Ein Treffen mit Abor & Tynna

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Das mit dem Cello war eine ziemlich blöde Idee. Auch wenn es ein ganz billiges Instrument, ein einfaches Bühnenrequisit war, wie sie versichert. Er aber wollte es trotzdem nicht zertrümmern. „Das hätte ein bisschen eine falsche Message gesendet, wenn ich auf der Bühne einen Ausraster gehabt hätte.“ Also griff sie beherzt zu. Wer die Idee dazu hatte? Stefan Raab. Ihren Vater, Csaba Bornemisza, der seit 1993 Violoncello bei den Wiener Philharmonikern spielt, hatten sie vorgewarnt. Damit er keinen allzu großen Schreck bekam. Ob Abor & Tynna auch beim Finale des Eurovision Song Contest (ESC) am Samstag in einer Woche ein Cello am Ende ihres Auftritts zertrümmern, dürfen sie noch nicht verraten. „Die Bühnen-Performance wird natürlich komplett anders sein als beim Vorentscheid. So viel können wir schon sagen.“
Abor & Tynna sind auf dem Weg nach Basel. Im ICE 73. In Hamburg ging es los. Es ist seit langer Zeit das erste Mal wieder, dass die deutsche Delegation per Zug zu einem ESC fahren kann. Die Bahn hat eigens den Wagen zwölf dafür „gebrandet“. Auf den bunten Kopfkissen der ersten Klasse steht „Germany 12 Points! Abor & Tynna #fahrenBahn“. Abor & Tynna, das sind Attila und Tünde Bornemisza, zwei Österreicher, die für Deutschland in der Schweiz singen werden. Abor, kurz für Attila Bornemisza, ist 26, seine Schwester Tünde, die sich Tynna nennt, zwei Jahre jünger. Die beiden wurden gleich von zwei Seiten aufgefordert, sich beim deutschen Vorentscheid in diesem Jahr zu bewerben. Von ihrem deutschen Musiklabel und von ihren Followern auf Tiktok und Instagram.
Sie schrieben extra ein Lied – aber Raab wollte „Baller“
So landeten sie, wie 3281 weitere Bewerber und Beiträge, bei „Chefsache ESC 2025 – Wer singt für Deutschland?“ Der Chef, das ist Stefan Raab, der natürlich auch zu der Expertenjury gehörte, die eine Vorauswahl aus allen Einsendungen traf. Anschließend fanden nicht öffentliche Castings statt, am Ende blieben 24 Kandidaten übrig. Jeweils zwölf traten in zwei Vorrunden gegeneinander an, je sieben kamen in ein Halbfinale, neun erreichten schließlich das Finale am 1. März, unter ihnen Abor & Tynna.
Das Geschwister-Duo hatte zunächst ein eigens für den ESC geschriebenes Lied eingereicht. „Wir dachten uns, wenn wir uns schon bewerben, dann mit einem maßgeschneiderten Lied“, sagt Abor. Es sollte möglichst international sein, deswegen war es in englischer Sprache. „Wir hatten es auch fertig produziert, es kam dann aber doch anders.“ Die noch titellose Demo-Version gefiel Raab durchaus, doch zwei Tage nachdem er sie erstmals gehört hatte, rief er die beiden an, um sie von einem anderen ihrer Lieder zu überzeugen. „Er hatte bei uns auf Tiktok ein Lied von unserem Album gehört“, erzählt Tynna. Dieses Baller, dieses Baller-la-la-la, das stetig wiederholt auch international wohl verstanden wird, das war ihm sofort im Ohr geblieben. Anfangs seien sie noch ein bisschen skeptisch gewesen, gerade weil ihr Lied „Baller“ auf Deutsch ist. Doch sie ließen sich überzeugen. „Im Endeffekt ist es ja unser Song, von dem her mochten wir ihn natürlich.“ Und sie sind selbstverständlich auch stolz, dass sie ein selbst geschriebenes Lied beim ESC präsentieren dürfen.
Das erste deutschsprachige Lied seit 2007
„Baller“ handelt von einer Trennung, blickt aber auch nach vorne. Tynna und ihr damaliger Freund hatten sich im vergangenen Sommer nach sechs Jahren Beziehung getrennt. Danach schrieb sie eine ganze Reihe von traurigen Liedern, für ihr Album „Bittersüß“, das Mitte Februar erschienen ist. Vor allem Balladen, wie sie sagt. „Irgendwie hatte ich an dem Tag aber das Gefühl, jetzt habe ich genug davon geschrieben. Ich brauche endlich etwas, das mich komplett gefühlsmäßig da rausreißt.“ Sie suchte nach einem Wort, das kraftvoll war und eingängig und um das sich ein ganzes Lied schreiben ließ. So kam sie auf „Baller“, im Sinne von rumballern, und auf das englische Sprichwort „to shoot for the stars“, nach den Sternen greifen. Es ist die einzige englische Zeile im Lied, die gleich zweimal vorkommt. Ansonsten ist „Baller“ das erste deutschsprachige Lied aus Deutschland beim ESC, seit Roger Cicero 2007 mit seiner jazzigen Swing-Nummer „Frauen regier’n die Welt“ antrat.
Abor & Tynna, die ungarische und rumänische Familienwurzeln haben, haben von klein auf Musik gemacht: Abor spielt Cello, Tynna Querflöte, ihre jüngere Schwester Geige. Und das früher an jedem Tag, wie sie erzählen. Nur an Weihnachten und an ihrem Geburtstag mussten sie nicht üben. Sie nahmen auch an Wettbewerben teil, gewannen Preise, Tynna besuchte später sogar eine Vorbereitungsklasse für das Konservatorium. „Aber irgendwie habe ich dann gemerkt, dass das nichts für mich ist“, erzählt sie. Da sei schon sehr viel Konkurrenzkampf, und es sei auch nicht einfach, sich als Solistin oder Solist in der klassischen Musik zu positionieren. Dazu die vielen einsamen Stunden mit dem Musikinstrument.
Für Raab klingt sie „wie ein weiblicher Udo Lindenberg“
Zugleich begann sie, mit ihrem Bruder eigene Projekte umzusetzen. „Wir haben eher unser Ding gemacht, aber trotzdem auch teilweise die Instrumente eingebaut: Violine, Cello, Flöte.“ Hinzu kam Tynnas Stimme. „Als kleines Mädchen habe ich schon im Badezimmer die Akustik getestet.“ Eine Gesangsausbildung hat sie nicht, aber eine einprägsame Stimme, oder, wie Stefan Raab sagt, sie klingt wie ein „weiblicher Udo Lindenberg“. Was sie ganz klar als Kompliment versteht. „Das rührt wohl daher, dass ich einfach eine tiefere Stimme habe, ein bisschen, wie sagt man, kratziger oder einfach ein bisschen mehr Sound habe in diese Richtung“, sagt Tynna. „Ein weiblicher Cro warst du auch schon“, wirft ihr Bruder lachend ein. Er singt gar nicht. Abor produziert ihre Lieder, die sie zusammen schreiben, auch wenn die Texte eher von ihr kommen. Und das weiterhin nebenbei. Sie ist im Bachelorstudium Psychologie und will es auch beenden, er im Masterstudium für Maschinenbau.
Derzeit kommt das Studium zu kurz, und musikalische Pläne gibt es auch schon für den Herbst: Im September und Oktober gehen sie in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf „bittersüß tour“. Dass Stefan Raab mit Abor & Tynna wieder für Deutschland gewinnen will, setzt sie nicht unter Druck. „Ich glaube, wenn man sich bewirbt und zum ESC fährt, dann sollte man schon den Anspruch haben, mit seinem Act und auch mit seiner Performance überzeugen zu können“, sagt Abor. „Von dem her ist das kein Druck, sondern eher eine Motivation und ein schönes Gefühl, dass er da auch so viel Vertrauen in uns hat.“ Derzeit finden sie sich bei den Vorhersagen eher im Mittelfeld wieder, doch noch standen sie, anders als viele andere Künstler aus den 37 teilnehmenden Ländern, nicht auf der Bühne in der St. Jakobshalle in Basel. Vielleicht hat Raab ja noch ein Ass im Ärmel, und keiner von beiden muss noch einmal ein Cello zertrümmern.
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