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Ende einer kurzen sozialdemokratischen Ära

Stille liegt über dem Hof des Bendlerblocks. Es ist kurz nach 21 Uhr am Montagabend, als die Fackelträger des Wachbataillons der Bundeswehr vor dem Verteidigungsministerium aufziehen. Das Vorspiel zum Großen Zapfenstreich für den Noch-Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) beginnt. Die Fackeln flackern im Wind, ein paar Vögel zwitschern. Dann betritt Scholz zusammen mit seinem Parteifreund und Verteidigungsminister Boris Pistorius den Paradeplatz, setzt sich auf einen der schmalen Plätze auf der Tribüne. Pistorius, der Hausherr, geht ein paar Schritte weiter zu dem niedrigen Podium. Er wird eine Rede halten, wie sie Olaf Scholz selten hört. Es ist eine Rede über Scholz mit viel Dank und Lob, ausgerechnet von seinem größten innerparteilichen Konkurrenten.

Pistorius bleibt Minister, Olaf Scholz aber muss gehen. Von einem sozialdemokratischen Jahrzehnt hatte er geträumt, es wurde für ihn nicht einmal eine volle Legislaturperiode. Wenn Friedrich Merz von der CDU an diesem Dienstag zu seinem Nachfolger im Kanzleramt gewählt wird, ist Scholz erst der dritte Kurzzeitkanzler der Bundesrepublik. Auf eine große Abschiedstournee hatte das Kanzleramt verzichtet. Aber den Großen Zapfenstreich gibt es natürlich für Scholz, wie es ihn vor gut dreieinhalb Jahren auch für Angela Merkel – nach 16 Jahren im Amt – gegeben hatte.

Der Verteidigungsminister preist seinen Parteifreund ohne Einschränkungen und ausdauernd: „Wir verabschieden uns heute von einem Staatsmann, der unser Land in stürmischen Zeiten mit Entschlossenheit, Klugheit und Besonnenheit geführt hat“, sagt Pistorius.“ Keine Regung ist im Gesicht von Scholz zu erkennen. „Olaf, vielen Dank für alles, was du für unser Land getan hast.“ Pistorius lässt die kurze Kanzlerschaft Revue passieren, die geprägt gewesen sei von Putins Angriffskrieg. Auf den Zuschauertribünen sitzen Minister aus dem Scholz-Kabinett, der Bundespräsident, die Bundestagspräsidentin, der nächste Kanzler Friedrich Merz und die Frau des bisherigen, Britta Ernst. Scholz habe sich nie von Stimmungen treiben lassen, sagt Pistorius, und habe immer den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Es gibt freundlichen Applaus.

Eine Rede, gespickt mit aktuellen Bezügen

Als Scholz dann selbst am Rednerpult steht, stellt er die Dankbarkeit in den Mittelpunkt. Die Dankbarkeit für Weggefährten und Mitarbeiter, die ihn in den vergangenen Jahren begleitet haben. Dann wird er grundsätzlicher – und zugleich aktueller. Er blickt auf all die Autokratien in der Welt und sagt zum anstehenden Regierungswechsel, es sei in diesen Zeiten eben keineswegs normal, „dass sich ein solcher Wechsel so zivilisiert, so kollegial und so anständig vollzieht, wie wir das in diesen Tagen hier in Deutschland erleben“. Er sagt: „Diesen zivilen Umgang unter Demokratinnen und Demokraten gilt es zu schützen und zu bewahren.“

Scholz spricht von den Fliehkräften in der Gesellschaft, und dass sich doch gerade in Krisenzeiten bewiesen habe, dass „unser Land“ zusammenstehe und dadurch über sich hinaus wachse. Er erinnert an die Corona-Zeit, über den Ukraine-Krieg und Flüchtlinge. „Ja, Deutschland muss in vielem anders werden, moderner, schneller und zupackender“, sagt Scholz. In einer Zeit des Umbruchs habe man dafür in den zurückliegenden Jahren ein Fundament gelegt. „Aber vergessen wir bei aller berechtigten und notwendigen Kritik an den bestehenden Verhältnissen nicht, welch ein Glück daran liegt, dass wir als weltoffenes Land Freunde haben in Europa und auf der ganzen Welt“, sagt Scholz auch, und: „Vergessen wir nicht, welche Kraft in Deutschland steckt, wenn es zusammenhält.“ Es sei die Ehre seines Lebens gewesen, diesem Land zu dienen. Seinem Nachfolger Merz wünscht Scholz „viel Erfolg, Vertrauen und eine glückliche Hand“. Merz nickt, wieder Applaus, dann erst beginnt der eigentliche Zapfenstreich.

Ein Wort als Klammer der Scholz-Ära

Wie bei einem Zapfenstreich üblich, darf sich der Geehrte drei Lieder wünschen, die das Stabsmusikkorps für ihn spielt. Scholz ist kein übermäßig leidenschaftlicher Musikhörer, das hat sein Sprecher Steffen Hebestreit verraten. Die Botschaft der Liedauswahl dürfte also eindeutig im Vordergrund stehen bei Scholz. Über viele Tage haben die Musiker die Stücke geprobt und adaptiert. Das erste Stück ist ein wehmütiger Song, der aber auch hoffnungsvoll in die Zukunft blicken lässt. In „In my Life“ von den Beatles geht es um Orte, Erlebnisse und Personen, die ein Leben geprägt haben. Aber am Ende ist doch eines das Wichtigste: die Liebe. Scholz hat seine Liebe zu seiner Ehefrau immer wieder betont in den vergangenen Jahren.

Dann spielen die Musiker ein klassisches Stück, das „2. Brandenburgische Konzert“ von Johann Sebastian Bach. Scholz ist direkt gewählter Abgeordneter der brandenburgischen Hauptstadt Potsdam.
Der letzte Song ist „Respect“ von Aretha Franklin. Ein munteres Stück, das für Scholz‘ Glanzzeit steht. Mit dem Schlagwort „Respekt“ hatte Scholz 2021 die Bundestagswahl gewonnen. Der Kanzler steht auf dem Paradeplatz wie angewurzelt.

Als die drei Musikwünsche von Scholz gespielt sind, beginnt der historische Teil des Zapfenstreichs, bis zurück ins 16. Jahrhundert gehen seine Wurzeln. Die unveränderliche Liederfolge: Es wird gelockt, es folgt der Zapfenstreichmarsch und dann wird der Helm abgenommen, und ein Gebet an die Macht der Liebe wird gespielt. Auch auf den Tribünen stehen alle, und es scheint, als glänzten die Augen des Noch-Kanzlers feucht. Helm wieder auf. Und zum Abschluss des Zapfenstreichs die Nationalhymne. Scholz singt mit, Einigkeit und Recht und Freiheit. Dann wird der große Zapfenstreich abgemeldet und der neunte Bundeskanzler der Bundesrepublik ist geehrt und verabschiedet. Die Fackelträger marschieren ab. Am Dienstagvormittag soll Merz im Bundestag zum nächsten Bundeskanzler gewählt werden.

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