#Endlich mal solide werden
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„Endlich mal solide werden“
Als Collin (Daveed Diggs) aus dem Gefängnis entlassen wird, ist für ihn die Sache mit „Bra“ und „Nigga“, sind die lustigen Gangsta-Rapper-Spiele und die Szene-Codes erledigt. Normal sein, ein ruhiges Leben führen, kein Posen mehr. Sein Freund Miles (Rafael Casal) mag weiter den Gefährlichen geben und mit Waffen fuchteln, Collin will bloß seine Freundin Val (Janina Gavankar) zurück und mit ihr, der Sozialpsychologiestudentin, solide werden. Vor allem aber unter dem Radar bleiben, solange für ihn die Ausgangssperre elf Uhr gilt und der Putzplan im Wohnheim für Strafgefangene auf Bewährung. Zwei Monate Haft und ein Jahr Probezeit, noch drei Tage bis zur Freiheit.
Freiheit? Eine Illusion, wenn man im afroamerikanisch geprägten Viertel West-Oakland in Kalifornien wohnt, schwarz ist und der weiße Rest der Welt, vor allem die Cops, Braids mit Dealen und Schlimmerem assoziiert. Schon Collins Haftstrafe war ein Fehlurteil – eigentlich hatte Miles den weißen Hipster verprügelt, der seinen Drink am schwarzen Türsteher des Clubs vorbei und gegen die Regeln auf die Straße getragen hatte. Was Miles, dem Möchtegern-Schwarzen und weißen „Black Lives Matter“-Aktivisten, gestunken hat, während Collin sein „Gewalt ist keine Lösung“-Programm versuchte. Preisfrage: Wer wurde verhaftet und eingebuchtet? Collin oder Miles? Und wer lernt daraus was genau?
„Blindspotting“ (2018), ein hochamüsanter und gleichzeitig politisch brisanter Indie-Film über Rassismus, Klassenfrage und Gentrifizierung von und mit Daveed Diggs und Rafael Casal, zeigt die relative Unmöglichkeit der Freundschaft der beiden Hauptfiguren Collin in einem offen und unbewusst vorurteilsbeladenen Lebensumfeld. Blinde Flecken überall, Abwehrmechanismen, Val kann es erklären und setzt auf persönliche Bildung. Gegen den Strukturwandel der Stadt. Hoffnungslos optimistisch, denn die heruntergekommensten Straßenzüge West-Oaklands werden gerade von Weißen aufgekauft, die grüne Smoothies für zehn Dollar trinken, beim Modeschmucklabel „Pandora“ Manager sind und freitags After-Work-Partys mit hundertfünfzig Weißen und drei „Alibi-Schwarzen“ veranstalten.
Als Umzugsunternehmen-Angestellte zwangsentrümpeln Collin und Miles inzwischen die afroamerikanische Geschichte. Entsorgen Fotoalben und Möbel, die von den Bewohnern der verkauften Häuser zurückgelassen wurden. Miles’ Langzeitfreundin Ashley (Jasmine Cephas Jones) sorgt sich um die Zukunft des gemeinsamen Sohns Sean (Ziggy Baitinger). Wie soll er lernen, dass Gewalt keine Lösung ist? Und „Hot Stone Pole Dance“ nicht der heißeste Shit, sondern Wellness-Verarsche? Die Vorschule im besseren Viertel kostet ein Vermögen, und Miles redet von Entfremdung von der Community. Wobei ausgerechnet er als Wahlschwarzer seine ganz persönliche, fluide Variante der Authentizität gefunden hat. Derweil bleibt in West-Oakland nur wenig konstant. Etwa, dass weiße Cops schwarze junge Männer erschießen und damit davonkommen.
Situationskomik mit Twist und Tiefgang
Aus der coolen, schwierigen und tragischen Freundschaftsgeschichte des Films haben Rafael Casal und Daveed Diggs nun einen sehenswerten Serien-Spin-off mit feministisch-antirassistischem Ton und knallbunten Farben gemacht. Vom aktivistischen Zeigefinger halten sie immer noch nichts. Von Situationskomik mit Twist und Tiefgang, von krassem Rap und Ironie dafür umso mehr. Im Mittelpunkt steht jetzt Ashley (immer noch Jasmine Cephas Jones), die noch mehr Fragen zu klären und Alltagsschwierigkeiten zu stemmen hat, seit Miles selbst im Gefängnis sitzt (und beide bei Besuchsterminen die witzigsten Gespräche führen, die je von Polizisten beaufsichtigt wurden).
Ashley arbeitet jetzt in Kostümuniform mit grotesker Halsschleife als Empfangsdame in einem Hotel mit einem Vorgesetzten, der Native American ist, was allerdings auch nichts nützt gegen rassistische Kundenbeschwerden („know your place“). Eingezogen ist sie bei Miles’ Mutter Rainey (Oscar-Preisträgerin Helen Hunt) und Miles’ Halbschwester Trish (extrem lustig und unglaublich traurig: Jaylen Barron).
Alleinerziehend gibt es noch mehr Stress mit Sean (jetzt gespielt von Atticus Woodward). Wenn er – als Ninja verkleidet – seine Mutter tritt, soll sie ihm dann eine Auszeit geben, zurückschlagen oder vorübergehend in ein T-Shirt mit zugenähten Ärmeln stecken, wie ein Kollege empfiehlt? Rainey plädiert für eine gezielte Ohrfeige, aber sie ist ja auch eine weiße Mutter. Auch das Thema gewaltfreie Erziehung zieht „Blindspotting“ in seinen situationskomischen, dialogstarken und bisweilen skurrilen Kosmos des aufklärerischen Goldschürfens. Wer mit dem BR/Arte-Film „Herren“ etwas anfangen konnte, wird bei „Blindspotting“ auf einen noch abgründigeren Trip ins Schwarze blinder Flecken mitgenommen.
Blindspotting, von diesem Sonntag an bei Starzplay.
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