#„Die Russen überprüfen jetzt die Handys“
Inhaltsverzeichnis
„„Die Russen überprüfen jetzt die Handys““
Sie nennen es Filtration
In den letzten Tagen habe ich mich an mein Leben in den Niederlanden gewöhnt. Seit ich da bin, versuche ich, etwas Niederländisch zu lernen, aber die Sprache ist echt schwer. Klingt wie Englisch, ist es aber nicht. Cafés, Kino, Theater: Den Luxus, den ich in der Ukraine hatte, kann ich mir hier nicht erlauben. Das fehlt mir sehr. Aber das sind alles nur Kleinigkeiten im Vergleich zu den schrecklichen Taten, die derzeit passieren. Ein Freund, der über die umkämpfte Zone im Donbass nach Russland geflohen ist, ist gerade auf dem Weg nach Deutschland. Nach Europa. Oft höre ich davon, dass die Handys von Bekannten an den russischen Grenzen überprüft wurden. Sie führen anscheinend Listen: Listen, die Ukrainer in „nationalistisch“ oder „ungefährlich“ einordnen. Ob man „nationalistisch“ ist, entscheidet oft ein kleiner Instagram-Post, ein Meme oder ein Kommentar. Wie sie das herausfinden, weiß ich nicht. Sie nennen das angeblich „Filtration“.
Jetzt wird der Krieg heftiger. Ich mache mir Sorgen um meine Angehörigen und Freunde im Donbass. Seit dem Beginn der neuen Offensive konnte ich sie nicht erreichen. Hier im gemütlichen Enschede erscheint mir der Krieg umso schrecklicher. Ich hoffe, dass dieses Abschlachten endlich vorbeigeht. Ob ich meinen Anteil in den Niederlanden leisten kann? Ich weiß es nicht. Manchmal fühlt es sich an, als würde man gegen Windmühlen kämpfen. Ich hoffe, dass ich der Ukraine wenigstens etwas helfen kann.
Margareta, 22 Jahre, Enschede
Ein Bekannter wurde verhaftet
Bei dem sonnigen Wetter, das wir die ganze Woche hatten, waren wir viel spazieren in den schönen Düsseldorfer Parks, in denen es an jeder Ecke blüht. Die Jungs haben jetzt beide ein Fahrrad, was toll ist. Ich habe mich für einen Intensiv-Sprachkurs eingeschrieben, dreimal die Woche vier Stunden lang. Darauf freue ich mich, denn die Sprache ist der Schlüssel zur Integration.
Elenas Söhnen geht es gut.
:
Bild: Privat
Zum orthodoxen Osterfest, das am Wochenende gefeiert wird, essen wir normalerweise ein bestimmtes Gebäck. Eine Freundin hat mir gesagt, in welchem russischen Laden ich es hier in Düsseldorf kaufen könnte, aber irgendwie bringe ich es momentan nicht über mich, dieses Geschäft zu betreten. Ich werde ein paar gefärbte Eier kaufen.
Als Bewohnerin von Charkiw mache ich mir natürlich viele Sorgen wegen der neuen russischen Offensive im Osten der Ukraine. Viele meiner Bekannten sind erst einmal für ein paar Tage raus aus der Stadt aufs Land, was auch kein Problem war. Ich verfolge ständig die Nachrichten, auch dazu, ob es zu einem Austausch zwischen dem festgenommenen Viktor Medwedtschuk, einem ukrainischen Putin-Freund, und in Mariupol festsitzenden ukrainischen Soldaten und Zivilisten kommt.
In Charkiw habe ich als Immobilienmaklerin gearbeitet, hatte mit zwei russischen Kunden zu tun, die sich seit Ausbruch des Krieges nicht mehr gemeldet haben. Aus Belarus hingegen, wo ich mal eine Zeit lang gelebt habe, habe ich Nachricht von zwei Bekannten bekommen, die sich im Prinzip bei mir entschuldigt haben, dass sie nichts dagegen tun können. Einer der beiden hat dann auch in den sozialen Medien seine Ablehnung gepostet und wurde daraufhin festgenommen. So schlimm ist die Situation in Belarus.
Elena, 43 Jahre, Düsseldorf
Testen Sie F+ 3 Monate lang für nur 1 € die Woche und erhalten Sie Zugriff auf alle Artikel auf FAZ.NET.
Ich bin antriebslos
Vor ein paar Wochen, als Kiews Zukunft noch sehr unklar war und täglich Bomben fielen, las ich Worte, die mich sehr bewegten: „Wir alle hier in der Ukraine sind Kriegsmigranten. Einige fliehen ins Ausland, andere, die bleiben, fliehen in sich hinein.“ Wut, Trauer, Zorn – die Flucht ins Innere drückt sich bei meinen Freunden und mir sehr unterschiedlich aus. Hass auf den Aggressor muss in eine positive, hilfreiche Tätigkeit für die Gesellschaft umgewandelt werden. Flüchtlinge aufnehmen, auf Social Media aufklären, als Freiwilliger arbeiten oder sogar in den Krieg ziehen, all das ist hilfreich.
Aber ich merke auch, dass einige in Depressionen verfallen. Ich selbst merke, dass ich antriebslos bin und keine Energie für irgendwelche Tätigkeiten habe. Eine Kommilitonin hat ihr Studium ausgesetzt und geht zum Therapeuten. Sie hat es noch nicht geschafft, ihre innere Flucht zu beenden. Aber trotzdem ist jede Reaktion auf diesen Krieg menschlich und valide. Das ist die menschliche Seite des Kriegs.
Seit ich letzte Woche kurz zu Besuch in Kiew war, wo ich eigentlich wohne, glaube ich, dass meine innere Flucht beendet ist. Ich bin fest überzeugt, dass ich das Ausgestoßene bald fühlen kann. Doch der richtige Moment ist noch nicht gekommen. Der Krieg geht weiter. Mein Weg heraus aus der inneren Flucht hat erst angefangen. Ich weiß nicht, wann er sein Ende findet. Ich bin kein Flüchtling, auch wenn ich ins Innere flüchte. Und ich möchte mich so nicht identifizieren. Ich lasse es auch diskursiv nicht zu, mich von Russland als Kriegsgeflüchteter markieren zu lassen. Ich bin ein innerer Migrant, wie alle Ukrainer und Ukrainerinnen.
Wlad, 20 Jahre, Winnyzja
Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.
Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.
Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.