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#Einmal nicht mehr Sohn sein

„Einmal nicht mehr Sohn sein“

Dreiundzwanzig Jahre ist er alt und hat noch nichts für seine Unsterblichkeit getan. Wenn Don Karlos, der spanische Kronprinz, Reden schwingt, geht es ziemlich großartig zu. Ihn „ruft die Weltgeschichte“. Es gibt kein größeres Leid als seines auf der Erde. Alles in ihm und um ihn ist entweder himmlisch oder höllisch. Ständig ruft er die Menschheit an. Ständig sagt er auch „O“: O wer weiß; O, zu gut; O ihr guten Geister; O, du bists!; O, jetzt ist alles wieder gut; O, der Einfall war kindisch; O, wenn es eintrifft, was mein Herz mir sagt, O, zögre nicht; und natürlich: O Gott! Sowie O Roderich. Das sind jetzt nur die Os von Don Karlos während der ersten zwei Auftritte von Schillers Drama.

In seiner Stuttgarter Inszenierung durch David Bösch beginnt die Geschichte des Karlos allerdings weniger großartig und auch nicht mit dem berühmten Eingang „Die schönen Tage in Aranjuez / Sind nun zu Ende“, der bei Schiller die Szene in den königlichen Gärten eröffnet. Bei Bösch tritt Don Karlos stattdessen an den Bühnenrand und sagt: „Ich habe sehr viel Unglück mit meinen Müttern“, was die ersten berechtigten Lacher des Publikums auslöst. Wie viele Mütter kann man haben?

Derlei Patchwork ist ein Problem

Don Karlos ist also auf Unsterblichkeit aus und zugleich ein Müttersohn. Er hat zwei. Die leibliche ist bei seiner Geburt gestorben, in die französische Stiefmutter Elisabeth von Valois war er verliebt, bevor sein Vater sie zur Ehefrau nahm. Derlei Patchwork ist natürlich ein Problem, und das Trauerspiel nimmt seinen Lauf. Elisabeth liebt Karlos nämlich auch, der Gatte Philipp ist ein Tyrann, der das nicht nur aus katholischen Gründen nicht duldet, seinerseits aber einer Hofdame nachstellt, die wiederum vergeblich Karlos liebt, dessen Freund, dem Marquis von Posa, jenem Roderich, die Befreiung von Flandern von spanischer Herrschaft vorschwebt, wozu wiederum der gern hart durchgreifende Herzog von Alba, die katholische Kirche und der Monarch nicht die geringste Neigung verspüren.

Wir haben also ein Familiendrama (Sohn liebt Stiefmutter und wäre auch darum lieber kein Sohn), ein Herrschaftsdrama (Wer sagt dem Chef die Wahrheit über die Gattin?), ein polit-theologisches Drama (Ist der Mensch schlecht und muss also unterdrückt werden, oder ist er eine Zukunftshoffnung?) und ein höfisches Drama (Wie intrigiert man unter diesen unübersichtlichen Umständen am besten zugunsten von Flandern oder Madrid?).

David Bösch entscheidet sich für das Familiendrama. Seinen Protagonisten fehlt jede höfische Spannung, der Großinquisitor kommt aus dem Off, das Kreuz ist nur Kulisse, im Drama trägt es niemand. Die Schauspieler laufen über die weitgehend leere Bühne wie über einen Schulhof oder einen Bürgersteig. Eine Choreographie gibt es nicht. Schillers Jamben werden nachlässig gesprochen.

Vor allem Felix Strobel als Don Karlos mit geschminkten Augen berlinert – „Jetzt isser endlich da“ – ungehemmt drauflos. Matthias Leja als König von Spanien sieht in Rollkragen und Glitzeranzug aus wie ein Insasse der Kreativwirtschaft, der Marquis von Posa hat seine Haare blond gefärbt, vermutlich aus Sympathie zu Flandern, und wirkt bei David Müller wie der Pressesprecher einer Bewegung für historischen Fortschritt, der auf seine Formulierungskünste schon sehr stolz ist.

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