Nachrichten

#Willkommen in der Vorhölle

Willkommen in der Vorhölle

Nach katholischer Sicht bezeichnet „Limbus“ einen Ort der Unterwelt, an dem die Seelen Ungetaufter auf den Erlöser des Jüngsten Gerichts warten. Ihr Aufenthalt in der „Vorhölle“ ist unverschuldet, weswegen sie unbedingt gnadenwürdig erscheinen. Dummerweise aber gibt es die Erbsünde, man ist höllengefährdet qua Geburt, wenn man daran glaubt.

In Dante Alighieris „Göttlicher Komödie“ befinden sich in Limbo außerdem Wissenschaftler, Philosophen und Dichter außerchristlicher Kulturen. Ihnen allen gemeinsam ist das Vorläufige des Zustands, das (außer-)räumlich Schwebende und (neben-)zeitliche Noch-Nicht, die Nicht-Festgelegtheit ihrer Existenz, die sich in Richtung Himmel oder Hölle neigen kann. Das ist auch dann ein faszinierendes Gedankenspiel, wenn man nicht daran glaubt. Im Hochschulabschlussfilm „Limbo“, einer Kino-Koproduktion, gezeigt in der Reihe „Debüt im Ersten“, befinden sich die beiden Hauptfiguren im Zwischenzustand des Noch-Nicht-Verdorbenseins, in dem ihnen in einer Nacht, in einem einzigen Take, neunzig Minuten lang Lebensgefahr blüht. Hier geht es bürgerlich-moralisch zu, auch wenn der Look gangsterfilmstylish aussieht.

Beide Zentralfiguren des Films stehen auf Messers Schneide ihrer Existenz, sowohl die idealistische Compliance-Mitarbeiterin eines großen Finanzinstituts, Ana (Elisa Schlott), als auch der verdeckte Ermittler Carsten (Tilman Strauß), der eigentlich Anas Bruder ist und anders heißt. Bedroht wird ihre Absicht, aus Prinzipien zu handeln und niemanden als Mittel zu missbrauchen, vom Kleinganoven Ozzy (Martin Semmelrogge), einem schmierigen Typen mit der Lizenz zum sinnlosen Dauerlabern, von Anas „Der Zweck heiligt die Mittel“-Chef Mailing (Mathias Herrmann), seinem geschmeidigen Geschäftspartner (Steffen Wink) und vor allem vom Abgesandten der Unterwelt, von allen nur „der Wiener“ genannt (mit Schmäh: Christian Strasser). Emblematische Kippfiguren, keine Personenansichten. Kopfgeburten.

Der Film lebt von der Atmosphäre. Ana, unerfahren, aber mit Boxsport-Insiderkenntnissen, ist kapitalismuskritischer Workaholic. Mit ihr geht die Fahrt der Versuchung los. Es ist die Stunde des Feierabends, der Dämmerung. Freitagabend dazu, Scharnierstelle von Arbeitswoche und Freizeit, die von den Verantwortlichen eines Abzockskandals, der sich hier anderthalb Stunden in Echtzeit entfalten wird, als unnötiger Fake geschmiert wird. Stimmung zwischen Tag und Nacht, mittendrin die junge Mitarbeiterin, die immer wieder gefragt wird, was sie an der Finanzwelt, die mit der dunklen Seite der Macht umstandslos in eins gesetzt wird, anziehend findet. Auf dem Computerschirm fügen sich Anas Analysen erst einmal zum Schock. Die Kamera folgt ihr, als sie den Chef stellt, der sie im Auto mitnimmt. Die Kamera steigt beim Zigarettenkauf aus und trifft Carsten im Nebenzimmer, holt mit ihm Ozzy ab und fährt vom Rücksitz aus zum Veranstaltungsort illegaler Boxkämpfe. Vom herkömmlichen Kampf des Stärkeren zum Cyberverbrechen ist es nur noch ein Schwenk. Nebenzimmer verbergen Server, über die Kryptowährungen abgewickelt werden. Die Old Economy der Wettbüros existiert neben den Startups des virtuellen Betrugs.

Tim Dünschede (Regie) und Holger Jungnickel (Kamera) zeigen „Limbo“ als eine einzige lange Einstellung, sichtbare Schnitte gibt es nicht, eine Dramaturgie der Montage fällt weg. Das ist technisch aufwendig zu realisieren, schauspielerisch anspruchsvoll und auf die Länge auch Glückssache, sieht manchmal eindrucksvoll, manchmal aber auch richtig langatmig aus, und unterstreicht bisweilen vor allem die konzeptuelle Ambition der Macher, Absolventen der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen.

Die Story des Drehbuchs von Anil Kizilbuga ist ziemlich grob, die aufgesagten Dialoge zur Kapitalismuskritik, zum Abzocken als Lebensprinzip und zum illegalen Wettkampfboxen ohne Handschuhe als Karrieremetapher wirken hölzern. Als Zuschauer kann man sich freilich einlassen auf das, was man sieht. Dann sieht man einen Film, der eben nicht auf die üblichen „Sehgewohnheiten“ setzt, und der den Mut, nicht den sicheren Weg der Konvention zu nehmen. Die Idee des Films ohne Schnitt ist nicht neu und „Limbo“ kaum perfekt zu nennen. Trotzdem aber ist der Film auf seine Weise gelungen – wenn man sich auf den Weg der Kamera einlässt, sich auf das Sehen verlegt statt auf das Analysieren, und die Prämissen und die Charakter-Schmalheit der Rollen akzeptiert.

Limbo, heute um 22.50 Uhr im Ersten.

Wenn Ihnen der Artikel gefallen hat, vergessen Sie nicht, ihn mit Ihren Freunden zu teilen. Folgen Sie uns auch in Google News, klicken Sie auf den Stern und wählen Sie uns aus Ihren Favoriten aus.

Wenn Sie an Foren interessiert sind, können Sie Forum.BuradaBiliyorum.Com besuchen.

Wenn Sie weitere Nachrichten lesen möchten, können Sie unsere Nachrichten kategorie besuchen.

Quelle

Ähnliche Artikel

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schaltfläche "Zurück zum Anfang"
Schließen

Please allow ads on our site

Please consider supporting us by disabling your ad blocker!