Wissenschaft

Ein römisches Massengrab in Wien

Spektakulärer Zufallsfund: Bei der Sanierung eines Sportplatzes im Wiener Stadtteil Simmering haben Archäologen ein Massengrab aus der Römerzeit entdeckt – angesichts der damals üblichen Feuerbestattungen eine absolute Rarität. Die aus mit dem ersten Jahrhundert stammenden Überreste von mehr als 150 jungen Männern mit Kampfverletzungen deuten darauf hin, dass hier die Opfer einer Schlacht bestattet wurden – möglicherweise gab sie sogar den Anstoß zur Gründung Wiens.

Im Römischen Reich wurden Tote in der Regel verbrannt. Solche Feuerbestattungen waren im römischen Europa bis ins 3. Jahrhundert üblich, entsprechend selten sind daher römische Gräber mit intakten Körpern aus dieser Zeit. Eine Ausnahme bildeten allerdings Notsituationen, beispielsweise bei Seuchen oder in Kriegen. Denn dann starben so viele Menschen auf einmal, dass Zeit und Ressourcen für die Feuerbestattungen nicht ausreichten.

Lagekarte
Lage des Massengrabs an der damaligen Donaugrenze des römischen Reiches. © Martin Mosser/ Stadtarchäologie Wien

Gebeine von mindestens 150 Soldaten

Einen solchen seltenen Fall hat nun ein Team der Stadtarchäologie Wien im Wiener Stadtteil Simmering entdeckt. Dort stießen Bauarbeiter bei der Sanierung eines Sportplatzes auf menschliche Knochen und benachrichtigten das österreichische Bundesdenkmalamt. Daraufhin begannen die Archäologen mit einer Ausgrabung, in deren Verlauf sie eine rund 4,50 mal 5 Meter große Grube mit zahlreichen Skeletten freilegten. Die Knochen belegen, dass hier mindestens 150 Menschen bestattet worden sein müssen. „Die Individuen waren ohne erkennbare Ordnung oder Ausrichtung bestattet“, berichtet das Wien Museum. „Die Gliedmaßen waren mit denen anderer Individuen verschränkt. Dies deutet auf eine hastige Bedeckung der Toten mit Erde, also keine geregelte Bestattung, hin.“

Dies legt nahe, dass diese Toten eher hastig in einem Massengrab verscharrt worden sind, wie die Archäologen berichten. Auffallend auch: Bei den Toten handelt es ausschließlich um Männer im Alter von 20 bis 30 Jahren. Alle bisher untersuchten Skelette weisen zudem Verletzungen durch stumpfe und scharfe Waffen auf, darunter Wunden durch Lanzen, Dolche und Schwerter, aber auch durch Eisenbolzen von Schusswaffen. „Aus der Anordnung der Skelette und da es sich um rein männliche Überreste handelt, kann ausgeschlossen werden, dass der Fundort in Verbindung mit einer Hinrichtungsstätte oder dergleichen steht oder dass eine Seuche die Todesursache war“, heißt es in der Mitteilung des Wien Museums. „Die Verletzungen an den Knochen sind eindeutig auf Kampfhandlungen zurückzuführen.“

Dolch
Röntgenbild der römischen Dolchscheide mit Einlegearbeit aus Silberdraht. © L. Hilzensauer/ Wien Museum

Dolch und Schuppenpanzer erlauben die Datierung

Den Zusammenhang mit einer kriegerischen, katastrophal geendeten Kampfhandlung bestätigen auch einige im Massengrab gefundene Objekte. Die insgesamt geringe Anzahl an Fundobjekten deutet nach Angaben der Archäologen allerdings darauf hin, dass die Toten ihrer Waffen sowie Ausrüstungen beraubt wurden. Das wichtigste Fundstück ist ein stark verrosteter eiserner Dolch mit Scheide. In Röntgenaufnahmen waren charakteristische Einlegearbeiten aus Silberdraht zu erkennen, wie sie typisch für römische Dolche aus der Zeit zwischen Mitte des 1. und Anfang des 2. Jahrhunderts n. Chr. sind. Ebenfalls charakteristisch für diese Zeit sind die Machart eines Helmteils sowie zahlreiche römische Schuhnägel.

Ein besonderer Fund sind zudem mehrere Teile eines römischen Schuppenpanzers, wie das Wien Museum berichtet. Diese sogenannte Lorica squamata bestand aus runden, überlappenden Metallplättchen, die auf ein Lederhemd aufgenäht und mit Draht verbunden waren. Diese Machart war zwar aufwendiger in der Herstellung als die römischen Schienenpanzer, dafür gaben die ab etwa dem Jahr 100 etablierten Schuppenpanzer ihren Trägern aber mehr Bewegungsfreiheit. Zusammen legen die Funde nahe, dass dieses Massengrab nach dem katastrophalen Ende eines militärischen Einsatzes am Ende des 1. Jahrhunderts angelegt wurde.

Niederlage gegen die Germanen

Doch warum und gegen wen kämpften die römischen Soldaten damals? Die Archäologen vermuten, dass dies mit der Lage dieser Gegend an der Donaugrenze des Römischen Reiches zusammenhängt. Ende des 1. Jahrhunderts kam es dort immer wieder zu Kämpfen mit Germanen. Diese sogenannten Donaukriege unter Kaiser Domitian verliefen für die Römer äußerst verlustreich – es gibt Berichte von der Vernichtung einer ganzen Legion. Das Massengrab in Simmering ist der erste physische Beleg für Kampfhandlungen aus dieser Zeit, wie die Archäologen erklären. Es weist auf eine schwerwiegende Niederlage der Römer im Gebiet des heutigen Wiens hin.

Damit könnte das neu entdeckte Massengrab in direktem Zusammenhang mit der Gründung Wiens stehen. Denn diese Niederlage der römischen Armee war möglicherweise der Anlass für den Ausbau des vormals kleinen Militärstützpunkts zum Legionslager Vindobona. Dieses umfasste neben einer Festung für die römischen Soldaten auch eine benachbarte zivile Siedlung, in der Angehörige der Soldaten, Händler und Handwerker lebten. Unweit davon entstand zudem eine größere zivile Stadt. Zusammen gelten sie als antike Vorläufer der Stadt Wien. „Womöglich eröffnet uns die Hasenleitengasse somit den Anfang der urbanen Geschichte Wiens“, heißt es in der Mittteilung der Stadtarchäologie Wien.

Quelle: Wien Museum – Stadtarchäologie

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