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#Der Siegeszug der Parodie

Am besten, man fängt von hinten an: Auf den letzten Seiten seines neuen Romans „Victory City“ versammelt Salman Rushdie einige Quellen, die ihn zu diesem in­spiriert haben. Es sind mehrere wissenschaftliche Bücher zur Geschichte Indiens darunter, aber auch essayistische wie V. S. Naipauls „Indien – Eine verwundete Kultur“. Außerdem eines, dessen Titel fast identisch mit dem von Rushdies Roman ist: „City of Victory“. Gemeint ist Vijayanagara, ein hinduistisches Königreich in Südindien mit gleichnamiger Hauptstadt, das bis zur Schlacht von Talikota im Jahr 1565 Bestand hatte. In dieser wurde es von den islamischen Dekkan-Sultanaten vernichtend geschlagen.

In das historische Setting pflanzt Rushdie eine Erzählung, die wie ein Märchen beginnt und sich bald zur Parodie eines großen Epos auswächst. Zwischen einige historische Figuren setzt er eine erfundene Über-Frau mit dem überkandidelten Namen Pampa Kampana, die, so erfahren wir gleich zu Beginn, 247 Jahre alt geworden sein soll und als „Wundertätige“, „Prophetin“ und mehrfache Königin beschrieben wird. Auf deren vor fast fünfhundert Jahren in einem Tonkrug versiegeltem, jüngst erst wieder ausgegrabenem „gewaltigen Prosagedicht“ über den Aufstieg und Fall ihres südindischen Reiches beruhe der vorliegende Roman – dieser sei allerdings „in schlichter Sprache nacherzählt von einem Autor, der weder Gelehrter ist noch Poet, nur jemand, der gern Fäden spinnt und diese Version zur schlichten Unterhaltung und vielleicht auch zur Erbauung heutiger Leser darbietet“.

Die Kunst der Übertreibung

Das ist natürlich maßlos untertrieben, denn Rushdies Erzähler wird, wie man es von seinen Erzählern gewohnt ist, überaus gelehrt und sehr poetisch zu uns sprechen auf den folgenden vierhundert Seiten – und zwar in der Manier der maßlosen Übertreibung. Bei diesem Gegenteil von ökonomischem Erzählen wird nichts weggelassen, sondern alles maximal ausgeschmückt. Rushdie hat es von seinem Frühwerk an über das Meisterstück der „Satanischen Verse“ bis zum Meta-Roman „Quichotte“ gepflegt, und auch hier treibt er es sofort wieder auf die Spitze. Wenn sein epischer Erzähler etwa eine Neben­figur abkanzeln will, genügt es ihm nicht, sie kurz als „zweitklassigen König“ zu beschreiben. Sondern sie erhält die folgende Satzkaskade: „Diesem zweitklassigen raja blieb auf seinem drittklassigen Thron gerade mal genügend Zeit, eine viertklassige Burg an den Ufern des Flusses Pampa zu bauen, darin einen fünftklassigen Tempel zu errichten und in den Fels eines steinigen Bergs einige vollmundige Inschriften meißeln zu lassen“ – und damit ist der Satz noch immer nicht am Ende.

Versehrt, aber am Leben: Salman Rushdie hat durch das Attentat im August 2022 ein Auge verloren.


Versehrt, aber am Leben: Salman Rushdie hat durch das Attentat im August 2022 ein Auge verloren.
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Bild: SalmanRushdie/Twitter

Man kann dies, statt es zu kritisieren, freilich leicht rechtfertigen, hat es doch seine Funktion in Rushdies postmoderner Ästhetik, in der alles, wirklich alles der Parodie dient. Männer und Frauen, Herrscher und Sklaven, Kultur und Krieg, geschichtlicher Fort- und Rückschritt, sämtliche Religionen und Kulte und nicht zuletzt die historischen Textformen, die all dies beschreiben, werden diesem Autor Zielscheibe des Spottes, der Ironie, der grotesken Verzerrung.

Nie auf dem Bauernhof gearbeitet

In der milden Variante bezieht sich der Spott etwa auf die teils historischen, teils fiktiven Quellen der Erzählung. Erwähnt wird etwa der Bericht eines portugiesischen Reisenden über das Reich Vijayanagara, der im Roman Domingo Nunes heißt. Er weist Parallelen zu Berichten von Domingo Paes und Fernão Nunes aus dem frühen sechzehnten Jahrhundert auf, die das unter Rushdies Quellen ebenfalls aufgeführte Werk „A Forgotten Empire“ eines britischen Kolonialbeamten namens Robert Sewell maßgeblich stützen. Rushdies Erzähler indes spottet über Nunes: „Er fand es interessant, Banalitäten zu vermerken, die regionalen Produkte zu benennen und das Vieh zu beziffern . . ., als wäre er ein Bauer, dabei hatte er nie auch nur einen einzigen Tag auf einem Bauernhof gearbeitet.“ Mit einer Spitze gegen den Kolonialismus und seine Literatur heißt es ferner, Nunes beschreibe eine Vielzahl von Themen, für die sich die Ortsansässigen nicht interessierten, da sie ihnen längst bekannt waren.

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