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#Der Stausee, aus dem im Sommer die Vergangenheit auftaucht

„Der Stausee, aus dem im Sommer die Vergangenheit auftaucht“

Wir sind ein Land der Staudämme, ein von alters her mit Dürren und Überschwemmungen geschlagenes Volk, eine Nation, die sich über anderthalb Jahrhunderte darauf versteift hat, ihre Flüsse zu zähmen und ihre Täler zu fluten, ganze Regionen unter Wasser zu setzen, sodass Tausende von Menschen den Wohnort räumen mussten. Spanien, eine mit blauen Kratzern übersäte Landkarte, mit mehr Fluss- als Küstenkilometern und mehr als dreihundert Stauseen.

Für uns Kinder der trockenen Regionen, die wir fern der Küste im Landesinneren aufwuchsen, in Arbeiterfamilien, die sich höchstens kurze Sommerurlaube am Meer erlauben konnten, wurden die Stauseen zu unserem Strand, billigen Ferien. Unsere kindlichen Bäder darin waren so aufregend wie beunruhigend, Abenteuer und Albtraum zugleich, das Wasser still und dunkel, so anders als das glasklare im Fluss. Wenn wir hineinsprangen, begleitete uns eine ewige Erzählung von Faszination und Schrecken, von Mund zu Mund weitergegeben und vergrößert durch Mütter und Väter, Onkel und Tanten, Nachbarn, Freunde: Sei bloß vorsichtig am See! Geh nicht zu tief rein! Die Strömungen sind unberechenbar, das sanfte Wasser trügerisch, es packt dich und zieht dich auf den Grund. Pass mit den Löchern im Grund auf, die unsichtbar unter deinen Füßen lauern, wer dort versinkt, kommt nie wieder heraus! Mach keine Kopfsprünge, im Wasser verstecken sich scharfkantige Felsen, da kannst du dir den Schädel aufschlagen! Plötzliche Strudel, unauslotbare Tiefen, Temperaturschwankungen, die den Schwimmer schlagartig lähmen, riesige Fische, die einen Hund verschlingen könnten.

Isaac Rosa


Isaac Rosa
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Bild: Ivan Giménez

Man ging ins Wasser, entfernte sich nur zwei Schritte vom trüben Ufer und sah schon seine Füße nicht mehr, versunken im Schlamm und ausradiert vom dunklen Wasser. Es war, als bewegte man sich blind vorwärts, zuschnappenden Zähnen ausgeliefert, einem Wasserloch, einem Strudel, der einen in die Tiefe ziehen würde, ohne dass man auf Hilfe zählen könnte, denn außerdem starben die Ertrunkenen immer paarweise: der Waghalsige, der die Warnungen in den Wind geschlagen und versucht hatte, einen schmalen Arm des Stausees zu durchschwimmen, und auf halber Strecke anfing, zu schreien und mit den Armen zu rudern; und der Unbedachte, der ihm zu helfen versuchte, eilends hinterherschwamm, um ihn zu retten, und unweigerlich mit unterging.

Und auch das war eine kindliche Angst unserer Sommer: die vor den Ertrunkenen, die nur selten wieder auftauchten. Die Polizei fuhr den Stausee mit Booten ab und stocherte mit langen Stangen am Grund herum, auf der Suche nach Ertrunkenen und nach jedem, der in den umliegenden Dörfern vermisst wurde, ein verschwundenes Kind, eine davongelaufene Jugendliche, eine Frau, deren Ehemann Krokodilstränen vergoss, um seine Schuld zu verbergen. Wo sollten sie geblieben sein, wenn nicht am Grund des Stausees? Die Taucher schwammen blind in die Tiefe und tasteten den schrecklichen Grund ab, wo sie zwischen Steinen und Ästen ein Bein auszumachen hofften, eine Hand, einen offenen Mund, in den sich unversehens die Finger schieben würden. Und so fügten wir den Löchern, Strudeln, Strömungen und Fischen im Bodenlosen die Angst hinzu, einer Leiche zu begegnen, mit unseren Füßen den schlammigen Grund aufzuwühlen und auf einen aufgeblähten Bauch zu stoßen. Oder schlimmer noch: Die Leiche könnte uns finden, eine Hand uns am Knöchel packen und in die Tiefe ziehen, bevor wir Gelegenheit hätten zu schreien, vom Ufer aus sähe man uns mit den Armen rudern wie einen weiteren Ertrinkenden und dann verschwinden.

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