#Im Kreml brennt kein Licht
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„Im Kreml brennt kein Licht“
Starke Bilder wie dieses brauchen keinerlei Erläuterung. Der hintere der beiden auf dem Boden eines verschwenderisch mit roten Teppichen ausgelegten Raums kauernden Männer, der in seinen Armen einen Sterbenden hält, ist Wladimir Putin – auch wenn die Züge des sich einst als Asket und Athlet Präsentierenden teigig geworden sind. Er starrt in dieser grausigen Pietà mit blutunterlaufenen Augen irre vor sich hin. Der ausweislich der heftig blutenden Schläfenwunde wohl sterbende Uniformierte in Putins Armen trägt die Züge seines Verteidigungsministers Sergej Schoigu, des treuesten Gefährten des russischen Präsident und Exekutors des Ukrainekriegs. Ein Stuhl im Hintergrund ist umgestürzt, wohl durch einen vorausgegangenen Streit; der Raum dahinter versinkt im Dunkel. Die Bluttat selbst wurde offenbar mit dem speerartig spitzen Gegenstand begangen, der tatsächlich das Zepter der russischen Zaren im sechzehnten Jahrhundert war.
Das alles ist offensichtlich. Was sich aber hinter dem für das Karikaturisten-Duo Greser und Lenz ungewohnt historischen Ambiente mit den Teppichen und dem Zusatz „Wladimir der Schreckliche nach Repin“ verbirgt, ist es vielleicht nicht. Die Vorlage für das Bild gibt das mit knapp zwei mal zweieinhalb Metern „lebensgroße“ Historiengemälde Ilja Repins von 1883 ab, das in der Moskauer Tretjakow-Galerie hängt und „Iwan der Schreckliche und sein Sohn Iwan am 16. November 1581“ betitelt ist.
Eine Gemälde als Angriffsfläche
An diesem Tag hatte Iwan der Schreckliche zeitgenössischen Berichten zufolge in einem Streit den eigenen Sohn für eine Lappalie mit dem Zepter derart geschlagen, dass dieser nach wenigen Tagen verstarb. Repin hielt sich bei seiner Schilderung an die Beschreibung des um 1800 enorm angesehenen russischen Historikers Nikolai Karamsin. Den Palastraum im Kreml rekonstruierte Repin nach Autopsie vor Ort, nur die blutunterlaufenen irren Augen sind Zutat seiner künstlerischen Phantasie, bei den überlieferten, stark schwankenden Gemütszuständen des Zaren aber wohl nicht völlig aus der Luft gegriffen.
Für Reue ist es nun zu spät: Ilja Repins düsteres Gemälde „Iwan der Schreckliche und sein Sohn“.
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Bild: Interfoto
Repins Gemälde wurde wiederholt zur Angriffsfläche. Im Jahr 1913 stach der Ikonenmaler Abram Balaschow auf das Bild ein. Und am 25. Mai 2018 hieb der betrunkene Igor Podporin in der Tretjakow-Galerie mit dem Pfosten der Absperrung vor dem Bild auf dessen Schutzglas ein und verursachte dadurch an drei Stellen größere Schäden an der Leinwand. Man könnte das Geschehen vor fast genau vier Jahren als kontingenten Akt von Vandalismus eines Betrunkenen abtun, der in seinem Zustand auch jedes andere Gemälde der Galerie hätte beschädigen können. Podporin allerdings rechtfertigte seine Tat damit, dass Iwan der Schreckliche ein Heiliger gewesen sei und Putin ihn ausdrücklich – unter anderem in einer Rede vor Bergbauarbeitern – gegenüber der diffamierenden westlichen Geschichtsschreibung verteidigt habe. Die europäische Historiographie im Verbund mit dem Papst – Karamsin nahm den zeitgenössischen Bericht des päpstlichen Legaten Antonio Possevino zur Grundlage – hätte den Zaren dämonisiert, weil dieser sich der Verwestlichung und insbesondere den römisch-katholischen Missionierungsversuchen in Russland entgegengestellt habe. Zu Unrecht werde Zar Iwan verdammt, obwohl er doch weltoffen gewesen sei und geradezu humanistisch ausländische Baumeister, darunter sogar katholische Italiener, in den Kreml geholt habe.
Wenig verwunderlich, dass die Russische Orthodoxe Kirche auch bei dieser verzerrten Geschichtssicht wieder fest hinter Putin stand. In Wahrheit sei der junge Thronfolger von unbekannten Tätern vergiftet worden. Diese Rehabilitierung folgt einem langjährigen Muster Putins, russische Machtgeschichte als eine einzige Abfolge von Glanz und Gloria zu verbrämen, unter Ausblendung aller Schattenseiten. Der betrunkene Bilderstürmer Podporin kann mithin als ein Opfer dieser klitternden Propaganda und Dauerbestürmung durch die staatstreuen russischen Medien gelten.
Wo ist der Verteidigungsminister?
Geschichte wiederholt sich derzeit als grausige Farce. Wie bei Repin meuchelt der russische Präsident auf dem vorliegenden Bild nun nicht mehr nur reihenweise Dissidenten, sondern richtet auch seinen treuesten Mann und Verteidigungsminister Schoigu, seit 1999 hochdekorierter „Held Russlands“ und stets an Putins Seite, selbst beim viril-propagandistischen Jagen und Bootsfahren, dessen eigen Fleisch und Blut sozusagen. Ein klassisch shakespearehaftes Dilemma: Als loyaler Ausführender des Krieges ist Schoigu für die Weltöffentlichkeit den öffentlichen Tod gestorben. Wendete er sich gegen Putin, würde er vermutlich ebenfalls nicht lange am Leben bleiben. Der in jeder Hinsicht unberechenbare Präsident, der Russland nach den nationalistischen Thesen und Schriften des von ihm als Vordenker verehrten Alexander Dugin um jeden Preis wieder groß machen will, folgt damit den von ihm heroisierten „Zaren“ Stalin und Iwan dem Schrecklichen, die er in den vergangenen Jahren in Wort und Schrift rehabilitierte.
Seit Tagen wird nun über den Verbleib des russischen Verteidigungsministers gerätselt, der sich lange nicht mehr öffentlich gezeigt hat. Schon wird spekuliert, ob Schoigu nach den unerwarteten militärischen Misserfolgen bei der Invasion der Ukraine bei seinem politischen „Ziehvater“ Putin womöglich in Ungnade gefallen sei. So bleibt nur die Hoffnung, dass in dieser Volte der Geschichte die Söhne des Tyrannen vorgewarnt sind – und überleben.
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