Wissenschaft

#Eine detaillierte Staubkarte für die Milchstraße

Interstellarer Staub ist in unserer Galaxie allgegenwärtig, kann jedoch die Beobachtung ferner Himmelsobjekte verfälschen. Unser Blick auf sie fällt quasi durch ein schmutziges Fenster. Umso wichtiger ist es, diese Staubeffekte möglichst genau zu kennen. Jetzt haben Astronomen erstmals eine detaillierte 3D-Karte erstellt, die die Staubverteilung und Merkmale in der Milchstraße und den Magellanschen Wolken so detailliert dokumentiert wie nie zuvor. Dies ermöglicht es, die Lichtabsorption durch diesen Vordergrundstaub – die sogenannte Extinktionskurve – genauer als bisher zu ermitteln. Möglich wurde dies durch 130 Millionen stellare Lichtspektren der europäischen Gaia-Mission sowie gut eine Million Spektren der LAMOST-Durchmusterung in China. Mithilfe einer Künstlichen Intelligenz konnten die Astronomen daraus ihre 3D-Karte der Staubextinktion erstellen. Auch zu den Eigenschaften des interstellaren Staubs selbst erbrachten ihre Analysen neue, teils überraschende Ergebnisse.

Wenn Astronomen ferne Himmelsobjekte beobachten und ihre Rotverschiebung messen, müssen sie eine mögliche Fehlerquelle berücksichtigen. Denn wie rötlich ein Stern erscheint, hängt nicht nur von seiner Entfernung, Bewegungsrichtung und der kosmischen Expansion ab. Auch interstellare Staubwolken, die das Sternenlicht durchquert, beeinflussen das Spektrum. Dieser Staub lässt entfernte kosmische Objekte rötlicher erscheinen und dämpft ihre Helligkeit – beide Merkmale sind jedoch für die Entfernungsbestimmung wichtig. Für genaue Beobachtungen müssen Astronomen daher wissen, wie viel Staub sich zwischen ihnen und ihren fernen Beobachtungszielen befindet.

Gaia, LAMOST und eine Künstliche Intelligenz

Eine neue 3D-Karte hilft nun, die Störeffekte interstellaren Staubs besser einzuschätzen. Xiangyu Zhang und Gregory Green vom Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg haben dafür zunächst die Lichtspektren von rund 130 Millionen Sternen in der Milchstraße und den Magellanschen Wolken ausgewertet, die vom europäischen Weltraumteleskop Gaia in den letzten rund zehn Jahren im Rahmen seiner Himmelsdurchmusterungen gemessen wurden. Aus früheren Analysen und Modellen ist bekannt, dass sich das Ausmaß der Staubwirkung in solchen Spektren anhand einer spezifischen, Wellenlängen-abhängigen Absorption ermitteln lässt. Denn kosmische Staubteilchen absorbieren stärker bei kürzeren Wellenlängen und weniger stark bei längeren Wellenlängen. Diese Wellenlängenabhängigkeit ergibt eine spezifische „Extinktionskurve“, deren Form Aufschluss über die Menge und Zusammensetzung des Staubs gibt. Bisher waren die aus den Gaia-Daten entnommenen Informationen über diesen Staubeffekt im lokalen Kosmos allerdings ungenau, weil die Gaia-Spektren niedrig aufgelöst sind.

Zhang und Green haben dieses Problem nun mithilfe einer weiteren Datenquelle und künstlicher Intelligenz gelöst. Wie sie feststellten, wurde rund ein Prozent der von Gaia analysierten Sterne auch von der LAMOST-Durchmusterung der chinesischen Nationalobservatorien erfasst. Diese lieferte für diese Sterne höher aufgelöste und daher feinere Lichtspektren, an denen die Merkmale der Sterne und auch die staubbedingte Extinktionskurve gut ablesbar sind. Deshalb nutzten die Astronomen diese Daten, um ein neuronales Netz zu trainieren. Aufgabe des KI-Systems war es dabei, Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, mit deren Hilfe sich auch für die gröberen Gaia-Spektren die genaue Staub-Extinktionskurve ermitteln lässt. “Wir trainierten das Modell daher mit 2,4 Millionen Sternentyp-spezifischen Parametern aus dem LAMOST-Datensatz”, erklären die Forscher. Auf dieser Basis lernte das KI-System, für unterschiedliche Sterne und Staubeigenschaften realistische Modellspektren zu erzeugen. Dadurch konnten die Astronomen die KI anschließend nutzen, um auch für die restlichen 130 Millionen Gaiaspektren die Extinktionskurve zu rekonstruieren.

Karte der Staubextinktion
Karte der staubbedingten Extinktion in der Milchstraße. Rot zeigt Regionen, in denen die Extinktion bei langen Wellenlängen schneller abnimmt, während Blau eine weniger große Abhängigkeit von der Wellenlänge anzeigt. © X. Zhang, G. Green/ MPI für Astronomie

Extinktionskarte und ein unerwarteter Befund

Das Ergebnis ist eine Karte, die für die Milchstraße und die Magellanschen Wolken die Verteilung des interstellaren Staubs und seine Effekte auf astronomische Beobachtungen so detailliert wie nie zuvor zeigt. “Frühere Karten der Staub-Extinktion gingen von einem konstanten Wert für R(V) aus, was unserer Schätzung nach eine systematische Unsicherheit von etwa zehn Prozent verursachte”, schreiben Zhang und Green. “Unsere 3D-Karte gibt den R(V)-Wert für den Vordergrundstaub als Funktion der Entfernung entlang einer beliebigen Sichtlinie in der Milchstraße an.” Dies liefere nun weit genauere Werte. Die neuen Ergebnisse zeigten jedoch auch Überraschendes. Denn bisher gingen Astronomen davon aus, dass sich die Extinktionskurve in Himmelsbereichen mit höherer Staubdichte abflacht. Die Absorptionswirkung des Staubs ist demnach in dichteren Wolken weniger stark von der Wellenlänge abhängig. Als Ursache dafür gilt der erhöhte Anteil von etwas größeren Staubkörnchen in dichteren Staubwolken. Dies verändert die Absorptionseigenschaften jener Regionen.

Doch die jetzt veröffentlichte Kartierung zeigt etwas anderes: Den neuen Daten zufolge wird die Extinktionskurve in Gebieten mit erhöhter, aber nicht maximaler Staubdichte steiler. Der Staub in diesen Bereichen absorbiert Sternenlicht demnach bei kürzeren Wellenlängen zunehmend effektiver als bei längeren. Solche Zonen finden sich in der Milchstraße unter anderem in den Sternentstehungsgebieten der Scorpius- und Ophiuchus-Region sowie nahe anderen Sternenwiegen. Nach Vermutungen von Zhang und Green könnte die unerwartet starke Wellenlängenabhängigkeit in diesen Gebieten durch abweichende Staubgrößen entstehen, vielleicht aber auch durch bestimmte Moleküle in den kalten molekularen Wolken dieser Gebiete.

Quelle: Xiangyu Zhang und Gregory M. Green (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg), Science, doi: 10.1126/science.ado9787

 

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