Die Fotokünstlerin Francesca Woodman in der Albertina in Wien

Inhaltsverzeichnis
Vermutlich war der Tod Francesca Woodmans am 19. Januar 1981 nicht einmal der „Village Voice“, der New Yorker Lokalzeitung für die Künstler und Intellektuellen der Stadt, eine jener Meldungen wert, wie sie am Ende jedes Tages von der Polizei an die Redaktionen weitergegeben werden. Gut ein Jahr zuvor hatte sie ihr Studium der Fotografie und Poesie an der Rhode Island School of Design abgeschlossen und anschließend in New York Fuß zu fassen versucht. Lieber, vertraute sie ihrem Notizbuch an, würde sie nach Italien reisen, aber fünf Minuten nicht in New York – und schon sei man vergessen. Dabei hatte sie überhaupt noch niemand wahrgenommen.
In der Kunstszene spielte sie bestenfalls eine winzige Rolle. Und aus der Modewelt, in der sie sich mit ihren geheimnisvollen Inszenierungen bewarb, erhielt sie keinen einzigen Auftrag. Ihren Lebensunterhalt verdiente Francesca Woodman als Sekretärin und Aktmodell, doch das rettete sie keineswegs vor prekären Verhältnissen. Und dass sie einen Verlag für ihr Künstlerbuch „Some Disordered Interior Geometries“ gefunden hatte, konnte sie offensichtlich auch nicht trösten. Wenige Tage vor der Auslieferung nahm sie sich das Leben, indem sie vom Dach ihres Ateliers sprang. Da war sie gerade einmal 22 Jahre alt. Ihre innere Geometrie hatte sie nicht mehr zurechtrücken können.
Das Guggenheim machte sie postum berühmt
Erst fünf Jahre später gaben die Eltern, beide selbst Künstler, Arbeiten ihrer Tochter aus deren studentischer Zeit an die beiden renommierten Kritikerinnen und Lehrerinnen Abigail Solomon und Rosalind Krauss, die mit dem Material eine Wanderausstellung durch verschiedene College-Museen organisierten und dem Werk zu gewisser Aufmerksamkeit verhalfen. Wiederum Jahre später folgten Präsentationen in Galerien und größeren Museen, 2012 eine Retrospektive im Guggenheim, die sie postum berühmt machte. Allein fünf Monographien sind seither erschienen. Heute wird der Nachlass von der amerikanischen Galerie Gargosian betreut, die viele für die wichtigste Schaltstelle des weltweiten Kunsthandels halten. Die düster-romantischen Lebensumstände der Künstlerin haben der Vermarktung ihrer Bilder mit Sicherheit nicht geschadet.
Das Gesamtwerk Francesca Woodmans ist mit 800 Abzügen und 10.000 Negativen überschaubar. Und die Motive zeigen mit ihren Untersuchungen von Raum, Licht und Körper insgesamt wenig Abwechslung, sondern berichten zuallererst von einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Selbst. Damit passten sie einerseits in eine Zeit, zu der Cindy Sherman in unterschiedlichen Verkleidungen vor ihre Kamera trat und sich in New York Melissa Shook in einer strengen Konzeptarbeit Tag für Tag neu porträtierte. Ebenso fügten sie sich in eine weltweite Bewegung junger Künstlerinnen ein, für die es heute den Begriff der Feministischen Avantgarde gibt und zu denen etwa Orlan und Valie Export, Annegret Soltau und Gabriele Stötzer zählen. Während aber die europäischen Fotografinnen im Umfeld der Achtundsechzigerbewegung mit Furor und gesellschaftspolitischem Impetus nach einer Radikalästhetik suchten, wichen viele der amerikanischen Kolleginnen in eine von der Esoterik der Hippiekultur bestimmte Traumwelt aus; so auch Francesca Woodman, bei deren Werk man deshalb eher von Feministischer Poesie sprechen mag.
Größte Sammlung außerhalb des Nachlasses
Mit 82 Aufnahmen Francesca Woodmans besitzt das Wiener Energieunternehmen Verbund die größte Sammlung an Abzügen der Fotografin außerhalb des Nachlasses – allemal genug, um ein Gesamtbild der extrem kurzen Schaffensphase zu vermitteln. Jetzt ist das Konvolut im Kunstmuseum Albertina komplett zu sehen. In fünf Sälen chronologisch sortiert, beginnt die Präsentation mit einem beachtlichen, raffiniert komponierten Bild noch aus Kindertagen, dem „Selbstporträt als Dreizehnjährige“, und endet wiederum mit einem Selbstporträt, für das Francesca Woodman ihre Geburtsurkunde im Hintergrund an die Wand gepinnt hat. Aufgenommen nur Tage vor ihrem Suizid, scheint sich in dem Bild für sie der Kreislauf des Lebens geschlossen zu haben.
Dazwischen hält sich die Bandbreite der Motive erwartungsgemäß in Grenzen. Als ihr eigenes Modell und in Personalunion zugleich Beleuchterin, Maskenbildnerin, Kulissenbauerin und nicht zuletzt Regisseurin inszenierte sie sich meist allein im schäbigen Atelier, oft nackt, bisweilen umgeben von Requisiten wie Tüchern und zerrissenen Tapetenbahnen, vertrockneten Blumen und aufgeschlitztem Obst, oft auch Spiegeln, schuf eine ätherische Atmosphäre des Traums und fand eher geheimnisvolle denn beklemmende Metaphern für Seelenzustände.
Dennoch täuscht sie über Ängste und Unsicherheiten nicht hinweg, wenn sie sich in ihren analytischen Selbstuntersuchungen in Folien wickelt oder mithilfe von Mehl ihren negativen Abdruck geisterhaft auf dem Fußboden hinterlässt, den sie dann von einem Stuhl aus betrachtet. Hier Einflüsse ihrer Kenntnisse der italienischen Malerei der Renaissance, wenn sie an die Mythen der Antike anschließt, dort Referenzen an den Surrealismus, dann wiederum Anspielungen an Werke der modernen Literatur, bleibt ihr Thema konsequent die beklemmende Suche nach dem Selbst.
Ausdruck von Zartheit
Trotzdem versteht sie es, auch den verstörendsten Momenten durch Lichteffekte einen Ausdruck von Zartheit zu verleihen. Dann ist sie mal Engel oder Alice im Wunderland und erinnert andere Male an den gekreuzigten Heiland oder wird zum Geist, wenn sich ihre Konturen in Bewegungsunschärfen buchstäblich auflösen und sie in den Wänden buchstäblich zu verschwinden scheint – ein Verfahren der spiritistischen Fotografie aus den Anfängen des 20. Jahrhunderts. Wie sie überhaupt auf Zeichen und Verweise ihrer eigenen Gegenwart verzichtet. In düster-leeren Räumen und mit Kleidern aus der Zeit des Viktorianismus verortete sie sich vielmehr in einem Niemandsland der Märchen. In einer hermetisch geschlossenen Welt. Und nicht zuletzt das dürfte es sein, was den Bildern bis heute eine seltsame Magie verleiht: Sie entführen in eine fremde, stille Welt, nehmen sich heraus aus der täglichen Attacke der kunterbunten Bilderflut und sorgen mit dem kleinen, für heutige Verhältnisse geradezu winzigen Format der ausnahmslos schwarz-weißen Abzüge dafür, dass man sehr nahe herangehen muss, um in die Szenen einzutauchen.
Es ist ein seltsamer Kult, der sich um Francesca Woodman entwickelt hat und der sie gern zu einer Führungsfigur der feministischen Kunst erheben würde. Vielleicht als eine Art Frida Kahlo der Fotografie. Ihr Einfluss zu Lebzeiten war gering. Aber der radikalen Konsequenz wegen, mit der sie ihr Thema verfolgte, gilt sie heute vielen als Vorbild. Bis an die Grenze der Besessenheit hat sie für den weiblichen Blick auf den weiblichen Körper immer neue Posen und Arrangements erdacht. Öffnen und Verbergen tauschen dabei mitunter die Wirkung, wenn sie umso verschlossener wirkt, desto mehr sie sich entblößt.
Denn natürlich spielen Fragilität und Sexualität keine geringe Rolle, auch wenn es Francesca Woodman nicht um Erotik zu tun war. Was sie hervorheben wollte, war die innere und damit unsichtbare Kraft des Körpers. Und dann muss man sich fragen, ob man den Bildern dieses frühreifen verstörenden Werks gerecht wird, wenn man sie mit dem Wissen des Selbstmords betrachtet. Fast zwingend wird dann die Auflösung des Körpers als Zeichen von Auslöschung, Schwermut und Verzweiflung gelesen. Dabei steckt so viel Energie in diesen Inszenierungen, dass man versucht ist, Francesca Woodmans Mini-Dramen auf privater Bühne als Ankunft eines himmlischen Wesens zu lesen.
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