#„Der Homo sovieticus sieht überall Feinde“
Inhaltsverzeichnis
„„Der Homo sovieticus sieht überall Feinde““
Während seine Truppen Sewerodonezk beschossen, besuchte der russische Präsident im Juni eine Ausstellung über Peter den Großen in Moskau. Danach ließ Wladimir Putin verlauten, Zar Peter habe nichts „an sich gerissen“, sondern von den Schweden „zurückgeholt“, was historisch zu Russland gehörte. Nicht nur die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko kommentierte die durchschaubare Anspielung mit den Worten, Putin wolle „ein Imperium schaffen“. Der Präsident selbst orakelt gern von „Großrussland“. Selbst seine berühmte Aussage „Wer die Sowjetunion nicht vermisst, hat kein Herz; wer sie sich zurückwünscht, keinen Verstand“ durfte wohl nie als Dementi solcher Ansprüche verstanden werden. Aber was genau kann an der fatalen Zwangsgemeinschaft sozialistisch-autoritär organisierter Republiken überhaupt als Erfolg erinnert werden?
Eine erstaunliche Verklärung
Nicht nur im Kreml fällt der Rückblick heute allzu wohlgefällig aus. Auch in Europa, auch in Deutschland geben sich manche einer erstaunlichen Verklärung hin. Daher ist eine unvoreingenommene, ganz auf Archivmaterial, historischer Forschung und Interviews mit Zeitzeugen und Historikern beruhende Dokumentarserie wie „Das Rote Imperium“ so wertvoll. In drei dicht erzählten Folgen nehmen Jürgen Ast und Martin Hübner noch einmal das fatale Experiment, einen neuen Menschen zu erschaffen – den „Homo sovieticus“, wie es seit den Sechzigerjahren sarkastisch hieß –, in den Blick. Die sowjetische Kollektivierungsphantasie erscheint dabei trotz einiger Errungenschaften in Kunst, Architektur, Bildungswesen (Alphabetisierung), Technik und Raumfahrt als erschreckender Fiebertraum, als ein Taumeln von Katastrophe zu Katastrophe: gewaltige Hungersnöte, Misswirtschaft, Korruption, Denunziationen, Staatsterror, Führerkult, brutale Kriege, wachsende Konflikte zwischen den Regionen, Ausbeutung der Provinzen zugunsten der Metropolen.
Geschlagen: sowjetische Soldaten in Afghanistan.
:
Bild: Galerie Bilderwelt/MDR
Der Homo sovieticus, sagt denn auch der litauische Dichter Tomas Venclova im Film, habe keine positiven Eigenschaften, sondern zeichne sich durch „Passivität, Angst und Gehorsam“ aus, außerdem durch „Xenophobie“: „Der Homo sovieticus hasst alles, was um ihn herum ist. Er sieht überall Feinde.“ Die Literaturnobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitsch betont wortgewaltig die Unfreiheit des Sowjetmenschen: „Es ist ein Wesen wie ein Schmetterling in Zement.“ Aber auch ein Nostalgiker darf sich äußern, der ehemalige russische Vizepremier Alexander Ruzkoi, der mit der Sowjetunion bis heute vor allem Glaube und Patriotismus verbindet.
Kommunismus bis zum Mars
Es kommt den Filmemachern entgegen, dass die gesamte Lebensphase dieses 1922 durch den Zusammenschluss von Russland, Weißrussland, der Ukraine und Transkaukasien entstandenen und im Dezember 1991 schmählich untergegangenen Konglomerats in Wort und Bild dokumentiert wurde. Abgesehen von den Interviewszenen haben Ast und Hübner die gesamte Serie denn auch aus überzeugend ausgewähltem Archivmaterial montiert. Neben kommentierten Propagandaaufnahmen sind das Alltagsszenen und bestechende Spielfilmausschnitte, beginnend mit dem künstlerisch hinreißenden Animationsfilm „Interplanetarische Revolution“, der schon 1924 die grenzenlose Ausdehnung des Kommunismus bis zum Mars propagierte. Dieser bildhafte Zugang verleiht den drei Episoden nicht nur eine faszinierende Unmittelbarkeit, sondern auch eine hohe Glaubwürdigkeit.
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.