sollen wir ihnen dabei zusehen?
Die Streamingdienste haben sich zuletzt nicht mit Ruhm bekleckert. Netflix quälte mit seinem Corona-Kammerspiel „Malcolm & Marie“, Amazon setzte „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ und „Der Prinz aus Zamunda 2“ in den Sand, der Blockbuster „Wonder Woman 1984“ bei Sky fährt maue Kritiken ein und Disney+ provozierte mit „WandaVision“ einen maßlos überbewerteten Fan-Rummel. Kurzum: Es gab viel Schreckliches zu sehen und auch in dieser Woche gibt es wieder Schreckliches zu sehen.
Jetzt sind es der Heimwerkerkönig Fynn Kliemann und Musiker Olli Schulz, die sich durch das marode Hausboot von Gunter Gabriel werkeln und zoffen, dass der Hamburger Hafen wackelt. Gunter Gabriel, wer war das doch gleich? „Ich weiß nur, dass der coole Sachen gemacht hat. So in Form von Leute motiviert und halt so ein bisschen kreatives Zentrum versucht hat zu erschaffen. Ich glaube, das machen wir auch“, überlegt Fynn Kliemann.
Sein neuer Kollege Olli Schulz hatte das Boot nach dem Tod des Schlagersängers 2018 erworben und Tausendsasa Kliemann angeheuert, um es mit einem Team aufzupolieren. Ein großer Berg Arbeit! Herauskommen soll eine schicke Location für alle Kreativen, die einfach mal raus aus dem Alltag wollen. Oder diejenigen, die das Boot für eine Feierlichkeit mieten wollen, Geld muss ja schließlich auch in die Kasse kommen. Und weil der ganze Spaß dafür überhaupt erst einmal Öffentlichkeit braucht, sind die Kameras dabei, anders lässt sich diese schnell vergessene Netflix-Dokuserie kaum erklären.
Influencer-TV
„Das Hausboot“ ist im Grunde genommen eine vierteilige Werbeveranstaltung. Für das Boot, für das „Kliemannsland“, selbst Olli Schulz darf sich noch fix beim Podcasten mit Jan Böhmermann filmen lassen. Getarnt ist das alles mit einem hanebüchenen Schweiß-und-Tränen-Narrativ und etwas Buddy-Comedy. Jeder packt mit an, jeder macht sich mal dreckig, alle gehen über die Verzweiflung hinaus, um sich mal so richtig herauszufordern und etwas zu schaffen, das dem Gemeinwohl dienen soll.
Das „Kliemannsland„, das große Kreativprojekt von Fynn Kliemann, eine Art fiktiver Staat, funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Auf einem riesigen Gelände können sich Handwerker, Kreative und Freigeister zusammenfinden, um Erfahrungen auszutauschen, das Leben, Geselligkeit, vielleicht sogar etwas wie die ultimative Freiheit zu genießen. Nun, wer nach solchen Versprechen denkt, ein solcher Ort würde tatsächlich völlig aus bestehenden Strukturen ausbrechen, ist der heilen Influencer-Welt gehörig auf den Leim gegangen. Sowohl das „Kliemannsland“ als auch sein „Hausboot“-Spin-Off sind in ein beachtliches Marketing- und Geschäftsmodell eingebunden, das insbesondere auch von einer Anwesenheit von Kameras lebt. Eine Utopie, deren Weg als eigentliches Ziel populär wird.

Auf YouTube besser aufgehoben
„Das Hausboot“ fügt sich ein in eine Reihe an Kliemanns-Formaten, die am ehesten als moderene Sisyphos-Arbeiten begriffen werden können. Eigentlich eine ganz wunderbare Metapher! Immer mehr Schrott erwerben, besorgen und anhäufen, irgendetwas wird man damit schon basteln können. Ein eigenes absurdes Universum, das in seinem Nonsens immer weiter wächst und vielmehr die Arbeit an sich als deren eigentlichen Nutzen als Attraktion und Lebensinhalt begreift. Würde Albert Camus noch leben, er hätte mit Fynn Kliemanns Welt so einiges zu erforschen. Man muss das nicht per se verteufeln, ebenso wenig lässt sich behaupten, es würden sich nicht diverse lobenswerte Projekte in diesem Mikrokosmos aus Netz-Shows, Musikproduktionen, Basteleien, Events und Seminaren finden, gerade für Kreative. Da gibt es in der Influencer-Kultur nun wahrhaft schlimmere Abgründe zu finden.
Angreifbar macht er sich allerdings, wenn dabei so unnötig aufgeblasenes Fernsehen wie „Das Hausboot“ herauskommt, dem gerade auch der anarchische Geist der Netzvideos fehlt. Als langes YouTube-Video wäre das in Ordnung, als über zweistündiges Netflix-Format fühlt man sich jedoch veräppelt. Die Serie baut sogar immer wieder Social-Media-Inhalte in seine Ästhetik ein. Generell ist der Medienrummel interessanter als der Bauprozess selbst.
„Das Hausboot“ ist vor allem ödes Renovierungsfernsehen, das Produktivität und Gemeinwohl feiert, aber im Kern in erster Linie um die eigene Selbstdarstellung kreist. Mittendrin zwei durchaus charismatische erwachsene Männer, Entertainment-Profis, die sich gerne mal wie kleine bockige Jungs benehmen und Späße und Gezänk vor der Kamera austragen, sei es nun gespielt oder nicht, es ist ohnehin egal. Zwei wandelnde Running-Gags, personifizierter Fanservice, der ohnehin nur diejenigen anspricht, die ihnen bereits zujubeln.
Ein ewiger Peter Pan
Das wird dann interessant, wenn die beiden etwa überlegen, was denn nun eigentlich ihre Berufsbezeichnung ist. Olli Schulz mag den Nagel auf den Kopf treffen, wenn er Fynn Kliemann als ewigen Peter Pan bezeichet, der aber im Kern vielleicht doch nur ein Werbe-Experte ist. Er selbst begibt sich in diese Maschinerie mit hinein. Gegen das Bootsprojekt an sich ist ja gar nicht unbedingt etwas einzuwenden, aber dagegen, es zum vierteiligen Kunstwerk hochzustilisieren. Wenn Streamingdienste solchen Stoffen weiterhin folgen, dürften bald auch wieder Formate ihre Rückkehr feiern, die Menschen einfach beobachten, wie sie ein Haus bauen. Früher hat das Tine Wittler moderiert, heute machen das Influencer wie Fynn Kliemann.

Die Rückkehr des Batman
Prominente Gesichter und Namen hochhalten, sie in eher unfilmischer Banalität in Szene setzen, das Publikum möglichst lange an den Bildschirm fesseln, sie vielleicht noch, wie in diesem Fall, mit etwas Versöhnungskitsch und „ehrlicher Arbeit“ beglücken – das ist symptomatisch. Ob das nun die Künstlerkrise in einem Spielfilm wie „Malcolm & Marie“ oder der heruntergekommene Kahn von Gunter Gabriel ist, es spielt schon gar keine Rolle mehr, worum es überhaupt geht. Hinter der nächsten Ecke wartet ja bereits die nächste Gerümpelkammer, aus der sich Gold machen lässt. Oder anders gesagt: Netflix verwandelt sich selbst in so eine Gerümpelkammer. Einfach jeden Stoff durchwinken, irgendjemand wird es schon gucken. Tatsächlich: Schon nach einem Tag hat es „Das Hausboot“ in die Top 10 geschafft.
Am Ende ist das ein überlanges Making-Of-Video für Fans, das man zum Frühstück nebenbei laufen lässt, keine Serie, die irgendetwas Erhellendes zeigen oder erzählen würde. In so viel aufgesetztem Motivations-Fernsehen wäre es ja noch spannender gewesen, wenn das Projekt tatsächlich gescheitert wäre, wie es zwischendrin den Anschein erweckt. Die Geschichte vom Sisyphos ist schließlich auch nur solange interessant, wie der Stein den Berg hinabrollt. Aber was ist eigentlich, wenn er tatsächlich oben ankommt?
Gegen Ende findet auf dem Hausboot eine Musik-Session statt. Fynn Kliemann sitzt mit einer Batman-Maske am Keyboard. Ein interessantes Bild! So wie Batman als reicher Mann auf Verbrecherjagd geht und sich für die Bedrohten einsetzt, um letztlich doch nur den gesellschaftlichen Status Quo zu festigen, ist es im „Hausboot“ nicht anders. Gefeiert wird die Arbeit der „kleinen Leute“, der Freigeister, die all das in erster Linie deshalb tun müssen, um das selbst inszenierte Video-Universum am Leben zu halten.
„Das Hausboot“ ist seit dem 9. März bei Netflix zum Streamen verfügbar.
Redaktion
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