Nachrichten

#Die neuen Helden und die Macht

Die neuen Helden und die Macht

Die Frau im Spiegel hatte rote Haut, und ihre Lider waren angeschwollen. Es lag am Alkohol. Die rote Frau war ich. Ich hatte fast eine halbe Flasche Gin getrunken, weil ich versuchte, einen Anruf zu vergessen. Den Anruf meiner Mutter am Nachmittag davor: Ich saß in der Redaktion und hatte so viel Arbeit, dass ich nicht mit ihr reden konnte. Zwanzig Sekunden sprachen wir, wie immer sprachen wir auf Russisch. Sie, die sich schon lange eine Katze wünschte, sagte, dass sie eine gefunden hatte. Sie bat mich, den Züchter anzurufen. Ich sagte: „Nein, ich habe keine Zeit.“ Und legte auf. Als ich am Abend nach Hause kam, dachte ich an meine kleine, blonde Mutter. Ich wusste, sie hatte Angst, dass sie die Katze nicht bekommt, weil sie nicht Deutsch spricht, wie es Deutsche sprechen. Denn meine Mutter hatte wegen ihres schönen, schiefen, traurigen Akzents oft Abweisung erlebt, das wusste ich. Deshalb kam dann die Scham, ich rief sie an, aber sie antwortete nicht. Und danach kam die Wut darauf, wie meine Mutter in diesem Land behandelt wird, in dem sie mehr als zwanzig Jahre lebt. Dagegen trank ich Gin.

Anna Prizkau

Warum ich das erzähle? Weil es gleich um Rassismus gehen soll und um die Menschen, die jetzt mal laut, mal wütend über Rassismus sprechen, schreiben; ihn bekämpfen. Und um die Frage, ob sie Menschen wie meiner Mutter helfen können. Es soll also um diese neue Gruppe öffentlicher Intellektueller gehen; um diese Ausländer, Migrantenkinder und Enkelkinder und Flüchtlinge, die sich zurzeit als große Antirassismus-Helden geben und es für viele sind. Sie schreiben Bücher und Artikel, führen Gespräche, sitzen auf Podien, auf Bühnen. Und was sie sagen, klingt fast immer gleich: Sie wollen, dass Menschen aufhören, Rassistisches zu sagen und zu machen. Ein wichtiger und großer Wunsch. Denn auch in Deutschland tötet Rassismus Menschen. Dass das aufhören muss, sollte sich eigentlich jeder wünschen. Die neue Gruppe der Antirassismus-Helden, die selbst ausländische und andere Geschichten und Lebensgeschichten haben, will aber zu Recht noch viel mehr. Sie will jetzt auch einmal das Wort bekommen, von ihren Erlebnissen erzählen, kritisieren. Manchmal klingt das nach Karrierismus, weil es oft darum geht, dass im Moment die sogenannte „Macht“ die anderen und die Falschen hätten. Doch es ist mehr als ein Geschäftsmodell. Jahrzehntelang wurden Menschen wie sie in Deutschland nicht gesehen, nur angestarrt. Menschen wie ihre Großeltern, wie ihre Eltern und wie meine Mutter standen lange im Schatten dieses Landes – sie hatten keine Möglichkeit, am Leben in Deutschland so teilzunehmen, wie es die Nichtausländer konnten, zumindest wenn sie ihre alte Identität im neuen Land nicht absolut auflösten.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!