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#Wenn die Nacht anbricht

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„Wenn die Nacht anbricht“

Ob Farbmaler oder Stahlbildhauer, kein Künstler mag solche Schubladen, würde sich als „Vertreter“ dieser oder jener Stilrichtung bezeichnen. Anfangs, hat Mischa Kuball einmal bemerkt, habe er sich mit der Kategorie Lichtkünstler noch klaglos abgefunden, das aber sei naiv gewesen, denn diese Zuschreibung reduziere seine Werke auf die äußere Erscheinung. Die Schablone hängt dem Künstler hartnäckig an, seit er mit einer Reihe an Interventionen im öffentlichen Raum aufgetreten war, die sich ins regionale Gedächtnis regelrecht eingebrannt haben. Tatsächlich arbeitet er bevorzugt und in seinen besten Werken nun einmal mit elektrischem Licht, dieses ist sein künstlerischer Werkstoff – und er wurde 2016 denn auch mit welchem Preis ausgezeichnet? Mit dem Deutschen Lichtkunstpreis.

Der Erinnerung bleiben seine Frühwerke umso nachdrücklicher überantwortet, als es sich um zeitlich begrenzte Eingriffe handelte, die kein physisches Werk hinterlassen haben, sondern dokumentarische Fotos von den Eingriffen und Installationen mit dem ephemeren Stoff. Damit hatte Kuball, 1957 in Düsseldorf geboren, in seinem Œuvre demonstrativ stark gemacht, was in der zeitgenössischen Kunst suspekt anmutet: die Aura, die Ausstrahlung von Kunst, ein Faszinosum, das die Düsseldorfer Band Kraftwerk einmal in ihrem Song „Neonlicht“ beschworen hat. Kuball ließ und lässt das Licht allerdings nicht „schimmern“ wie die Menschmaschine in ihrem Liedtext, vor allem liegt ihm jeglicher Flirt mit Nostalgie fern.

Überirdisch: Mischa Kuballs „Public preposition/parc stage“ im Museum Morsbroich Leverkusen, 2021.


Überirdisch: Mischa Kuballs „Public preposition/parc stage“ im Museum Morsbroich Leverkusen, 2021.
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Bild: Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Kühl und minimalistisch setzte Kuball das Etagenlicht 1990 in seinem „Megazeichen“ ein, dem Husarenstück des jungen Künstlers, der sich als Schauplatz eine Inkunabel der westdeutschen Architektur ausgewählt hatte: das Mannesmann-Hochhaus in der Altstadt mit seinen dreiundzwanzig Stockwerken, erbaut von Paul Schneider-Esleben direkt am Rhein. Wenn die Nacht anbrach, blieb das Flurlicht in jeweils ausgewählten Stockwerken eingeschaltet, was den Verwaltungsbau in eine gigantische urbane Skulptur verwandelte. Sie veränderte ihre Struktur sechs Wochen lang im Sieben-Tage-Rhythmus und demonstrierte auf kraftvolle Weise nicht nur, dass die Objektkunst der Sechziger durchaus überraschend noch weitergeschrieben werden konnte; sie offenbarte auch, dass in turmhohen Büros auch andere als nur ökonomisch bezweckte Erträge zu erzielen sind – Kunst am Bau im besten Sinn, in diesem Fall ein Opus magnum.

Die Geburt der Diskokugel aus dem Weltraumfieber: Mischa Kuballs „Five planets“, 2015.


Die Geburt der Diskokugel aus dem Weltraumfieber: Mischa Kuballs „Five planets“, 2015.
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Bild: Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Kuball ließ weitere eindrückliche, auf Ort und Kontext bezogene Arbeiten folgen wie in der ehemaligen Synagoge in Stommeln bei Köln. Das einstige Bethaus stattete er 1996 im Innern mit Scheinwerfern aus, die emphatisch und gleißend nach außen strahlten, er feierte den kleinen, zurückgesetzten Bau mit einem Pathos, das hier angemessen schien; zugleich rief er unerschrocken die Lichtinszenierung eines Albert Speer aus dem „Dritten Reich“ und sogar die Pogrome von 1938 in Erinnerung, denen die Stommelner Synagoge nur durch Zufall entkommen war. Die Bergische Universität Wuppertal mit ihrem vielen Beton versah Kuball 2012 mit weißen Lichtbändern und verwandelte sie, aus der Ferne betrachtet, in eine moderne Akropolis. In Kattowitz schickte er 2013 eine von innen hell erleuchtete Straßenbahn mit blinden Fenstern, ohne Passagiere, als „Ghosttram“ auf nächtliche Fahrt.

Solche Werke brauchen keine politische Botschaft, sie wirken aus sich selbst heraus und sind ein Appell für ästhetische Autonomie in der Öffentlichkeit. Hingegen wirkt das Banner, das Kuball in seiner laufenden Ausstellung „Referenzräume“ im Museum Morsbroich in Leverkusen im Treppenhaus aufhängt, bemüht: „Kritisches Denken braucht Zeit und Raum, hier & überall“. Das sollte sich von selbst verstehen, schon gar in einer zeitgenössischen Kunstausstellung. Die in diesem Fall aber so kritisch gar nicht ausfällt. Die Schau versteht er als „kleine Reise durch dreißig Jahre meiner Arbeit“, eine Schau im Diminutiv sozusagen. Sie macht sich gut in den historischen, intimen Schlossräumen (besser als in den nüchternen Räumen des Kunstmuseum Wolfsburg, wo sie zuerst gezeigt worden ist), und es gibt einiges zu sehen: rotierende farbige Plexiglasscheiben, die ihren Widerschein an die Wände werfen; Videoblicke auf urbane Szenerien in kaleidoskopischer Brechung; bewegte Bilder aus einem Technoclub, auf Spiegelfolie projektiert, die den Raum verflüssigen und Farbgewitter entfachen; oder Diskokugeln, die ihre Reflexionen und mit ihnen einen Strom von Buchstaben im Raum zirkulieren lassen.

All diese Arbeiten verbinden sich in Titeln und Themen mit großen geistesgeschichtlichen und naturwissenschaftlichen Stoffen – dem platonischen Höhlengleichnis, Beobachtungen des Galileo Galilei, den Namen von fünf Planeten, die durch Schablonen auf Spiegelkugeln projiziert werden. Diese Arbeiten verfehlen ihre Wirkung gewiss nicht; sie werden aber mit Referenzen von der Antike bis zum Blick ins Universum unterfüttert, die Kuballs Außenprojekte nicht nötig haben. Diese können wiederum nur als Dokumentationen aufgerufen werden. Eben das Los eines Künstlers, der seine Stärken im Außenraum auszuspielen weiß.

Sternenboten auf Leverkusener Erde: Mischa Kuballs „Five suns/after Galileo“, 2018.


Sternenboten auf Leverkusener Erde: Mischa Kuballs „Five suns/after Galileo“, 2018.
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Bild: Archiv Mischa Kuball, Düsseldorf

Oder im White Cube in größeren Dimensionen zu Werke geht wie unlängst in der privaten Draiflessen Collection im westfälischen Mettingen. Kuball hatte eine großräumige, sehenswerte Installation in Auseinandersetzung mit dem Erbe Emil Noldes eingerichtet. Mit vorgeblendeten Farbfiltern näherte sich Kuball jenen Nolde-Originalen, die bei den ersten drei Ausgaben der Documenta ausgestellt worden waren, ließ es wiederum in einem diesmal höchst sonderbaren Licht erscheinen, um mit solcher Brechung Distanz zu den Bildern wahren. Wegen der Pandemie fand die Ausstellung praktisch unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und wird im kommenden Winter im Kasseler Fridericianum neu aufgelegt – der seltene Fall, dass ein Künstler mit seinen Mitteln das neuralgische Œuvre eines Kollegen zur Diskussion stellt.

Mischa Kuball – Referenzräume. Im Museum Morsbroich, Leverkusen, bis zum 24. April. Der Katalog kostet 38 Euro.

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