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#Das Paradies ist nicht genug

Das Paradies ist nicht genug

Wo beginnen? Wie mit übervollem Herzen nach ferner Reise möchte man mit allem zugleich herausplatzen. Beginnen wir, wie es die vollendet tragikomische und fantastisch besetzte Miniserie aus der Feder und in der Regie von Mike White selbst tut: in medias res, und zwar mit zwei Brechungen, einer optischen, einer poetischen. Die erste belegt, wie überragend Ben Kutchins’ Kamera, die sich mit verschlagener Empathie durch Sand, Betten und Seelen wühlt, hinter der oberflächlichen, exotistischen Falschheit eines hawaiianischen Luxusresorts eine tiefere Verlogenheit freizulegen weiß.

Und wie gefährlich diese Kamera bleibt, die gern durchs lieblich glitzernde Meer tollt, aber doch stets ein Unglück zu wittern scheint. Man könnte es eine permanente Doppelbelichtung nennen: Die Reichen im Paradies (Geld drückt jedes Kamel durchs Nadelöhr) werden sozusagen nackt gezeigt, in all ihrer grotesken Menschlichkeit, aber nicht denunziert. Alles hier ist unendlich schön und unendlich schrecklich zugleich. Um Punchlines geht es dem Buch nicht. Der Irrsinn, der sich entfaltet (und wie er das tut!), bleibt zutiefst glaubhaft.

Was wir in besagter Szene also sehen, ist ein sympathisch verkorkstes Gespräch zwischen Vater (Steve Zahn) und Sohn (Fred Hechinger) über Untreue. Es findet in einem Pool statt, und der Kamerawinkel ist so gewählt, dass wir zwei auf dem Wasser tanzende Köpfe sehen und darunter comicmäßig deformierte Körper, eine herrliche Verschiebung ins Groteske, ohne dass es allzu beabsichtigt wirkte. Die poetische Brechung findet kurze Zeit später statt, als die eigentliche Zentralfigur in diesem immer mehr als Limbus erkennbaren Zwischenreich, der stets servile, aber einen kalten Krieg mit seinen VIP-Gästen ausfechtende Hotelmanager Armand (eine Paraderolle für Murray Bartlett), gegenüber seiner einzigen Vertrauensperson, der Spa-Managerin Belinda (Natasha Rothwell), „Die Lotus-Esser“ von Alfred Lord Tennyson zitiert: „Hateful is the dark blue sky.“

Eine Spur der Verwüstung

Spätestens da wird aus einer boshaften Satire über schwerreiche, neurotische und egozentrische Amerikaner, die nach einer Woche Südsee-Urlaub eine Spur der Verwüstung hinterlassen, eine universelle Tragödie. Handelt Tennysons opakes Poem doch vom Verlust des Lebensantriebs, kaum dass alle Bedürfnisse durch den Lotus/das Opium gestillt wirken. Auch Mike Whites Serie zeigt uns Erlösungsbedürftige, für die die Perfektion eines durchorganisierten Traumurlaubs einen willkommenen kleinen Tod darstellt, eine Pause vom Alpha-Eroberungsdrang, freilich ohne dass ihnen die Befreiung von sich selbst gelänge.

Was die Serie von vielen Urlaubskomödien abhebt, ist die Akkuratesse und Konsequenz, mit der die teils prominenten Darsteller ihre Figuren zu echtem Leben erwecken. Drei Urlaubsparteien lernen wir näher kennen. Da ist zunächst Familie Mossbacher, deren Zentrum die Powerfrau und Tech-Unternehmerin Nicole bildet.

Behutsam: Belinda (Natasha Rothwell) massiert Tanyas (Jennifer Coolidge) Seele.


Behutsam: Belinda (Natasha Rothwell) massiert Tanyas (Jennifer Coolidge) Seele.
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Bild: HBO/Sky

Wie gut sie eine Frau spielen kann, die alles unter Kontrolle hat, hat Connie Britton schon in der Serie „Nashville“ bewiesen: Hier wirkt sie ähnlich klug, aber noch einschüchternder. Die Männer der Familie, Vater und Sohn aus dem Pool, sind gehemmt und unterwürfig. Die Tochter Olivia (Sydney Sweeney) hingegen erweist sich als zynisches Biest. Sie hat ihre College-Freundin Paula (Brittany O’Grady) mitgebracht, über deren pseudo-postkolonialen Aktivismus sich das Buch am bissigsten mokiert. Paula hat eine Affäre mit einem angestellten Hawaiianer, den sie anstachelt, sich gegen diese Invasoren in „seinem Land“ aufzulehnen: mit katastrophalem Effekt.

Als Armands Nemesis erweist sich Shane (Jake Lacy), ein Oberschicht-Muttersöhnchen, das die Flitterwochen (samt Besuch besagter Mutter) im „White Lotus“ verbringt, aber schon nach wenigen Minuten in der beeindruckenden Suite feststellt, dass es nicht das gebuchte Zimmer sein kann, weil eine eigene Terrasse fehlt. Daraus wird eine grandios gespielte Obsession, die Shanes traurig-schöne Frau (Alexandra Daddario) Folge um Folge darin bestärkt, den Fehler ihres Lebens begangen zu haben.

Am beeindruckendsten aber mimt Jennifer Coolidge eine deprimierte, alternde, unsichere, in den heilenden Händen Belindas ein Stück weit aufblühende Frau, die am Strand von Hawaii die Asche ihrer gehassliebten Mutter verstreuen möchte, wobei sie sich in all ihrem Unglück ganz selbstverständlich als Zentrum des Universums begreift. Ihr diese Arroganz übelzunehmen, erschwert der empathische Blick auf ihre Upper-Class-Derangiertheit: Coolidges Tanya schwebt immer ein wenig über dem Boden, aber was sie flüstert, sind doch Befehle.

Das privilegierte Amerika

Diese Nahaufnahme des privilegierten Amerikas ist hochkomisch, aber das durchweg in bedrückender Weise, weil Traum und Albtraum, Paradies und Hölle hier so subtil in eins fallen. Wo dermaßen starke Egos aufeinandertreffen, ist keine echte Verbindung zwischen den Menschen mehr möglich, schon gar nicht mit Personen außerhalb der eigenen Kaste, die darauf trainiert sind, identitätslos zu bleiben: Bei aller Dauerironisierung scheint diese Allegorie auf das gespaltene „Land of the Free“ ernst gemeint.

Drogen sind auch mit von der Partie, wobei sie zunächst eine ganz andere Wirkung zu entfalten scheinen als Tennysons Opium, aber die Sehnsucht nach dem großen Quietiv bricht sich doch Bahn: „Der Tod ist die letzte immersive Erfahrung, die ich nicht ausprobiert habe“, sagt Tanya einmal. Bald darauf gibt es einen tragisch grotesken Todesfall, auf den wir freilich seit dem Einstieg warten. White ist mit seiner mitten in der Corona-Zeit realisierten Serie ein Juwel gelungen, das auf jede To-watch-Liste gehört.

The White Lotus, ab heute via Sky Ticket, Sky Go und Sky Q. Mit deutscher Synchronisation läuft die Serie ab 23. August auf Sky Atlantic.

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