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#Ein Heidelberger Projekt über in Stein gemeißelte Sutren in China

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Wenn Zivilisationen mitein­ander in Berührung kommen, so hat der Sinologe und Essayist Simon Leys einmal bemerkt, entgeht ihnen zunächst oft, was das Zentrum der jeweils anderen Kultur ausmacht – und zwar nicht, weil es so verborgen wäre, sondern weil es im Gegenteil zu offensichtlich ist, um in seiner Besonderheit erkannt zu werden. Leys demonstrierte das an der chinesischen Schrift, deren Zeichen auch Europäer nicht übersehen konnten und die von ihnen lange Zeit doch verkannt wurden, wenn nicht als reine Informationsübermittlung, dann als sogenannte „Kalligraphie“, als bloß hübsch anzuschauende, dekorative Form des Schönschreibens, wie es sie auch in anderen Sprachen gibt.

Übersehen wurde dabei, dass die Schrift in China einen ganz anderen Status als in alphabetisch organisierten Schriftsystemen hat: Sie repräsentiert keine Laute, sondern unmittelbar vorsprachliche Bedeutung, ähnlich wie Piktogramme, die an Flughäfen den Weg weisen. Längst bevor sich ihre Zeichen mit gesprochenen Sprachen verbanden, fungierten sie als Medium für politische Weissagungen; ihnen wurde also die Fähigkeit zugetraut, die Realität zu ordnen oder sogar überhaupt erst hervorzubringen. Übersehen wurde, dass das Schreiben dieser Zeichen schon früh extrem verfeinerte Standards entwickelte, die über die Kategorien der in Europa bekannten Kunstgattungen hin­ausgehen. Sie beziehen Elemente von Malerei, Tanz, Musik und Literatur mit ein, vermengen sie aber zu einer ästhetischen Erfahrung ganz eigener Art. Nicht Gefälligkeit oder Schönheit setzen dabei den Maßstab, sondern Natürlichkeit, jene Zwanglosigkeit des Selbstausdrucks, die erst dann zu erreichen ist, wenn man ein Leben lang alle Regeln der Kunst zuerst gelernt und dann hinter sich gelassen hat.

Leys konnte daher schreiben, dass Außenseiter zu diesen „inneren Kammern“ der Kultur erst einmal keinen Zugang hätten – „es sei denn, sie sind dazu bereit, einen Teil ihres ursprünglichen Gepäcks aufzugeben“. Hinzu kommt, dass im heutigen China eine Kommunistische Partei argwöhnisch über allem wacht, was sie als nationale Kultur versteht. Dies alles muss man im Hinterkopf behalten, um das Besondere eines Projekts der Heidelberger Akademie der Wissenschaften zu bemerken, das seit nunmehr achtzehn Jahren gemeinsam mit chinesischen For­schungsinstitutionen und Verlagen eine solche innere Kammer der auf Schrift gegründeten Kultur Chinas erkundet.

Ein monumentales Projekt

Konkret geht es um die vollständige Dokumentierung und Analyse eines eigenartigen Abschnitts der chinesischen Geistesgeschichte. Zwischen dem sechsten und dem zehnten Jahrhundert meißelten buddhistische Mönche Sutras in die Felsen von Bergen, sodass die Zeichen noch eine weitere Dimension bekamen, die Einbettung in die chinesische Landschaft. In vielen Fällen wurden diese Inschriften später durch ebenfalls in Stein gehauene Kommentare von anderen Buddhisten, aber auch von Taoisten, Konfuzianern oder Kommunisten ergänzt; die so entstandene Land Art stellt daher einen konzentrierten Ausdruck der traditionellen chinesischen Kultur in ihrem komplexen Zusammenspiel dar.

Ein Forscherteam der Heidelberger Akademie der Wissenschaften auf dem Berg Tai in China.


Ein Forscherteam der Heidelberger Akademie der Wissenschaften auf dem Berg Tai in China.
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Bild: Heidelberger Akademie der Wissenschaften

In seinem Umfang erinnert das Heidelberger Projekt an die monumentalen Editionen des neunzehnten Jahrhunderts, doch anders als diese spiegelt es nicht bloß den in die ganze Welt ausgreifenden Forscherdrang europäischer Gelehrter – der damals auch noch durch den Kolonialismus gestützt war –, sondern den Versuch, eine alte Kultur durch Kooperation von innen und außen zugleich zu erfassen. Der Zugang zu den Orten kulturell bedeutsamer Monumente ist in China für Ausländer oft eingeschränkt. So waren für die Feldforschung zahlreiche Genehmigungen auf allen Ebenen des chinesischen Staats nötig, von der nationalen Denkmalschutzbehörde über die zuständigen Ämter auf Provinzebene bis hin zu den Amtsträgern in den betreffenden Städten und Dörfern, bei denen, wie die Mitarbeiter berichten, ausgedehnte gemeinsame Bankette mit reichlich Alkohol für die erforderliche gute Stimmung sorgen mussten. Wissenschaftlich arbeitet das Projekt mit der Kunsthochschule in Hangzhou und mit zahlreichen archäologischen und kalligraphischen Instituten im ganzen Land zusammen.

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