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#Ein Traum des Auges

„Ein Traum des Auges“

Die drei Bäume bei Thixendale sind in Wirklichkeit vier oder fünf. Links hinter den drei Ahornriesen steht, wie man auf Fotos sehen kann, ein weiterer, kleinerer Bergahorn, und rechts schließt sich hügelaufwärts eine ganze Baumreihe an. David Hockney hat beides weggelassen. Bei ihm ragen die drei Bäume an der Landstraße auf, die sich durch die Landschaft von North Yorkshire schlängelt, als hätten sie sich diesen Ort ausgesucht; und genau darin liegt ihr augenöffnender Zauber. Trotzdem lohnt es sich, die Fotos zu betrachten, die es von derselben Stelle gibt, denn sie erinnern daran, dass die Natur, wie sie bei Hockney erscheint, keine bloße Natur ist. Sondern ein Traum von ihr.

Hockney hat die „Drei Bäume bei Thixendale“ in vier Großformaten mit insgesamt zweiunddreißig Einzelleinwänden auch nicht in der Reihenfolge gemalt, in der sie in der Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie erscheinen. Er fing im Sommer 2007 an, wartete dann bis zum Winter, machte im Frühjahr 2008 weiter und vollendete den Zyklus im folgenden Herbst. In Berlin aber hängen die vier Breitwandbilder in der bekannten Ordnung, die im Frühling beginnt und mit dem Winter aufhört. Die Landschaft, könnte man sa­gen, ist schon sortiert, bevor sie auf die Leinwand kommt, und im Museum wird sie noch einmal nachsortiert, bis sie unseren Lese- und Sehgewohnheiten entspricht. Und doch ist der Eindruck, wenn man in dem aus Stellwänden gebauten Viereck in der Säulenhalle der Gemäldegalerie steht, auf ungewohnte Weise überwältigend. Die viermal drei Bäume im Kleid der Jahreszeiten, zusammen knapp zwanzig mal acht Meter bemalte Fläche, hängen nicht nur einfach da, sie durchtönen den Raum, sie machen die Frage, was Natur und was Kunst sei, unter sich aus.

Die Bäume im Sommer: „Three Trees near Thixendale, Summer“ von 2007





Bilderstrecke



Die Spur der Bäume
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Hockneys Landschaften und ihre Vorbilder

Auch die Ausstellung selbst ist eine Art Kunstgespräch. Die vier Hockneys gehören dem Sammler und Industriellen Reinhold Würth, mit dem die Staatlichen Museen schon bei mehreren Projekten zusammengearbeitet haben. Die Gemäldegalerie hat sie mit einer Auswahl klassischer Landschaften aus ihrem Bestand und aus dem des Kupferstichkabinetts ergänzt. Der Parcours beginnt chronologisch mit einem „Heiligen Hieronymus“ Piero della Francescas, auf dem die Landschaft noch ganz schematisch wirkt, die Baumstämme sich aber schon genauso imposant in die Höhe recken wie bei Hockney.

Zwei Bilder weiter sind wir im siebzehnten Jahrhundert und bei Lorrain, der die virtuose Wiedergabe des Laubwerks mit der von Hockney gehassten Zentralperspektive zusammenbringt; und wenn die Kuratoren nicht Franzosen und Engländer auf die eine, Italiener und Niederländer aber auf die andere Seite des Saals gehängt hätten, könnte man von der Bogenbrücke in der rechten Bildhälfte von Lorrains „Italienischer Küstenlandschaft“ direkt zu Rembrandts „Landschaft mit Bo­gen­brü­cke“ blicken, die erst kürzlich seinem Schüler Govert Flinck ab- und dem Meister wieder zugeschrieben wurde. Auch bei ihm spielt die Brücke keine tragende Rolle, das eigentliche Sujet ist eine Gruppe von Er­len, die in der Bildmitte vom Wind ge­zaust und vom Licht gestreichelt wird.

Sachlichkeit und Modernität

Konzeptausstellungen haben den Vorteil, dass man, vom Hasten durch die Sammlung erlöst, zur Versenkung in einzelne, sonst weniger auffällige Bilder angeregt wird. In Berlin ist es, nach den Wasser-und-Wolken-Symphonien Jacob van Ruisdaels und den von Plünderern heimgesuchten holländischen Ebenen seines Onkels Sa­lo­mon, eine Landschaft Philips de Ko­nincks von 1660. Turmhoch, wie von ei­nem Ka­me­ra­kran gehoben, schwebt der Blick über dem Tiefland. Im Vordergrund, am Fuß einer Düne, ist ein Weiler mit Kirchlein erkennbar, dahinter stehen ein paar Windmühlen, aber eigentlich spielt die An­wes­en­heit von Menschen in dem Bild keine Rolle mehr. Die Marschlandschaft, die in der Ferne mit dem regenschweren Himmel verschmilzt, kann auf die Spuren der Zivilisation verzichten. Die Modernität des Bildes liegt in seiner grenzenlosen Sachlichkeit, die den ästhetischen Schock des „Mönchs am Meer“ um eineinhalb Jahrhunderte vorwegnimmt.

Hockneys eigentliche Ahnenreihe be­ginnt in England, mit Gainsborough und Constable. Dass die Landschaft ein Kon­strukt aus Wirklichem ist, hat der Maler aus Yorkshire bei seinen Landsleuten ge­lernt, den Pinselstrich aber, der diesen Gedanken umsetzt, fand er bei van Gogh. Dessen Federskizze „Ernte in der Provence“, die Vorzeichnung zu seiner berühmten „Erntelandschaft“, hängt nur vierzehn Tage in der Ausstellung, dann wird sie aus konservatorischen Gründen durch ein Faksimile er­setzt. Wo aber van Gogh die menschliche Arbeit an der Natur feiert, sind Hockneys Weizenfelder menschenleer. Kein Bauer oder Passant stört die Andacht des Blühens und Verwelkens. Zu Zeiten der Barbizon-Maler war das eine Provokation, heute ist es ein Schlüssel zu Hockneys Erfolg.

Denn Landschaften sind nie un­schul­dig. Das Land, das Constable und Gainsborough malten, fiel der Spekulation anheim, an den Flussläufen wuchsen Fabriken. Die Natur, die David Hockney feiert, ist vom Klimakollaps bedroht, ihre Schönheit steht längst im Konjunktiv. Umso inbrünstiger folgt sein Pinsel den Strukturen des Geästs und seine Farbpalette dem Schimmer des Mittagslichts. So stillt er die Sehnsucht der Zeitgenossen nach einer Welt ohne Wandel. Längst sind in Yorkshire Touristenpfade entlang der Stätten seines Schaffens eingerichtet. Vielleicht ist die Zentralperspektive auch deshalb Hockneys Feindin, weil sie ihn zwingen würde, das Menetekel hinter den Blättern der Bäume zu lesen.

Warum aber müssen es drei sein? Die Antwort steckt in einer Radierung Rembrandts von 1643, von der auch das Kupferstichkabinett ein Exemplar besitzt. Auch Rembrandt zeigt drei Bäume. Hockney hat sie nur wiedergefunden. In Yorkshire und in seiner Phantasie.

David Hockney. Landschaften im Dialog. Ge­mäl­degalerie am Kulturforum, bis 10. Juli. Das Booklet in Deutsch und Englisch ist gratis.

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