#Der Klassizist des Chansons
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„Der Klassizist des Chansons“
Wie alle Dichter, die als einzigartig und unvergleichlich gelten, schöpfte er aus einer Vielzahl von Quellen, von denen viele mehr oder weniger gründlich in Vergessenheit geraten waren. Er studierte die mittelalterliche Trobadordichtung des französischen Südens, wo er 1922 geboren wurde, las die Werke von Wilhelm IX. von Okzitanien, von François Villon, Rabelais und Verlaine, mischte die Formstrenge klassischer Lyrik mit der Zügellosigkeit der Pariser Gossensprache, deren anarchistischen Humor er ebenso liebte, wie er ihre sprachschöpferische Kraft bewunderte und nachahmte.
Er verspottete die Bourgeoisie und sämtliche Autoritäten, trieb den Klerus mit seinen Versen vor sich her, verschreckte die Prüden und die Korrekten mit seiner drastischen Erotik und schrieb eine Liebeserklärung nach der anderen: an die Frauen, die jungen wie die alten, an Proletarier und Kleinbürger, an die Ungelernten und die Ausgebeuteten, die Arglosen und die Naiven, die Schlitzohrigen und die Muttergewitzten und an all jene, denen Freundschaft, Treue, Solidarität und Mitgefühl etwas bedeuteten. Er konnte trauern um das ungelebte, versäumte, viel zu rasch vergangene Leben, um die verlorene Liebe, das verschleuderte Glück, die versäumte Gelegenheit, um alles, was vorüber war und nie wieder zurückkehren würde. Wie alle großen Dichter konnte er Herzen berühren, dass es wehtat. Dafür wurde Georges Brassens in Frankreich verehrt und bewundert, gefeiert und geliebt.
Wie sein Übersetzer Gisbert Haefs berichtet, sind heute etwa fünfzig Straßen, Plätze, Bibliotheken, Theater und Parks nach dem Chansonnier benannt, ebenso 149 Schulen und Bildungsinstitute. Reinhard Mey, Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt, Dieter Süverkrüp und all die anderen deutschen Liedermacher, die von Brassens beeinflusst wurden, werden es mit Zustimmung, aber wohl nicht ganz ohne Neid zur Kenntnis genommen haben: Die Verehrung, die Frankreich seinen großen Chansonsängern und Chansonnieren wie Edith Piaf, Barbara, Jacques Brel, Charles Aznavour oder Léo Ferré immer schon entgegenbrachte, kennt in Deutschland keine Entsprechung. Brassens war, wie Haefs schreibt, der Klassiker oder Klassizist unter ihnen. Als in den Sechzigerjahren in einer Umfrage nach den wichtigsten Identifikationsfiguren des Landes gefragt wurde, sagten zwei Drittel der Franzosen, sie wären gern Georges Brassens.
Georges Brassens: „Die Chansons“. Französisch/Deutsch.Aus dem Französischen von Gisbert Haefs. Mandelbaum Verlag, Wien 2021. 640 S., geb., 48 €.
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Bild: mandelbaum Verlag
Seine deutschen Kollegen in den Sechziger- und Siebzigerjahren „machten Lieder“ – man hat die Hobelbank ja vor Augen, wenn man den Begriff des Liedermachers hört –, Georges Brassens sang Gedichte. 1967 verlieh die Académie française dem Schulabbrecher, der 1939 aus seiner Heimatstadt Sète nach Paris gegangen war und zunächst als Hilfsarbeiter in den Renault-Werken unterkam, den Grand Prix de Poésie. Mehr Anerkennung des Kulturestablishments für einen Nonkonformisten, der Konzerte zugunsten der Fédération Anarchiste gab und dennoch so mehrheitsfähig war, dass er mehr als dreißig Millionen Schallplatten und CDs verkauft hat, ist wohl kaum denkbar.
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