Die Angst vor dem heranrasenden Auto

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Tausende nehmen jedes Jahr an der Radtour „Fahr zur Aar“ teil. Auf einer 40 Kilometer langen Strecke wird die Bundesstraße 54 durch den Taunus einen Tag lang für Autos gesperrt, Radfahrer und Inlineskater können ungestört fahren und in den Ortschaften Pausen einlegen, wo es Essen und Getränke gibt. Vor wenigen Wochen musste der Rheingau-Taunus-Kreis die für den 25. Mai geplante Veranstaltung absagen. Die Sicherheitsauflagen der Polizei konnten nicht erfüllt werden, wie ein Sprecher der F.A.Z. bestätigte. Das Problem: Die B 54 hat auf der Strecke 67 Zufahrtsstraßen. Für jede einzelne hätten die Städte und Gemeinden, die das Fest mit dem Landkreis tragen, eine Sperre aufbauen müssen, so habe die Empfehlung der Polizei gelautet. Ob das Volksfest im kommenden Jahr stattfinden kann, ist ungewiss.
Die Anschläge der vergangenen Monate, bei denen Autos in Menschenmengen fuhren, lösten eine erhöhte Wachsamkeit aus. Sicherheitskonzepte wurden überarbeitet – dabei zeigte sich nach Rücksprache mit den Sicherheitsbehörden, dass die Zeit dafür nicht genügt oder die Standards schlicht nicht erfüllt werden können. Auf der Liste der Veranstaltungen, die abgesagt werden mussten, stehen etwa das Kirschblütenfest in Marburg, das Osterbrunnenfest in Bietigheim-Bissingen oder das Bölschefest in Berlin-Friedrichshagen. In vielen Städten und Gemeinden machen sich die Verantwortlichen Sorgen, ob die geplante Kirmes noch stattfinden kann.
Die Kosten für Feste steigen seit Jahren. Ob Sicherheitspersonal, Zeltbau, Technik oder mobile Toiletten, alles ist teurer geworden, so die Klage. Die Veranstalter des „Grüne Soße Festivals“ in Frankfurt kündigten an, dass es 2025 vorerst zum letzten Mal stattfinden wird. Mit der „Kostenexplosion“ gehen sinkende Sponsorengelder einher. Damit sind viele Veranstalter konfrontiert. Die Kosten für Straßensperren kommen meist obendrauf, sind „der eine Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt“, wie einer im Gespräch sagt.
Zwei bis drei braucht es für eine Seitenstraße, sie müssen gekauft oder geliehen, auf- und abgebaut werden. Schon zu Beginn des Jahres standen im Karneval mehrere Umzüge auf der Kippe. Nicht in den Hochburgen wie Köln oder Düsseldorf. In Marburg in Hessen, Heidenheim in Baden-Württemberg und Kempten im Allgäu haben Vereine die Umzüge abgesagt – die Kosten für die Sicherheit waren zu hoch. In Rheinland-Pfalz gab es teilweise Unterstützung des Landes und vielerorts improvisierte Lösungen: Baugeräte oder Müllfahrzeuge wurden als Straßensperren gestellt.
Durchgehende Sperren sind nicht realistisch
Das Problem von Radtouren wie „Fahr zur Aar“ ist, dass die Strecke so lang ist, dass sich nicht durchgehend Sperren aufbauen lassen. Im Taunus gibt es viele kleine Zufahrtsstraßen, die sich leicht blockieren ließen, daneben findet sich aber mitunter eine Wiese, über die theoretisch ein Auto rasen könnte. Präzise Standards, nach denen Sperren aufgebaut sein müssen, gibt es laut dem Landkreis nicht. Das Land Hessen verweist darauf, dass die Polizei nur berät, nicht aber Auflagen formuliert. Die Verantwortung liegt am Ende beim Veranstalter, häufig also bei den Kommunen.
Auch Thorsten Stolz, Landrat des Main-Kinzig-Kreises, musste eine Radtour absagen, die im Herbst stattfinden sollte. „Kinzigtal total“ funktioniert ähnlich wie die Tour durch den Taunus, die Strecke ist mit 80 Kilometern noch länger. Stolz erfuhr vor einigen Wochen, dass sich ein neues Sicherheitskonzept für dieses große Gebiet nicht in wenigen Monaten erstellen ließe. Auch wenn Radfahrer enttäuscht waren, ist Stolz froh, dass andere Feste wie Kerb oder Kirmes in seinem Landkreis nicht betroffen sind. Bislang ist dem Landrat keine Absage bekannt. Da, wo es am Geld hängt, will das Land Hessen durch ein Sofortprogramm von einer Million Euro Kommunen unterstützen. Städte und Gemeinden werden danach angehalten, Feste nicht gleichzeitig stattfinden zu lassen. So sollen sich Kommunen personell und organisatorisch gegenseitig unterstützen können.

Landrat Stolz wünscht sich, dass „Kinzigtal total“ im kommenden Jahr wieder stattfinden kann. Da, wo etwa in der Kreisstadt Gelnhausen viele Menschen gedrängt stehen, müsse man Schutzvorkehrungen treffen. Das sei aber kaum an jeder Zufahrt auf 80 Kilometern möglich. „Die hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht“, sagt Stolz. Ein Satz, den man bei dem Thema oft hört. Als Konsequenz daraus fügt Stolz an: „Wir müssen als Gesellschaft mehr Mut zur Lücke haben.“
Denn wenn etwas schiefgeht, gibt es aus Sicht des Kommunalpolitikers allzu oft einen Reflex: „Es wird immer gleich ein Schuldiger gesucht“, sagt Landrat Stolz, der Mitglied der SPD ist. Er nennt das Beispiel eines Bürgermeisters aus Hessen, der verklagt wurde, nachdem drei Kinder in einem ungesicherten Löschteich ertranken. Im Prozess wurde die Frage aufgeworfen, ob ein Holzzaun, den es nicht gab, die Kinder tatsächlich davon abgehalten hätte, am Teich zu spielen. Letztlich wurde der Bürgermeister, der sich Anfeindungen ausgesetzt sah, freigesprochen. Unter Kommunalpolitikern gibt es im Hinblick darauf ein gestiegenes Bewusstsein: Nicht nur die Stadt oder Gemeinde kann verklagt werden, sondern die Politiker können selbst auch strafrechtlich verfolgt werden.
Die Frage nach der Haftung ist für Veranstalter heikel
Am Donnerstag, dem Tag der Arbeit, findet an der südhessischen Bergstraße eine Weinlagenwanderung statt. Die Winzer, die sie seit vielen Jahren veranstalten, standen vor der Herausforderung, die gestiegenen Sicherheitsvorgaben zu erfüllen. Auch dieses Fest, an dem auf einer Strecke von 20 Kilometern Tausende an Weinverkostungen teilnehmen, stand vor dem Aus. Um den Empfehlungen der Polizei zu entsprechen, wurde die Route angepasst. Dort, wo es Zufahrten gibt, sollen nun Traktoren stehen. Die Vorsitzende der Winzergemeinschaft sagte dem HR, dass sie sich in der Abwägung entschieden hätten, das Risiko zu tragen.
Was ginge verloren, wenn die Bereitschaft sänke, das Risiko einzugehen? André Berghegger, Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, spricht von Volksfesten als Orten des sozialen Miteinanders, der kulturellen Tradition. „Sie leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, dass sich die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Heimatorten identifizieren und Gesellschaft pflegen.“ Durch immer schärfere Auflagen habe sich der Aufwand der Veranstalter und der Kommunen in personeller, organisatorischer und finanzieller Hinsicht zuletzt deutlich erhöht.
„Um zu verhindern, dass sich die Anzahl und auch die Qualität der Volksfeste verringert, sollten in den Ländern kurzfristig Lösungen erarbeitet werden, um eine Überforderung der Veranstalter zu vermeiden“, sagt Berghegger der F.A.Z. Wünschenswert wären aus seiner Sicht einheitliche Standards sowie eine offene Diskussion über die Verhältnismäßigkeit von Sicherheitsauflagen auf der einen und Haftungsfragen auf der anderen Seite. Auch Berghegger sagt, dass es die hundertprozentige Sicherheit trotz aller Bemühungen und Auflagen nicht geben könne. „Auf dem Weg hin zu einem möglichst hohen Schutzniveau müssen wir immer auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen in den Blick nehmen.“
Es sind im Vergleich zu Nachbarländern besonders viele Feste, die in Hessen bedroht waren. Das dürfte auch mit den Empfehlungen der Polizei zu tun haben. Das Land verspricht nun, dass ab Mai mehr Beratungsangebote für Kommunen verfügbar sind. Das Soforthilfeprogramm, mit dem Kirmes und Kerb gerettet werden sollen, ist das erste bundesweit. Die eine Million Euro, die das Innenministerium in Wiesbaden als Hilfe für die Durchführung von Volksfesten bereitstellt, dürfte angesichts hoher Kosten und 421 Kommunen im Bundesland allerdings nicht sehr lange vorhalten.
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