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#Karlsruher Ausstellung „Die 80er sind wieder da!“

Die Achtziger sind wieder da. Um das zu sehen, genügt ein Blick auf die Straße: Junge Männer tragen Hochwasser-Hosen, gerne kombiniert mit weißen Sportsocken. Mädchen verbergen ihre Körper wieder unter weiten Pullis und exponieren ihre Beine in engen Leggings. Selbst Schulterpolster und Puff-Ärmel holen Influencerinnen aus der Kiste. Der Zauberwürfel klackert wieder in Klassenzimmern, aus der Anfangszeit des Personal Computer werden Spiele wie Pac Man oder Tetris ins Heute durchgereicht.

Wer den größeren Kontext zu diesen historischen Zitaten verstehen will, der sollte die Ausstellung „Die 80er sind wieder da!“ im Karlsruher Schloss aufsuchen. Mit ihr wagt sich das Badische Landesmuseum so nah an die Gegenwart heran wie noch nie. Es ist die wohl letzte große Sonderausstellung vor der Generalsanierung des Schlosses.

Anything goes

Was der Titel verheißt, löst die Schau ein: Geschichte hautnah, dicht dran am damaligen Lebensgefühl und Zeitgeist, und zwar mit Blick auf beide Deutschlands – schließlich ist es das letzte Jahrzehnt der deutschen Teilung. Es ist ein gefühlsbetonter Ansatz, den die drei Kuratoren gewählt haben. Er vertraut auf die Erinnerungen der Besucher, die aufgefordert sind, die sorgsam kuratierten Leerstellen der Schau nach und nach mit eigenen Objekten zu schließen.

Angesichts seiner ästhetischen Komposition auf engstem Raum garantiert echt: Bruchstück der Berliner Mauer, Sprühfarbe auf Beton


Angesichts seiner ästhetischen Komposition auf engstem Raum garantiert echt: Bruchstück der Berliner Mauer, Sprühfarbe auf Beton
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Bild: Badisches Landesmuseum

Das Jahrzehnt mit einer großen These zu überwölben, versagt sich diese Schau. Die Achtziger folgen hier keiner Leitidee, sie sind schlicht da – in ihrer ganzen Vielfalt und Buntheit als kulturhistorisches Wimmelbild. Das ist natürlich einigermaßen beliebig, passt aber gut zu einem Jahrzehnt, in dem die Postmoderne gedieh und die Beliebigkeit zu ihrem Slogan machte: „Anything goes“.

Geistesblitz im Moskauer Gorkipark

Vielleicht gelten die Achtziger den Deutschen deshalb als ihr liebstes Jahrzehnt, wie sie 2015 versonnen in einer Umfrage bekannten. Es waren schließlich jene Jahre, in denen viel ging (auch schief) und politische Anspannung mit erstaunlich unbeschwerter Konsumfreude vereinbar war. Eine Zeit, die viel nebeneinander duldete, ungefähr so wie die große Ausstellungswand mit Filmplakaten, auf der sich der Golden Globe prämierte Klassiker „Good Morning Vietnam“ unvermittelt neben der feucht-fröhlichen Klamotte „Otto. Der Film“ wiederfindet.

Selbst die Schweißbänder der Göttin des Weißen Sports wurden modisch imitiert: Olympische Goldmedaille von Steffi Graf aus dem südkoreanischen Seoul, 1988


Selbst die Schweißbänder der Göttin des Weißen Sports wurden modisch imitiert: Olympische Goldmedaille von Steffi Graf aus dem südkoreanischen Seoul, 1988
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Bild: Uli Deck

In den Achtzigern war Udo Lindenberg noch nicht der alte Mann neben Apache, sondern anerkannter Bürgerschreck, der unbedingt nach Pankow wollte und dem Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker anbot: „Ey Honey / ich sing für wenig Money / Im Republik-Palast / wenn ihr mich lasst“. Dort durfte er dann im Oktober 1983 tatsächlich vor handverlesenem FDJ-Publikum und hunderten Fachangestellten für Staatssicherheit seine Lieder darbieten. Mit seinem System gefährdenden Nuschelrock ging er dem DDR-Regime allerdings gewaltig auf die Nerven, weshalb es beim einmaligen Gig blieb und Lindenberg heute eine stattliche Stasi-Akte sein Eigen nennen darf. Das ärmellose Shirt mit Leopardensaum, das er beim Auftritt trug, ist ebenso wie die Stasi-Akte in Karlsruhe zu sehen. Hier findet sich auch die Lederjacke, die der große Pfeifer und Scorpions-Sänger Klaus Meine trug, als im Moskauer Gorkipark der Geistesblitz zu seinem Gassenhauer „Wind of Change“ in ihn einschlug.

Wählscheibentelefone, Audiokassetten, Interrailreiserucksäcke

Musik, Populär- und Konsumkultur bilden das Herz der Karlsruher Schau, festgehalten in großen Collagen aus Filmplakaten, Magazin- und Plattencovern mit hohem Wiedererkennungswert und in kollektiven Erinnerungsstücken wie Steffi Grafs Goldmedaille aus Seoul. Diese heiteren Pop-Achtziger kontrastieren die recht grimmigen Gegen-, Sub- und Soziokulturen, in Karlsruhe besonders schön präsentiert bei Punk und Hip-Hop mit ihrem szenetypischen Graffiti auf altem Beton. Doch bunt war das Jahrzehnt nur partiell, auch wenn das regenbogenfarbene Logo und die große Leuchtwand mit Bildikonen als in den Raum gestelltes Inhaltsverzeichnis eingangs anderes erwarten lassen.

Durchdesignte Ikone der Personal Computer: Der Apple Macintosh „SE 1/20“, USA 1988


Durchdesignte Ikone der Personal Computer: Der Apple Macintosh „SE 1/20“, USA 1988
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Bild: Badisches Landesmuseum

Denn schnell wird es grau und unwirtlich, schließlich geht es im ersten Teil der Ausstellung viel um Krisen in Politik und Gesellschaft: Kalter Krieg, Bürgerrechts-, Umwelt- und Friedensbewegung, AIDS-Kampagne, Tschernobyl, Rechtsradikalismus und Wohnraummangel. Und als wäre das nicht alles schon genug, gründeten sich am 13. Januar 1980 auch noch die Grünen, und das ausgerechnet im völlig unwahrscheinlichen Karlsruhe. Immerhin vereint sich Deutschland am Ende wieder.

Die allgemeine Tristesse fängt die Gestaltergruppe Raumeinsichten atmosphärisch ein, indem sie diese erste Sektion in dunkles Grau taucht und den Boden alsbald mit trübem Asphalt-Laminat beklebt. Denn auch baulich waren DDR und Bundesrepublik auf den Hund gekommen: Alter Bestand bröckelte ungenutzt vor sich hin und verleitete junge Menschen dazu, sich als Hausbesetzer zu betätigen. Schließlich mangelte es allenthalben an Wohnungen.

Der letzte Teil der Schau ist dem Privatleben gewidmet. Ihn eröffnen die Fotoserien „Familienporträts“ von Christian Borchert (DDR 1982/83) und Herlinde Koelbls „Das deutsche Wohnzimmer“ (BRD 1980). In zwei Kabinetten arrangiert, dokumentieren sie detailreich das Wohnen und Leben im geteilten Deutschland. Auf das fotografische Abbild folgen die Realien des Alltags: Wählscheibentelefone mit Kabeln, Audiokassetten, Interrailreiserucksack, Kofferradio, Ghettoblaster, Müslimühle und und und. Im Zentrum stehen ein nachgebautes Jugend- und Wohnzimmer mit blümeranter Tapete, braunen Ledersesseln und einem Röhrenfernseher in der Kubatur einer Seife. Diese Achtziger, immerhin, sind nicht wieder da.

Die 80er sind wieder da! Badisches Landesmuseum im Karlsruher Schloss; bis 25. Februar 2024. Das Begleitmagazin kostet 6 Euro.

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