Feuerwehrtaucher in Frankfurt: Der Sprung ins Ungewisse

Dunkelheit und kaltes Wasser umgeben Rüdiger Faust. Der Feuerwehrtaucher tastet sich vorwärts, seine Fingerspitzen suchen nach Halt. Die Sicht beträgt kaum zwanzig, höchstens dreißig Zentimeter. Fünfzig Kilo Ausrüstung drücken ihn nach unten, in eine Welt aus Schlick und Müll. Über das Tauchertelefon bleibt Faust mit dem Ufer in Kontakt, per Leinenzug gibt der Signalmann das Zeichen: weiter nach rechts. Nach zehn Minuten in der Finsternis des Mains findet Faust, was er sucht: eine vermisste Person. Diesmal ist es eine Übungspuppe.
Regelmäßig trainieren die Wasserretter Szenarien wie dieses am Main. Denn immer wieder ertrinken in dem Fluss Menschen und müssen von den Tauchern der Feuerwehr gesucht werden. Ein Job, für den man gemacht sein muss. Für eine Stadt wie Frankfurt mit einer lebendigen Uferkultur ist die Wasserrettung unverzichtbar. Denn: Wo das Leben pulsiert, lauern die Gefahren.
Neben dem Main, der sich durch die Innenstadt schlängelt, gibt es die Nidda sowie zahlreiche Seen und Bäche im Umland. Hier rudern, schwimmen, paddeln und feiern die Menschen – und das gerne direkt am Wasser. Gerade in der warmen Jahreszeit gehören Badeunfälle von Kindern und in die Strömung getriebene Stand-up-Paddler zu den typischen Einsatzszenarien der Frankfurter Wasserrettung, wie es bei der Feuerwehr heißt. „In den dunklen Monaten haben wir viel mit Suiziden zu kämpfen“, sagt Rüdiger Faust.
Vor knapp vierzig Jahren hat Faust seine Ausbildung bei der Feuerwehr Frankfurt begonnen. „Bei verunglückten Personen ist nicht selten auch Alkohol im Spiel“, sagt er. Besonders in der Nähe der Uniklinik im Stadtteil Niederrad feiern die Studenten gerne an der Uferpromenade, oder betrunkene Feierwütige lassen sich am Sachsenhäuser Ufer nieder. Dann kommt es laut Faust auch schon einmal zu einer Wette: Wer schafft es rüber? Die Wahrheit sei: nicht jeder. Solche Mutproben gebe es immer wieder, sagt Faust. Mit steigendem Alkoholkonsum werde man immer stärker und mutiger. Der Main werde schnell unterschätzt, die Strömung werde den meisten Verunglückten zum Verhängnis. „Unter Alkoholeinfluss schwinden die Kräfte früher als später.“
„Bei verunglückten Personen ist nicht selten auch Alkohol im Spiel.“
RÜDIGER FAUST, Feuerwehrtaucher
Die Suche nach einer Person hänge von verschiedenen Faktoren ab. Zunächst stütze sich das Rettungsteam auf die Aussage von Zeugen, wo die vermisste Person zuletzt gesehen worden sei, sagt der Feuerwehrtaucher. Oft zeige sich vor Ort jedoch eine andere Situation als zunächst angenommen. „Es ist häufig so, dass die Person schon wieder aus dem Wasser ist.“ Dann breche das Team den Einsatz ab, die Einsatzkräfte auf dem Rettungsboot, das die Taucher begleite, kümmerten sich um die Person.
Auf dem Boot übernehmen dann Helfer wie Jürgen Seipel. Er gehört zu den Wasserrettern, die selbst nicht tauchen. „Ich muss nicht unbedingt ins Wasser“, sagt der 59 Jahre alte Mann und lacht. „Ich übernehme lieber die Rettung vom Boot aus.“ In schwierigen Fällen setzen die Feuerwehrmänner Wärmebildkameras ein, um nach vermissten Personen im Wasser zu suchen.
Für die Rettung sind außerdem Strömung und Sicht entscheidend: Je stärker die Strömung ist, desto schlechter sieht der Taucher. Auch Schwebstoffe im Wasser und Sonnenlicht beeinflussen die Lichtverhältnisse. „Die Suche im Main sieht ganz anders aus als zum Beispiel in einem Badesee bei stehendem Gewässer“, berichtet Rüdiger Faust. Mit schlechter Sicht und starkem Strömungsdruck sei jeder Tauchgang ein Risiko – aber auch ein möglicher Wendepunkt zwischen Leben und Tod. „Wenn wir ankommen und die Menschen noch schwimmen, dann stehen die Chancen für eine erfolgreiche Rettung gut. Sobald eine Person untergegangen ist, ist eine Rettung eigentlich nur selten erfolgreich. Wir müssen mehrmals im Jahr Menschen bergen.“
„Die Suche im Main sieht ganz anders aus als zum Beispiel in einem Badesee bei stehendem Gewässer.“
RÜDIGER FAUST
Ausnahmen können Personen sein, die im Winter durch eine Eisschicht eingebrochen sind. Durch die extreme Kälte bestehe eher eine Chance, einen gewissen Zeitraum zu überbrücken und die Person dann erfolgreich zu reanimieren, sagt Faust. Denn Erfrierungen könnten den Tod verzögern, indem sie den Körper in einen Zustand tiefster Unterkühlung versetzten. Bei warmer Witterung jedoch werde es von einer Dauer von fünf bis zehn Minuten an unter Wasser schwierig. Ein Wettlauf gegen die Zeit.
Sobald der Notruf in der Einsatzzentrale eingeht, rückt das Team der Wasserrettung aus. Jeder Handgriff sitzt, jede Sekunde zählt. Der Dienstgruppenleiter teilt sein Team in wechselnde Bereiche ein: mal als Einsatztaucher, mal als Maschinist, mal auf dem Gerätewagenboot oder auch als Signalmann, der dem Taucher per Leinenzug Signale gibt. Aufgrund der Dunkelheit kann sich der Taucher nur so orientieren. Zur Unterstützung dient eine Tauchertelefonverbindung.
Die sechswöchige Weiterbildung zum Feuerwehrtaucher ist intensiv und anspruchsvoll. Trainieren müssen die Männer und Frauen regelmäßig. Denn den Tauchern wird körperlich viel abverlangt. Die Ausrüstung allein wiegt 50 Kilogramm, zusätzlich kommen noch vier Kilogramm Blei, zwei an jeder Seite, dazu. Die sind nötig für den Abtrieb, damit die Taucher am Grund des Gewässers suchen können. Um diesen Anforderungen gerecht zu werden, stehen mindestens zehn Übungstauchgänge im Jahr im Freigewässer und im Tauchturm an. Ein solcher mit zwölf Meter Tiefe befindet sich auf der Feuer- und Rettungswache 40 im Frankfurter Osthafen.
Risikofrei üben die Wasserretter dort den Druckausgleich sowie den Notaufstieg und das Apnoetauchen, also das Tauchen ohne Atemgerät. Auch die Einsatzzeiten sind gewöhnungsbedürftig. „Bei den meisten Notfällen ist es kalt und dunkel draußen, weil wir oft nachts zu Einsätzen gerufen werden, bei denen Alkohol im Spiel war“, sagt Faust. Er leitet seit gut zehn Jahren die zweite Dienstgruppe der Wasserrettung auf der Feuer- und Rettungswache 40, dort sind auch die Taucher der Feuerwehr Frankfurt beheimatet. Sein Interesse für die Sondereinheit sei schon früh vorhanden gewesen, sagt er, doch die Angst vor dem Unbekannten im Wasser, die habe er erst noch überwinden müssen. „Damals habe ich mich gefragt: Will ich meinen Kopf tatsächlich in dunkles, kaltes, schmutziges Wasser stecken?“
Andere hingegen mussten nicht lange überlegen: Für Matthias Richter etwa ist die Wasserrettung ein Traumjob. Er hat erst vor Kurzem seine Ausbildung zum Feuerwehrtaucher begonnen. „Es ist genau das, was ich schon immer machen wollte. Wasser ist mein Element“, sagt der Einunddreißigjährige. Er schätze die Verantwortung, die er als Feuerwehrtaucher habe. Bevor Richter zu der Frankfurter Wasserrettung kam, war er bei der Bundeswehr. Vor allem geht es Richter und seinen Kollegen um die Menschen: „Wenn jemand in Not ist, sind wir da.“
Alarmiert werden die Wasserretter um die hundert Mal im Jahr. Fehleinsätze gehören dazu. Neben der Rettung von Menschen gehören auch technische Hilfeleistungen oder Bergungen von Autos zu ihren Aufgaben. Auch Amtshilfe für die Polizei ist nicht ungewöhnlich. Etwa, wenn nach einer Tatwaffe im Wasser gesucht wird. Zwar hat die Polizei für solche Fälle eigene Taucher, aber die können auch längerfristig an einer anderen Einsatzstelle hessenweit gebunden sein. „Dann werden wir angefragt, besonders bei zeitkritischen Sachen“, sagt Faust. Erst neulich fanden er und seine Kollegen bei einem Übungstauchgang im Main eine Waffe. Das werde dann umgehend der Polizei gemeldet, so Faust. Ebenso wie gefundene Taschen mit Einbruchswerkzeug, Geld oder Diebesgut.
Doch es gibt ein Problem, auf das die Sondereinheit beim Tauchen regelmäßig stößt: den Müll im Main. Immer häufiger finden die Taucher bei ihren Einsätzen Einkaufswägen, Nummernschilder, Biergläser oder alte Handys auf dem Grund des Flusses. „Besonders E-Roller stellen ein wachsendes Problem dar“, sagt Feuerwehrtaucher Markus Faltis. „Mich macht es wütend, wenn ich sehe, wie die Leute einfach ihren Müll in den Fluss kippen. Nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Faltis arbeitete vor seiner Ausbildung zum Wasserretter bei der Umweltorganisation Sea Shepherd. Das Thema Umwelt liegt dem 36 Jahre alten Feuerwehrmann schon immer am Herzen. Umso schlimmer ist es für ihn und seine Kollegen, die Verwahrlosung des Mains zu beobachten, wie er sagt. „Am Holbeinsteg liegen unzählige Flaschen, um die 500, alles voll. Die meisten schon mit Muscheln bewachsen.“
Die Massen an Müll sind aber auch in anderer Hinsicht ein Problem. Bei Suchaktionen behindert der Unrat die Sicht, spitze Gegenstände lauern unter der Wasseroberfläche und können die Einsatzkräfte verletzen. Es vergeht kaum ein Tauchgang, an dem die Wasserretter keinem E-Roller begegnen. „Manchmal frage ich mich, wie viele da unten noch liegen“, sagt Faltis. „Es müssen Unmengen sein.“
„Es ist sehr frustrierend, wenn man weiß, wie viel Müll dort unten liegt. Wir müssen ihn drin lassen.“
MARKUS FALTIS
Doch was tun mit dem ganzen Müll? E-Roller fischen die Taucher meist unaufgefordert aus dem Wasser, schon allein wegen der Umweltgefährdung durch die Akkus. Die ordnungsgemäße Entsorgung liegt jedoch in der Verantwortung der Betreiber. Auch kleinere Müllmengen werden bei jedem Tauchgang ans Ufer gebracht, anschließend wird die FES, die Frankfurter Entsorgungs- und Service GmbH, verständigt. Außerdem gibt es auch immer wieder Freiwillige, die beim Säubern des Mains helfen. „Doch ist das nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“, wie Faltis sagt. Die Bergung des Mülls aus dem Main sei das eine, die Entsorgung und die damit verbundene Kostenfrage das andere. Faltis fühlt sich machtlos: „Es ist sehr frustrierend, wenn man weiß, wie viel Müll dort unten liegt. Wir müssen ihn drin lassen.“ Es ist ein Zustand, den viele Frankfurter kaum wahrnehmen – die Wasserretter erleben ihn täglich.
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