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#Fort sind die Schlangen, geblieben ist die Pein

„Fort sind die Schlangen, geblieben ist die Pein“

„Frowst“ ist im Englischen ein selten benutzter Begriff. Gleichermaßen Substantiv und Verb, bedeutet er ebenso Mief wie im Mief zu hocken – erhält aber in der Formulierung „to frowst by the fire“ eine positive Konnotation in der Bedeutung, sich am Feuer aufzuwärmen. Die polnische Fotografin Joanna Piotrowska hat das Wort als Titel ihrer ersten Bilderzählung ge­wählt, für die sie jeweils erwachsene Mitglieder einer Familie, angelehnt an Fotografien aus deren Kinderalben, nebeneinander, übereinander oder ineinander verschlungen starr und kalt wie Skulpturen posieren ließ, die Blicke eher nach innen denn nach außen gerichtet, dass man als Betrachter nicht entscheiden mag, ob hier alle Gefühle im häuslichen Elend erloschen sind oder Emotionen jeden Moment hochkochen. Ob Umarmungen auf dem Sofa mit dem Flokatibezug im nächsten Moment zu intimen Zärtlichkeiten führen oder zum Brechen von Knochen. Ob dem Kuss, den der Bruder dem Bruder auf die Wange gibt, ein Biss ins Ohr folgen wird. Und ob das Mädchen im Schoß eines Mannes auf einem wackeligen Gartenstuhl sich nur entspannt nach hinten legt – oder buchstäblich erlegt ist. Hinter jeder Geste lauert bei Joanna Piotrowska ein Moment von Gewalt, hinter jeder Miene Hoffnung und Furcht zugleich.

Freddy Langer

Redakteur im Feuilleton, zuständig für das „Reiseblatt“.

„Frowst“ ist eine aberwitzige Sammlung irritierender Familienaufstellungen, dort erprobt, wo einem das stickige, klaustrophobische Ambiente zwischen billigen Orientteppichen, gehäkelten Kissenbezügen und vertrockneten Zimmerpflanzen keine Luft mehr zum Atmen lässt. Als Buch ist die Serie 2014 erschienen, sorgte für nicht wenig Aufmerksamkeit und bescherte Joanna Piotrowska (Jahrgang 1985) fortan Ausstellungen unter anderem im MoMA in New York, in der Tate Britain in London sowie in der Kunsthalle Basel. Noch bis in den Herbst hängen ihre Arbeiten auf der Biennale in Venedig. Und jetzt hat sie der Kestner Gesellschaft in Hannover einen kleinen, intimen Raum beeindruckend eingerichtet: mit weichem Teppichboden, über den man eher unsicher schwebt als festen Schrittes geht, mit hautfarbenen Vorhängen als Raumteiler, mit Schwarz-Weiß-Abzügen in sehr unterschiedlichen Größen, die sehr großzügig zwischen dem Fußboden und der Zimmerdecke verteilt sind, sowie mit drei Filmprojektoren, die laut ratternd in Endlosschleifen Bilder von Frauen an die Wand werfen, die auf die empfindlichsten Teile des Körpers deuten, von Auge, Ohr und Gurgel bis zur Leber und dem Spann des Fußes, oder in Zeitlupe und als handele es sich um die Choreographie eines avantgardistischen Ausdruckstanzes verquere Bewegungen aus einem Kursus für Selbstverteidigung vorführen.

Flucht oder Verteidigung

Genau darum geht es im Werk von Joanna Piotrowska: um Selbstverteidigung, um Befreiung, um Schutz und vielleicht auch um Möglichkeiten der Flucht. Aber so deutlich wie mit den Aufnahmen von Menschen, die in Häuschen kauern, die sie sich in ihren Wohnungen aus Decken, Matratzen und Möbelteilen zusammengebastelt haben, formuliert sie es nur selten. Vielmehr lässt sie das meiste in der Schwebe, am offensichtlichsten dort, wo sie Frauen bisweilen sehr unbequeme und fast immer übertrieben umständliche Stellungen aus den Anleitungen eines Handbuchs für Kampfsport nachahmen lässt, die Gegner in ihren Bildern jedoch konsequent fehlen. Das muss man sich vorstellen, als hätten die antiken Bildhauer der Laokoon-Gruppe im Todeskampf des Vaters und seinen beiden Söhnen die Schlangen fortgelassen.

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