Wissenschaft

#Deutschland nutzt bisher kaum „grünen“ Wasserstoff

Wasserstoff gilt als einer der Energieträger der Zukunft. Wo Deutschland auf dem Weg zu einer „grünen“ Wasserstoffwirtschaft steht, zeigt eine aktuelle Analyse. Demnach befinden sich bisher nur wenige Anlagen zur Produktion von Wasserstoff im Bau oder in Betrieb, die meisten Vorhaben sind noch in Planung oder wurden sogar wieder verworfen. Der „grüne“ Wasserstoff konkurriert nicht nur mit fossilen Energieträgern, sondern auch mit dem „grauen“ Wasserstoff sowie Solar- und Windenergie. Dass die Bundesregierung die Ziele ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie mit den bisher verfügbaren Technologien und finanziellen Mitteln erreicht, halten die Forschenden für sehr unwahrscheinlich.

Wasserstoff (H2) ist Teil der Energiewende mit dem Ziel einer Abkehr von klimaschädlichen fossilen Rohstoffen wie Erdgas oder Benzin hin zu erneuerbaren und nachhaltigen Energieträgern. Deutschland hat sich 2020 in seiner Nationalen Wasserstoffstrategie unter anderem vorgenommen, bis 2030 Elektrolyseanlagen zur Produktion von Wasserstoff mit einer Leistung von zehn Gigawatt aufbauen. Darin wird Wasser mittels Strom in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegt. Betrieben werden sollen diese Anlagen durch Strom aus erneuerbaren Energiequellen wie Wind oder Sonne.

Bisher wird Wasserstoff vor allem aus Erdgas produziert, wobei CO₂-Emissionen entstehen, und dann weiter zur Produktion von Ammoniak und Kraftstoffen genutzt. Dieser „graue“ Wasserstoff soll langfristig durch „grünen“ ersetzt werden. Zudem soll bis 2032 ein über 11.000 Kilometer langes Energienetz gebaut werden, das alle großen Wasserstoff-Produzenten mit allen großen Verbrauchern verbindet, so der Plan des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).

Wo steht Deutschland beim „grünen“ Wasserstoff?

Ein Team um Benedikt Walker von der Universität Bonn hat nun den Status quo der deutschen Wasserstoffwirtschaft genauer unter die Lupe genommen. Die Forschenden ermittelten, wo bereits Anlagen zur Wasserstoffherstellung durch Elektrolyse stehen und wo weitere geplant sind. Zudem prüften sie, welche Firmen den Wasserstoff benötigen und kaufen und welche Forschungsinstitute an kostengünstigeren Wasserstofftechnologien arbeiten. Die Daten fassten Walker und seine Kollegen in Deutschlandkarten zusammen, die online abrufbar und teils interaktiv sind.

Deutschlandkarte zeigt die geplanten und bestehenden Anlagen zur Produktion von "grünem" Wasserstoff
Deutschlandkarte: Grüne Wasserstoffwirtschaft 2024 – Planung und Bestand. © Leibniz-Institut für Länderkunde

Die Karten zeigen, dass „grüner“ Wasserstoff in naher Zukunft vor allem in Norddeutschland produziert wird. Dort sind die meisten großen Elektrolyseanlagen geplant, weil dort auch große Wind- und Solaranlagen stehen. Da im Norden zudem weniger Energie benötigt wird als im Süden und da der im Norden produzierte Strom aufgrund von Netzengpässen nicht nach Süddeutschland transportiert werden kann, ist im Norden ein Überschuss an Wind- und Solarenergie vorhanden, der für die klimaneutrale Produktion von Wasserstoff genutzt werden kann. Kleinere Anlagen zur Produktion von Wasserstoff, sogenannte Elektrolyseure, sind zwar in ganz Deutschland geplant. Ob diese auf längere Sicht im Wettbewerb bestehen können, ist nach Einschätzung der Forschenden allerdings fraglich.

Der in den kleinen und großen Anlagen hergestellte grüne Wasserstoff wird aber voraussichtlich nur in Industriezweigen zum Einsatz kommen, in denen Strom aus erneuerbaren Energien nicht direkt genutzt werden kann, zum Beispiel in der Produktion von Stahl oder Chemikalien, berichtet das Team. Um Zeiten ohne Wind und Sonne für andere Industriezweige zu überbrücken, ist zudem der Bau großer Kavernen geplant, in denen Wasserstoff gespeichert werden kann. Vorgesehen seien Orte, wo in der Vergangenheit unterirdisch auch Erdgas gelagert wurde.

Viele Pläne, wenig Erreichtes

Die meisten Industrieanlagen zur Herstellung und Speicherung von grünem Wasserstoff sind allerdings noch Zukunftsmusik. Einige Pläne wurden sogar wieder abgesagt, wodurch sich Investoren zurückzogen und „die Euphorie um grünen Wasserstoff mittlerweile verflogen ist“, so Walker und seine Kollegen. Doch immerhin „eine Handvoll Projekte zur Produktion von grünem Wasserstoff in industriellem Maßstab“ befinden sich auch bereits im Bau oder in Betrieb, so das Team. Die beiden bisher größten Anlagen stehen in Wesseling bei Köln und in Lingen im Emsland. Für das geplante Wasserstoff-Pipelinenetz liegt bisher nur ein Entwurf vor, den die Bundesregierung im Oktober 2024 genehmigt hat.

In Planung sind auch Projekte zur Produktion von Wasserstoffderivaten wie Ammoniak, Methanol und synthetischen Kraftstoffen – sogenannte eFuels – im Ausland. Diese sollen dann über die Nord- und Ostseehäfen nach Deutschland importiert werden und vor allem für den Antrieb von Schiffen und Flugzeugen genutzt werden, die nicht direkt mit Wind- oder Solarkraft betrieben werden können. „Solche exportorientierten Projekte brauchen allerdings Jahre, um geplant und gebaut zu werden, sodass ihre Inbetriebnahme vor 2030 unwahrscheinlich ist“, berichtet das Team.

Eine Frage des Geldes

Um die Ziele der deutschen Wasserstoffstrategie zu erreichen, hat die Bundesregierung seit 2020 über zehn Milliarden Euro für die Entwicklung von Wasserstoffprojekten bereitgestellt. Dennoch fehlen jährlich zwischen zwei und zehn Milliarden Euro, ergab unlängst eine Studie des Energiewirtschaftlichen Instituts (EWI) der Universität Köln. Auch Walker und seine Kollegen kommen zu dem Ergebnis, dass die Produktion, der Transport und die Nutzung von grünem Wasserstoff teurer ist und bleibt als die direkte Nutzung der Wind- und Solarenergie. Bisher ist sie auch noch teurer ist als die Nutzung von grauem Wasserstoff und von fossilen Energieträgern.

Für günstigeren grünen Wasserstoff reichen die bisherigen Technologien und Innovationen nicht aus. „Bis aus erneuerbaren Energien gewonnener ‚grüner‘ Wasserstoff eine wirtschaftliche Alternative darstellt, wird noch mindestens ein Jahrzehnt vergehen“, prognostiziert Walker. Die Politik werde daher ihre gesteckten Ziele nicht erreichen. Um ihre klimapolitischen Ambitionen doch noch im Zeitplan zu erreichen und damit die Stromkosten durch grünen Wasserstoff nicht auf die Lebenshaltungskosten der Bürger übertragen werden, sei mehr Geld seitens der Regierung und mehr Forschung nötig.

Quelle: Nationalatlas aktuell, 11.2024; Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL)

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