#Einst die Jungs von nebenan
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Meine Mutter war ziemlich erbost. Kevin, Brian, Howie, AJ und Nick waren noch immer nicht aufgetaucht. Vor mehr als einer Stunde sollte die Show schon losgehen, doch keine Spur von den „Backstreet Boys“ in der Stadthalle Bremen. In jenem Juli 1999 war ich keine zehn Jahre alt, es war mein erstes Konzert und sie war meine tapfere Begleiterin. An die kreischende Mädchenmenge kann ich mich noch gut erinnern – und daran, wie die Show begann: Die fünf Jungs schwebten, an Fäden aufgehangen, auf Snowboards vom Hallendach auf die Bühne. Wow! Der Ärger über die Verspätung war sofort vergessen.
Damals war es mein sehnlichster Wunsch, die Backstreet Boys live zu sehen. Mich störte es wenig, dass die Boybands zumeist weibliche Fans hatten. Ich schlief trotzdem gut und gerne mit meinem Nick-Carter-Kopfkissen in meinem Kinderbett ein, kritzelte überall „BSB“ hin und sang in falschem Englisch „Everyboooody! Rock your Booooody!“ mit.
Schule schwänzen für Konzerttickets
Meine Mutter wollte mir diesen Wunsch erfüllen und band meine große Schwester mit ein. Denn der Kartenvorverkauf fand damals noch völlig analog an der Stadthalle im Bremen statt. Meine Schwester, selbst in den Neunzigerjahren ein Hardcore-Kelly-Family-Fan und mit allen Wassern gewaschen, schwänzte mit Erlaubnis meiner Mutter die Schule, und campierte vor der Halle, damit wir auch ja Tickets bekamen.
Die Eintrittskarte zum damaligen Konzert, das verschoben wurde, und erst im Juli 1999 stattfand.
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Bild: privat
Tatsächlich war sie sogar die allererste in der Schlange und wurde deshalb auch von Radio Bremen interviewt. Das blöde daran: Den Bericht hörte auch ihr damaliger Lehrer. Die Tarnung war aufgeflogen. Aber immerhin hatten wir die Konzerttickets mit den Nummern 0001, 0002 und 0003.
Die „Jungs von nebenan“
Vor 30 Jahren, am 20. April 1993, begann die Karriere von Nick Carter, Kevin Richardson, Brian Littrell, AJ McLean und Howie Dorough als Castingband „Backstreet Boys“, die „Jungs von nebenan“. Zunächst wurde über zwei Jahre geprobt, ehe sie 1995 mit ihrer ersten Single „We´ve Got It Going On“ ihren ersten Charterfolg hatten. Es ging steil bergauf, wie für so viele Boybands in der damaligen Zeit, ob „Caught in die Act“, „Take That“ oder „NSYNC“. Bei ihren Konzerten kreischten sich Mädchen in Ohnmacht und warfen Unterwäsche auf die Bühne. Eine goldene Schallplatte jagte die nächste.
2001 folgte der erste Fall der Weltstars. Alkohol- und Drogenprobleme bei AJ, der als „Bad Boy“ der Band gecastet wurde, wurden öffentlich. Auch Nick Carter beichtete später seine Exzesse. Gegen den ehemaligen Mädchenschwarm erheben zwei Frauen schwere Vorwürfe. Carter soll 2001 die damals 17 Jahre alte Shannon Ruth im Band-Tourbus und 2002 die damals 18-jährige Sängerin Melissa Schuman in seiner Wohnung vergewaltigt haben. Schuman hatte bereits vor Jahren darum gebeten, Ermittlungen gegen Carter einzuleiten. Er streitet die Vorwürfe ab. Sie legte kürzlich Klage gegen ihn ein.
Ende der Boybands
Die große Zeit der Boybands neigte sich Ende der Neunziger Jahre dem Ende zu. Auch ich war längst nicht mehr der glühende BSB-Fan. Die „Bravo“-Poster in meinem Zimmer und das Carter-Kopfkissen waren im Müll gelandet, so wie in vielen anderen Jugendzimmern. „Take That“ hatten sich bereits 1996, „Caught in the Act“ 1998 aufgelöst, „NSYNC“ folgte 2002.
Die Blaupause der Boygroups wurde so oft kopiert, bis sie sich abgenutzt hatte und der Markt übersättigt war. Nach 2010 gab es eigentlich nur noch zwei nennenswerte Männergruppen: Die britische Boyband „One Direction“ und die K-Popband „BTS“. Aus ersterer sind längst Einzelkarrieren entstanden, die letztere musste letztes Jahre eine Pause ankündigen: Auch für Popsänger gilt die Wehrpflicht in Südkorea.
Pause und Rückkehr
Nach AJs Drogenbeichte legten damals auch die „Backstreet Boys“ eine gut dreijährige Pause ein und meldeten sich 2005 mit dem Album „Never Gone“ zurück. Doch nur ein Jahr später der nächste Rückschlag: Kevin Richardson hatte genug und stieg nach 13 Jahren aus der Band aus. Trotz aller Gerüchte löste sich die Band aber nicht auf. AJ, Howie, Brian und Nick produzierten zu viert das sechste und siebte Studioalbum und gingen abermals auf Tour. 2013 kehrte Richardson zur Band zurück, seitdem touren die Backstreet Boys touren, trotz aller Kritik, wieder zu fünft durch die Arenen.
Heute fliegen sie dafür nicht mehr vom Hallendach auf die Bühne und das Gekreische des zumeist weiblichen Publikums ist auch weniger geworden. Ihre Shows werden dennoch gut besucht.
„Was bei den Backstreet Boys zählt, ist der Nostalgie-Faktor. Man holt sich mit ihnen einen Teil seiner Jugend zurück. Gerade in schwierigen Zeiten ist das ja ein probates Mittel – sich zurück zu träumen in die eigene noch unbeschwerte Jugend“, sagte der ehemalige „Bravo“-Chefredakteur Alex Gernandt zum dreißigjährigen Bestehen der Band.
An den „Backstreet Boys“ zeigt sich jedoch: Es ist gut, sich von Jugendidolen zu emanzipieren. Längst sind sie nicht mehr die „Jungs von nebenan“. Nick Carter und seine Kollegen taugen nicht als Vorbilder, deren Gesichter auf Kissen gedruckt werden. Noch ein „BSB“-Konzert würde ich nicht besuchen. Aber mein allererstes bleibt dennoch in guter Erinnerung. Und wenn im Radio wieder einer ihrer alten Songs läuft, drehe ich auf.
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