Formeln – Mathlog
Sie sind promovierter Mathematiker. Haben zu viele Finanzexperten Formeln für Naturgesetze gehalten?
Ja.Verantwortlich ist die falsch verstandene Sucht der Menschen nach Sicherheit. Bandbreiten haben nicht gereicht. Es musste immer eine genaue Zahl sein.
Allianz-Deutschland-Chef Gerhard Rupprecht im Interview mit dem stern, 2. Juni 2009
„Zehn der beeindruckendsten mathematischen Formeln der Mathematik“ werden in einem YouTube-Video auf
erläutert.
Obwohl die Ersteller von „Echt Einfach TV“ offensichtlich auf Schulmathematik spezialisiert sind, haben sie für dieses Video (mit Ausnahme des Satzes von Pythagoras) durchgängig Formeln aus der “höheren” Mathematik ausgewählt:
1. Die Eulersche Identität
2. Das Euler-Produkt
3. Das gaußsche Fehlerintegral
4. Die Mächtigkeit des Kontinuums
5. Die Analytische Fortsetzung der Fakultät
6. Der Satz des Pythagoras
7. Die explizite Formel für die Fibonacci-Folge
8. Das Basler Problem
9. Die Harmonische Reihe
10. Die explizite Formel für die Primzahlzählfunktion
Die explizite Formel in Punkt 10 ist
mit der Möbius-Funktion
und
für den Integrallogarithmus
, wobei
alle nichttrivialen Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion durchläuft. (Für diese Formel ist die Primzahlen zählende Funktion
an ihren Sprungstellen zu mitteln.)
Eine Formel, die im Video nicht vorkommt, ist die Stokes-Formel. Das ist eine sehr einfach aussehende Formel, die wichtige Sätze aus der Elektrodynamik wie den Rotationssatz
oder den Gaußschen Integralsatz
zusammenfaßt. Sie lautet kurz und prägnant:
In Wirklichkeit ist die Formel nur scheinbar einfacher als die beiden obenstehenden; man muss erst wissen, was das d in der Formel bedeutet und was eine Differentialform ist und wie man sie integriert.
Die Stokes-Formel ist die Heldin eines bisher leider nur auf Französisch erschienenen Romans von Michèle Audin. Aus diesem kann man lernen, dass die Formel in dieser einfachen Form auf Georges de Rham zurückgeht, der als Lehrer in Lausanne arbeitete und in den Ferienmonaten Seminare in Paris besuchte, während er an einer Dissertation bei Lebesgue arbeitete. Letzterem gelang es, de Rham einen Termin bei Cartan in dessen Haus zu besorgen, wo er – angeblich zum Klang des Klavierspiels der übenden Cartan-Kinder – diesen von seinem Ansatz zu überzeugen vermochte. So jedenfalls die Geschichte, wie sie im Roman unter dem Datum “17. April 1930” erzählt wird.
Eine Besonderheit von Audins Roman ist, dass seine “Handlung” sich nicht chronologisch entwickelt, sondern nach Daten Monat-Tag geordnet ist, womit die Jahre (im Wesentlichen zwischen 1825 und 1936) wild durcheinandergehen. Der Roman beginnt also am 1.Januar 1862 mit dem Tod Ostrogradskis (und einigen Anekdoten über dessen späteres Erscheinen auf sowjetischen Briefmarken und Streichholzschachteln), von dem eine Variante des Gaussschen Integralsatzes stammt, und endet am 23. Dezember 1935 mit dem Erscheinen des ersten unter dem Namen Nicolas Bourbaki veröffentlichten Artikels und der Vorgeschichte des für diese Publikation benötigten Vornamens. (Die Stokes-Formel erschien in den Elementen Bourbakis erst 1971, nachdem Henri Cartan ihr aber schon 1951 einen Vortrag im Bourbaki-Seminar gewidmet hatte.)
Die nicht-chronologische Entwicklung erlaubt das Bewerten vieler nur lose mit dem Thema zusammenhängender politischer und wissenschaftlicher Ereignisse sowie das Erzählen vieler Anekdoten ohne auf eine Rahmenhandlung Rücksicht nehmen zu müssen. Und es erlaubt dem Leser an einer beliebigen Stelle einzusteigen, eine oder mehrere Seiten zu lesen und dann zu einer Stelle zu springen. (Querverweise sind zahlreich angegeben.)
Einige Male gibt es zwischendurch auch Flashforwards in die Gegenwart der Autorin, etwa am 12. April 2012 ein Telefonat mit einem Verleger: “Ich habe ihnen vor drei Monaten ein Buchprojekt geschickt und sie haben noch nicht geantwortet.” “Was war das nochmal gewesen?” “Ein Buch über die Stokes-Formel.” “Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Nein.” “Was nein?” “Das geht nicht. Hören sie! Sie beginnen damit, den Tod eines Unbekannten zu erzählen. Danach quälen sie uns über Seiten mit langweiligen Versammlungen vergessener Mathematiker. Wer, glauben sie, wird sich für diese Typen interessieren?…”
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