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Der Mut fehlt

Olivia Colman stolpert in einem weißen Kleid durch die Nacht, vor ihr rauscht und schwappt das Meer an den Strand. Von irgendwoher ist ein hohes Fiepen zu hören, das man erst sehr viel später als Warnsignal eines Autos erkennen wird, das sie an der Böschung stehen gelassen hat. Sie sinkt in den Sand und kippt zur Seite. Die erste Szene aus Maggie Gyllenhaals „Frau im Dunkeln“ wirft Fragen auf. Doch schon wenige Minuten später wird klar, dass Gyllenhaal in ihrem Regiedebüt keine Mysterien inszenieren will, sondern dramaturgisch ganz auf Nummer Sicher geht.

Der verrätselte Prolog ist nämlich keine ausgefeilte Suspense-Idee der Regisseurin, die unheilvolle Spannung über den Rest der Erzählung werfen soll. Er ist einfach nur eins zu eins aus Elena Ferrantes gleichnamigen Buch übernommen, das die literarische Vorlage für den Film war. Auch darin nämlich endet eine Autofahrt der Protagonistin mit deren Zusammenbrechen, nur kommt hier durch die Ich-Erzählung der Protagonistin noch die Erkenntnis hinzu, dass diese etwas „Unsinniges“ getan hat, das nun langsam aufgedeckt wird; die größere Klarheit ist schlicht ein Effekt der Unterschiede zwischen Text und Bild, das eine kann eher erklären, das andere leichter etwas zeigen. Nun setzen Filme heutzutage nur noch ungern Erzählstimmen aus dem Off ein, die das Dilemma lösen könnten, dass in einem Buch auf wenigen Zeilen mehr Informationen und vor allem Folgerungen gegeben werden, als in Bildern umsetzbar ist. Gyllenhaal entscheidet sich stattdessen aber für die konventionellste Variante der Verfilmung, versucht mit dem Prolog einen Spannungsbogen zu etablieren und erzählt dann die Geschichte in braven Rückblenden, die zusammen den Filmbeginn dann eben doch „erklären“ sollen.

Entscheidung zwischen Familie und Karriere

So bezieht also Colman als Linguistikprofessorin Leda auf einer griechischen Insel ihr Sommerdomizil. Sie hat ein Haus am Hafen gemietet, sucht am Strand Ruhe, will an einem Buch arbeiten. Doch die Idylle wird bald unterbrochen von einer lärmenden, reichen Familie. Leda beobachtet eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Die Beziehung der Mutter zum Kind ist nicht einfach. Und Leda wird an ihre eigenen Lebensentscheidungen erinnert. Nun mag es auf den ersten Blick nicht so scheinen, als wäre es eine solide Wahl, wenn eine junge Regisseurin sich das Buch einer berühmten Schriftstellerin vornimmt, das eine Geschichte über Mütter und ihre Töchter, über die Entscheidung zwischen Familie und Karriere erzählt.

Doch Gyllenhaal bleibt hier weit hinter ihren Möglichkeiten zurück, erzählt die Geschichte nah am Literarischen, änderte an der Handlung lediglich die Herkunft der Protagonistin, macht aus der Italienerin eine Engländerin, verlegt den Strand von der kalabrischen Küste auf eine griechische Insel, und die Erinnerung der Protagonistin im Buch setzt sie in weiteren Rückblenden um, in denen eine junge Leda gegen die Vereinnahmung ihrer Arbeit durch die zwei kleinen Töchter kämpft, Zuflucht in einer Affäre sucht und diese dann als Ausrede nutzt, um sich aus der Verantwortung zu stehlen. Überforderung von Müttern war bislang eher Thema von Komödien, mal derber wie in „Bad Moms“ (2016, in dem Mila Kunis und Kristen Bell lieber einen Supermarkt verwüsten, statt den Kuchenbasar vorzubereiten), mal feinsinniger wie in „Tully“ (2018, in dem Charlize Theron lernen muss, als dreifache Mutter um Hilfe bei der Bewältigung ihrer Aufgaben zu bitten).

Gyllenhaal versucht Ferrantes Stoff etwas verkrampft als Tragödie zu verfilmen und vergisst darüber die Erfordernis eigener Regieideen. Der Blick der Regisseurin ist lediglich zu erkennen, wenn man Colman ohne jeden Voyeurismus im Badeanzug schwimmen sieht. Da haben die Bilder vom Schweben im Meer eine fast schon sinnliche Textur. Was danach folgt, ist leider steifes Erzählen, das sich nicht traut, die Vorlage als Vorlage zu behandeln und davon abzuheben. Andeutungen von Gewalt hängen als Schatten über dem sommerlichen Strand, kommen aber nie zum Ausbruch. Sexuelles bleibt Anspielungen phallischer Symbole vorbehalten, wenn ein Seeschlange aus dem Mund einer Puppe kriecht. Selbst ein Flirt des Vermieters (Ed Harris) mit Leda beim Kochen bleibt so spröde, das man sich dabei überlegt, ob man lieber dessen Oktopusrezept notieren sollte, was weder an Ed Harris’, noch an Olivia Colmans Spiel liegt. Beiden würde man hier selbst zusehen, wenn Gyllenhaal beschlossen hätte, sie fünf Minuten lang das Telefonbuch von Thessaloniki vorlesen zu lassen.

Eine Regiehandschrift jedenfalls hat sie nicht, jeder Ansatz dazu verliert sich im Drama um eine gutsituierten Frau in der Midlife-Krise, die vor hübscher Kulisse über ihr Leben sinniert.

Man hat von ihr, die als Schauspielerin so feinsinnig Nuancen aus Rollen herausarbeiten kann, mehr erwartet – und kann nur hoffen, dass „Frau im Dunkeln“ ein Film ist, mit dem sie sich künstlerisch von zu hohen eigenen Erwartungen freischwimmen musste, und sich beim nächsten Versuch die Umsetzung eigener Ideen zutraut.

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