#Der große Schmetterball des Tischtennissports
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„Der große Schmetterball des Tischtennissports“
Schneller, höher, stärker, das mag für Athleten mit olympischen Ambitionen gelten. Für Sportverbände und deren Vermarkter dagegen lautet das Dreier-Motto: mehr Spektakel, mehr Aufmerksamkeit, mehr Geld. So streitet der Fußball um eine europäische Super League und eine Weltmeisterschaft alle zwei Jahre, auch Gedanken um Play-off-Spiele in der Bundesliga schwirren durch Funktionärsköpfe.
Andere Sportarten haben mit nicht gar so lauten Nebengeräuschen wie der Fußball schon Neuerungen durchgesetzt, zum Beispiel Tennis, wo Mannschaftswettbewerbe umgemodelt oder erfunden wurden. Auch Badminton, Darts und Volleyball haben sich längst neu zu positionieren versucht im Kampf um öffentliches Aufsehen. Stillstand ist Rückschritt, lautet das allgemeine Empfinden, das nun auch die Internationale Tischtennis Föderation (ITTF) und ihre Wirtschafts- und Vermarktungstochter WTT zu beherzigen versucht. Und wie!
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Ein bisschen Reform hier und da waren den hohen Tischtennisherren nicht genug, sie wollten die Revolution. Also haben sie mit externen Beratern und Vermarktern eine komplette Turnierserie ausgeheckt, die spektakulär daherkommt und sämtliche Potentiale im Tischtennis, wie es im Managerdeutsch so schön heißt, heben soll. Herausgekommen ist WTT, gewissermaßen als Ersatz der bisherigen World Tour. Damit orientiert sich der Verband am Profitennis und an seinen lukrativen Serien für Herren (ATP) und Damen (WTA) plus den vier Majors.
An diesem Freitag startet in Singapur nun der erste „Grand Smash“, nicht nur dem Namen nach angelehnt an die Grand-Slam-Tennisturniere. „Ein Traum wird wahr“, jubiliert ITTF-Vorstandschef Steve Dainton. Die geplanten vier Grand-Smash-Turniere würden zu „Vorzeigeveranstaltungen“, die gesamte WTT-Serie könnte im Tischtennis „Milliarden Dollar“ freisetzen: „Wir kratzen erst an der Oberfläche unseres Geschäftsmodells“, sagt der Australier Dainton.
Eine Entwertung für Olympia und WM?
Und was steckt hinter den Versprechungen? Auf den ersten Blick viel Gutes. Die jeweils 64 Damen und Herren, die im Hauptfeld starten, bekommen von vorneherein 5000 Dollar und einige Weltranglistenpunkte. Fürs Erreichen der zweiten Runde gibt es schon 10.000 Dollar, die jeweiligen Einzelsieger bekommen letztlich gar 100.000 Dollar (umgerechnet rund 88.000 Euro) sowie 2000 Weltranglistenpunkte, so viele wie bislang nur bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Insgesamt ist der erste Höhepunkt der diesjährigen Turniersaison mit für Tischtennisverhältnisse sagenhaften zwei Millionen Dollar (1,75 Millionen Euro) dotiert.
Weltmeister, Olympiasieger und die anderen Stars sind pflichtgemäß und nahezu komplett nach Singapur gereist. Die meisten äußern sich freundlich über die neue Bühne, die ihnen bereitet wird, beispielsweise den schicken Showcourt in der OCBC Arena. Timo Boll, während der Anreise 41 Jahre alt geworden, zeigt sich eher unaufgeregt. „Ich nehme an, dass es sich zu Beginn nicht großartig anders anfühlen wird als ein normales Turnier“, sagt die Spitzenkraft unter den elf deutschen Teilnehmern. Dass es mehr Preisgeld gebe, mache „aber nicht den Spirit und das Prestige aus, das wird erst über Jahre entstehen müssen“.
Überall am Ball: Timo Boll hat im Tischtennis schon vieles erlebt, aber noch keine Turnierserie wie im Tennis.
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Bild: Imago
Trotz allem Vorschusslorbeer, den sie an sich selbst verteilt haben, ist den Tischtennis-Funktionären selbst klar, dass der Erfolg nicht von heute auf morgen durchschlagend wird. Schon der WTT-Start, eigentlich für 2021 geplant und wegen der Corona-Pandemie verschoben, verlief holprig. Im Verband wurde über WTT gestritten, weil einige die Entwertung von WM und Olympia befürchteten. Zudem wirkt die diesjährige Planung mehr improvisiert als bahnbrechend. Singapur wurde erst vor fünf Wochen als Austragungsort bekannt gegeben, und wer weiß, wo die anderen drei Grand-Smash-Turniere stattfinden werden.
Dazu kommt ein Termin-Kuddelmuddel für nationale Ligen und Spieler. Die Mannschafts-WM hat der ITTF kurzerhand von April um ein halbes Jahr nach hinten verlegt, die Bundesliga und ihresgleichen können nun sehen, wie sie damit zurechtkommen. In diesem März muss, auch wegen zweier auf Singapur folgender Turniere in Doha, der Ligabetrieb ruhen, im April geht’s dann weiter.
Kein Wunder also, dass viele Spieler trotz erklecklicher Preisgelder nicht wirklich glücklich sind. Die Besten müssen zu WTT-Pflichtturnieren antreten, sonst drohen ihnen Punktabzüge. Aber wohin ihre Reisen von Mai an gehen, wissen sie nicht. Dass mancher Turnier-Teilnahmeschlüssel wie einer mit sieben Siegeln erscheint, macht die Sache noch komplizierter.
Die meisten von ihnen werden den Großteil des Geldes weiter damit verdienen (müssen), dass sie für Vereine auflaufen und Gehalt beziehen; anders als im Profitennis, wo zumindest die Top 100 von ihren bei Turnieren gewonnenen Preisgeldern gut leben können. „Damit mal alleine 100 Spieler ausschließlich von der Tour leben können, muss noch viel passieren“, sagt Timo Boll. Gleichwohl solle man der WTT und ihren Turnieren verschiedener Kategorien eine Chance geben. Boll hofft, „dass sie auch den europäischen Markt, den Ligabetrieb beziehungsweise deren Spieler im Blick behalten“. Im Moment sieht es eher so aus, als ob die WTT-Verantwortlichen ihre Blicke vor allem nach Asien richten.
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