Jonas Rutsch im Interview über Platz 6 bei Radsport Klassiker Paris–Roubaix

Herr Rutsch, Sechster bei Paris–Roubaix, dem schwersten aller Radrennen. Ein großartiges Ergebnis. Wie fühlt man sich nach so einem Tag?
Mit welchen Erwartungen sind Sie ins Rennen gegangen? Sie haben es früh in eine Fluchtgruppe geschafft.
Es ist ja immer ähnlich: Mit Ausnahme höchstens von zehn Fahrern, die das Finale mitgestalten können, wollen alle vorn sein. Es dauert also eine Weile, bis sich die Gruppe richtig löst. Am Anfang geht’s immer voll zur Sache. Da fahren wir mit 65 bis 70 Stundenkilometern.
Wie war die Vorgabe, der Plan?
Vom Team war der Plan, dass ich ein Auge auf die Gruppe werfen soll. Ich war dafür eingeteilt und hatte mich vorbereitet. Ich hatte mir den Moment rausgepickt, in dem ich losgefahren bin. Und es hat dann auch geklappt. Eine ziemlich starke Spitzengruppe hat sich gelöst, und ich war dabei. Das Team UAE von Tadej Pogacar ist uns nachgefahren, weil es niemanden in der Gruppe hatte. Es war wirklich auf Messers Schneide, ob wir die Gruppe noch halten konnten, weil sie mit Vollgas von hinten nachgekommen sind. Aber irgendwann haben sie aufgesteckt. Unser maximaler Vorsprung lag so bei drei Minuten.
Wenn sich die Gruppe gebildet hat, worauf müssen Sie dann achten?
Sobald du in der Gruppe bist, musst du sofort vom Vollattackemodus in den Energiesparmodus umschalten, weil du weißt, dass sie von hinten irgendwann kommen werden. Wir sind bei Kilometer 100 als Erste in den ersten Pflaster-Sektor eingefahren, und das war schon eine Erleichterung. Dann hast du nicht den Stress, dich durch das große Feld kämpfen zu müssen, da kann immer was passieren. Natürlich kannst du versuchen, irgendwie in einer einigermaßen guten Position in einen Sektor reinzufahren, aber wenn es vor dir einen querstellt und er stürzt, dann machst du auf dem Kopfsteinpflaster nichts mehr, dann fliegst du drüber. Das hatte ich in den letzten Jahren zu oft. Letztes Jahr war ich nach einem Massensturz irgendwo in Frankreich im Krankenhaus, und dieses Jahr wollte ich einfach ein anderes Szenario. Ich hab mir gesagt: Lieber in der Gruppe sterben, als hinten nichts zu erben. Wir haben es in der Gruppe bis Kilometer 150 oder so geschafft. Ich bin noch als Erster in den Pflastersektor Arenberg reingefahren, dann kamen sie mit Vollgas von hinten.
Dann ist Überlebensmodus angesagt?
Ja, dann musst du in den roten Bereich gehen und kämpfen, um dran zu bleiben. Ich habe die nächsten 40 Kilometer praktisch nichts anderes gemacht, als ums Überleben zu kämpfen. Du musst dich so sehr reinbeißen und alles geben, weil du weißt, dass jeder Moment jetzt entscheidend ist. Wenn du jetzt rausfliegst, ist das Rennen für dich gelaufen. Es war ein ständiges Auf und Ab. Du musst dich immer wieder hochfahren, dann wieder runterfahren, ohne dich selbst zu sehr zu verausgaben.
Nach diesen harten 40 Kilometern, was passiert dann? Kann man sich von den Strapazen bis dahin wieder halbwegs erholen?
Es ist weniger, dass du dich erholst, sondern eher so, dass die anderen genauso müde werden wie du. Dann ist es eine Frage, wie du mit deinen Kräften haushaltest und dir das weitere Rennen einteilst. Irgendwann ist dann jeder auf dem gleichen Niveau, und es geht nur noch um Willenskraft.
Gab es diesmal keine Materialprobleme, keine Platten, keine Stürze?
Ich bin tatsächlich ohne Probleme durchgekommen. Natürlich ist das auch Glück, aber wenn du als Erster in einen Sektor fährst, kannst du dir auch die Linie aussuchen, du hast eine bessere Sicht und kannst die Steine besser erkennen. Du hast einfach mehr Handlungsspielraum. Wenn du im großen Pulk fährst, musst du der Linie folgen, die dir von anderen vorgegeben wird. Dann fliegst du auch mal über einen Stein und plötzlich ist das Vorderrad hinüber.
Wie geht es einem auf den letzten 20 Kilometern?
Zum Schluss zerfällt alles in Grüppchen und das Rennen wird ausgefahren. Wir waren am Ende noch zu dritt. Für uns ging es um Platz sechs und wir hatten uns schnell darauf geeinigt, dass es keinen Sinn macht, den starken Mann zu markieren und uns gegenseitig zu attackieren. Vielleicht kommst du weg, aber vielleicht stirbst du auch grausam auf dem Weg ins Velodrom und wirst wieder eingeholt. Wir haben gesagt, wir fahren jetzt zusammen und wer am Ende noch die meisten Körner hat, möge gewinnen. Und das war dann ich.
Was bedeutet dieser sechste Platz für Sie?
Ich habe schon öfter von einem „Achtungserfolg“ gesprochen, den ich mir wünschen würde, und dieser sechste Platz ist genau das. Er bedeutet mir viel, weil an diesem Tag so viel dranhängt und man so viel investiert die ganze Saison, die vielen Jahre um irgendwann endlich mal etwas zu erreichen. Am Sonntag war ein Tag, an dem man weiß, wofür man das alles macht, wofür sich die ganze Schufterei gelohnt hat.
Hinter der Ziellinie, wenn das langsame Sterben ein Ende hat: Wie fühlt man sich da?
Und dann? Erst mal in die berühmte historische Dusche im Velodrom?
Ja, es war das erste Mal, dass ich in dieser Dusche war. Normalerweise haben sie uns den Dreck immer mit dem Motorreiniger abgespritzt, oder ich habe mich einfach im Bus verkrochen. Aber dieses Mal war ich tatsächlich drin. Danach haben wir noch mit dem Team gefeiert, weil wir ein starkes Rennen gefahren sind. Wir hatten vier Leute unter den ersten 20. Meine Familie war auch da, und wir haben den Abend gemeinsam ausklingen lassen.
Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Jetzt ist erstmal Pause. Ich werde das Fahrrad diese Woche nur begrenzt anschauen – vielleicht gar nicht. Aber ich freue mich schon auf mein nächstes Rennen: am 1. Mai in Frankfurt.
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