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#„Die Entscheidungen sind politisch, nicht wissenschaftlich“

„Die Entscheidungen sind politisch, nicht wissenschaftlich“

Herr Streeck, Bund und Länder haben beschlossen, dass der Lockdown bis zum 14. Februar verlängert wird. Finden Sie das richtig? 

Morten Freidel

Morten Freidel

Redakteur in der Politik der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung

Jede Maßnahme, um Infektionsketten zu unterbrechen, ergibt erst einmal Sinn. Was hier aber fehlt, ist eine sinnvolle Zielmarke. Auf welchen Wert sollen denn die Infektionen gedrückt werden, wie viele Neuinfektionen bedeuten eine Überlastung des Gesundheitssystems? Das bisherige Ziel, 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einwohner, wurde beschlossen, damit die Gesundheitsämter Kontaktketten nachvollziehen können. Es orientiert sich also daran, was im Schnitt die Gesundheitsämter leisten können, nicht an einer wissenschaftlich basierten Erkenntnis.

Schon bei ihrer Festlegung war diese Zahl eher symbolisch, da die Kontaktnachverfolgung an einigen Orten gescheitert ist, und Ämter an anderen Orten mit deutlich mehr Ansteckungen zurechtkamen. Darüber hinaus kann ich nur eindringlich davor warnen, sich bei politischen Entscheidungen von einer solchen Tragweite nach einem Wert zu richten, der über die beschriebene Tatsache hinaus nicht zuverlässig ermittelt wird. Die Anzahl der Neuinfektionen hängt vom Testverhalten, Ferien und ähnlichem ab, und schwankt daher enorm.

Wonach sollte sich die Politik Ihrer Meinung nach richten?

Das sollten Politik und Gesellschaft gemeinsam aushandeln. Ich habe im Sommer darauf hingewiesen, dass die stationäre und intensivmedizinische Belegung im Zusammenhang mit den gemeldeten Infektionszahlen einen besseren Wert gibt. Aber auch hier müsste genauer festgelegt werden, ab wann es in Deutschland auf den Intensivstationen eng wird. Ist das bei über 5000 belegten Betten der Fall, wie zu Weihnachten, bei 10.000, oder gar 20.000? Es hieß zu Beginn der Pandemie, wir haben etwa 30.000 Betten, wegen Personalmangel vielleicht etwas weniger. Im Moment bestimmt in dieser Sache nicht ein klar umrissener Wert die Diskussion, sondern öffentlichkeitswirksame Warnungen einzelner Intensivmediziner.

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Sind Sie also gegen den Lockdown?

So, wie die Dinge liegen, bin ich dafür. Ein Lockdown ist im Moment alternativlos, weil wir im vergangenen Jahr nicht gelernt haben, wie sich das Infektionsgeschehen verhält. Wir wissen zum Großteil nicht, wo sich die Menschen infizieren, ob das in den Schulen stattfindet, auf privaten Feiern oder in Großraumbüros. 80 Prozent der Ansteckungen lassen sich nicht erklären. So bleibt nur, immer wieder mit dem Hammer draufzuhauen.

Lässt sich das überhaupt ändern? 

Sicher. Ich empfehle zum Beispiel, dass die Gesundheitsämter Infizierte auch fragen, welchen Berufen sie nachgehen oder wie ihr Arbeitsplatz gestaltet ist, und diese Daten dann zentral zusammentragen. Wenn bei der Datenanalyse dann herauskäme, dass viele Infektionen in Großraumbüros passieren, oder das auffallend viele Lehrer infiziert sind, könnte man gezielt agieren, und wir kämen dahin, vielmehr mit dem Skalpell als mit dem Hammer zu agieren. Auch Studien wären denkbar, zum Beispiel über Schulbesuche: In einem Ort bleiben die Schulen für vier Wochen geöffnet, in dem anderen geschlossen, alle anderen Faktoren werden herausgerechnet und dann schaut man sich an, wie sich das jeweils auf die Entwicklung der Infektionszahlen ausgewirkt hat. So könnte man viel genauer sagen, ob Schulschließungen etwas bringen oder nicht.

Für solche Positionen werden Sie oft heftig kritisiert. Finden Sie, dass die Wissenschaft in der Pandemie politisiert wird? 

Absolut, schon in den Sommermonaten. Da hieß es gerne: Nordrhein-Westfalen gegen Bayern. Der angebliche Versuch, erst so spät wie möglich alles auszubremsen gegen das angeblich harte Durchgreifen. Und mich hat man der einen Seite zugeschlagen, weil ich der Virologe im Expertenrat des Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen bin. Dass dieser Expertenrat mit Persönlichkeiten aus ganz unterschiedlichen Disziplinen besetzt ist, um gerade nicht „politisch“ zu agieren, wird dabei gerne oft ignoriert, ebenso, dass dieser Expertenrat nichts entscheidet. Für Armin Laschet bedeutet es aber, dass er verschiedene Sichtweisen beschrieben bekommt, um dann so zu entscheiden, wie er und seine Regierung es für richtig halten.

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