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#Diese German Schrecklichkeit

„Diese German Schrecklichkeit“

Es verhält sich seltsam mit diesem Buch. Zu erfahren ist daraus, dass sich im Herbst 1945 eine große Zahl von Journalisten aus der ganzen Welt im Schloss Faber-Castell versammelte, um während der Nürnberger Prozesse einigermaßen komfortabel untergebracht zu sein. Die Stadt selbst lag in Trümmern, der Justizpalast, in dem der von den al­liierten Siegerstaaten ein­berufene Ge­richtshof seine Sitzungen abhielt, war zwar den Bombardements entkommen, aber für eine solch illustre Schar von Berichterstattern – Erika Mann, John Dos Passos, Martha Gellhorn, Willy Brandt, Rebecca West, Peter de Mendelssohn, um nur die heute noch berühmtesten Logisgäste zu nennen – gab es in der Nachbarschaft kein angemessenes Quartier.

Also re­quirierte die zuständige amerikanische Besatzungsbehörde das in der Umgebung Nürnbergs gelegene historistische Privatschloss einer Bleistiftmagnatenfamilie. Aber obwohl sich dann über Jahre hinweg – die Nürnberger Prozesse währten bis 1949 – die Crème der internationalen Publizistik ein Stelldichein gab, existieren kaum Fotos vom dortigen Leben. Dabei spielten sich, wie man aus den Korrespondenzen oder Erinnerungen der Beteiligten weiß, im press camp von Schloss Faber-Castell diverse Eifersüchteleien, Intrigen und auch Liebes­verhältnisse ab. Von all dem erzählt das Buch notgedrungen in Worten, nur selten in Bildern.

Das Private ist hier selten politisch

Eine der Ausnahmen ist die oben ab­gedruckte Aufnahme einiger dama­liger Schlossbewohner, die allerdings im ­Nürnberger Gerichtsgebäude entstand, am 1. Oktober 1946, unmittelbar nach dem Urteilsspruch im Hauptkriegsverbrecherprozess. Es zeigt den seinen Kollegenkonkurrenten aus dem Verhandlungssaal davonsprintenden amerikanischen Kriegsreporter Wes Gallagher, denn wer zuerst zu den wenigen verfügbaren Telefonen und Fernschreibern gelangte, der konnte seinen Bericht als Erster absetzen und sicherte seinem Medium den Scoop. Das Bild machte ein Fotoreporter von AP, jener Nachrichtenagentur, für die auch Gallagher arbeitete, und es ist mehr eine Reklameaufnahme als ein Zeitdokument. Das erzählt das Buch aber nicht.

Das Cover zu Uwe Neumahrs Buch


Das Cover zu Uwe Neumahrs Buch
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Bild: Verlag

Wie überhaupt für dessen Verfasser Uwe Neumahr die Mediengeschichte ge­genüber der anekdotischen Literatur­geschichte das Nachsehen hat. Das muss kein Nachteil sein, wie man vor Jahresfrist an Uwe Wittstocks Studie „Februar 33“ sehen konnte, die über die Zeitspanne eines Monats hinweg von den Lebensumständen deutscher Schrift­steller unter dem damals frisch etablierten NS-Regime erzählt, wobei sich das Private oft als politisch erweist. Das ist bei Neumahr, dessen Buch beim selben Verlag erscheint und als Schilderung der Zeit nach dem Ende der Naziherrschaft so etwas wie das chronologische Gegenstück zu Wittstocks Werk sein könnte, ganz anders. Persönliche Affären und Marotten dominieren seine Schilderungen, und über deren Bedeutung für die Nachkriegsgesellschaft erfährt man we­nig. Geschweige denn, dass dieses weltweite Sammelsurium von Egozentrikern für eine Mentalitätsgeschichte taugte.

Was nicht heißt, dass man das Buch nicht mit Vergnügen oder gar ohne In­ter­esse läse. Neumahr hat – mehr als Publikationen als aus Archiven – eine Fülle an Geschichtsgossip zusammengetragen, der bisweilen auch tiefere Ebenen von Politik und Psychologie berührt. So etwa im Falle des Prozessdolmetschers Wolfgang Hildesheimer, der auch im Schloss Faber-Castell untergebracht war und als in Palästina die Schoa überlebt habender Nachkomme einer Hamburger Rabbinerfamilie ausgerechet im sogenannten Einsatzgruppenprozess, also dem Verfahren gegen die führenden SS-Schergen, übersetzen musste.

Neumahr zeichnet ein feinfühliges Porträt des jungen Mannes, der damals noch gar keine schriftstellerischen Ambitionen hatte, sondern sich als Bildender Künstler sah. Entsprechend ästhetisch bestimmt fiel Hildesheimers Urteil über das Leben im Schloss aus, das er als „entsetzlichen alten Kasten“ be­schrieb, „furchtbar geschmacklos, eine Mischung aus Jugendstil und Rokoko“. Ähnliche Charakterisierungen ihres Do­mizils („German Schrecklichkeit“) durch andere Insassen wären geeignet, eine Analyse der Wahrnehmung Nachkriegsdeutschlands am Beispiel des Schlosses durch die meist ausländischen Beobachter zu ermöglichen. Doch auch darauf hat Neumahr verzichtet, obwohl er diese Möglichkeit andeutet.

Weniger hektisch: Interieur in Schloss Faber-Castell im heutigen Zustand


Weniger hektisch: Interieur in Schloss Faber-Castell im heutigen Zustand
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Bild: Maurice Weiss /Ostkreuz/Agentur

Deutsche Prozessberichterstatter hatten kein Wohnrecht in Schloss Faber-Castell, egal, ob sie wie Wilhelm Emanuel Süskind früher Parteigänger des Nationalsozialismus gewesen waren oder dessen Feinde. So durfte der verbrannte Dichter und innere Exilant Erich Kästner zwar zu Besuch ins press camp kommen, musste aber wo­anders Quartier nehmen. Markus Wolf, der spätere Spionagechef der DDR, gab sich deshalb als Russe aus und kam damit durch. Willy Brandt reiste korrekt als norwegischer Staatsbürger an, Erika Mann als Amerikanerin. Sie sorgte indes für Unfrieden im Schloss; weniger durch ihre gleichsam akkreditierte Le­benspartnerin, die amerikanische Journalistin Betty Knox, als dadurch, dass Erika Mann gegen die Wohn­umstände im „Frauenhaus“protestierte, wo Knox und sie untergebracht waren – einer im Schlosspark gelegenen Villa, deren Versorgungssituation Mann beklagte.

Eine Stärke von Neumahrs Buch liegt in der überproportionalen Berücksichtigung von Journalistinnen. Gerade weil es so wenige von ihnen gab, sind ihre Le­bensumstände interessanter und sagen viel über die virile Atmosphäre einer im­mer noch durch den Krieg ge­prägten Zeit aus. Einen Ausblick auf spätere Nachkriegszeiten gibt Neumahr indes nicht. Dadurch drückt sich sein Buch um das Urteil herum, ob Schloss Faber-Castell Schauplatz eines Abschlusses oder eines Neuanfangs war.

Uwe Neumahr: „Das Schloss der Schriftsteller“. Nürnberg ’46 – Treffen am Abgrund. Verlag C. H. Beck, München 2023. 304 S., Abb., geb., 26,– €.

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