Fotograf Sebastião Salgado mit 81 Jahren gestorben

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Der weltbekannte Fotograf Sebastião Salgado ist am Freitag im Alter von 81 Jahren gestorben. Dies teilte die französische Akademie der Schönen Künste mit, deren Mitglied er war. Salgado, der sowohl die brasilianische als auch die französische Staatsbürgerschaft besaß, wurde vor allem durch seine ausdrucksstarken Schwarz-Weiß-Fotografien bekannt, die menschliche Schicksale und die Schönheit der Natur in den Mittelpunkt stellten.
Sebastião Ribeiro Salgado wurde am 8. Februar 1944 in Aimorés in der brasilianischen Provinz Minas Gerais geboren und wuchs als einziger Sohn mit sieben Schwestern auf einer großen Rinderfarm auf, deren Landfläche damals zu mehr als der Hälfte aus Regenwald bestand.
1960 musste Salgado die Heimat verlassen, um in der 185 Kilometer entfernten Stadt Vitória zwei Jahre später die schulische Oberstufe abzuschließen. Danach studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Universität von São Paulo, an der Vanderbilt University in den USA und der Universität von Paris. Den Master-Abschluss erwarb er 1967 in São Paulo. Während der brasilianischen Militärdiktatur von 1964 bis 1985 engagierte sich Salgado in der linken Oppositionsbewegung und emigrierte, als diese zunehmend in den Untergrund gedrängt wurde, 1969 nach Paris, wo er in Wirtschaftswissenschaften promovierte.
Von der Ökonomie zur Fotografie
Von 1968 bis zur Auswanderung war Salgado im brasilianischen Finanzministerium tätig. 1971 zog er nach London, um dort als Ökonom für die Investment-Abteilung der International Coffee Organization (ICO) zu arbeiten. Gemeinsame Projekte mit der Weltbank führten ihn in dieser Zeit häufig nach Afrika, wo er nebenbei zu fotografieren begann. 1973 fasste er den Entschluss, seinen erlernten Beruf aufzugeben und sich ganz der Fotografie zu widmen, die zur Leidenschaft seines Lebens wurde.

Er zog wieder nach Paris, war zunächst Freelancer, dann Mitarbeiter der Sygma-Agentur und erhielt 1975 eine Anstellung als Fotograf bei der Gamma-Agentur. 1979 trat er in die Pariser Dépendance der traditionsreichen Bildagentur Magnum Photos ein, die nach strengen Auswahlkriterien nur die besten Fotojournalisten der Welt aufnimmt.
Dort blieb er, bis er 1994 in Paris zusammen mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado eine eigene Agentur namens „Amazonas images“ für die Vermarktung seines Werkes gründete. Dieser Schritt markierte seine endgültige Abkehr vom schnelllebigen Agenturjournalismus zugunsten von Langzeitprojekten. Als Direktorin der Agentur betreut Frau Salgado auch seine Buchprojekte und Ausstellungen.
Bilder eines Attentats
Salgado hat im Lauf seiner Karriere als Fotograf mehr als 100 Länder bereist. Von Beginn an waren Armut, Flucht, Heimatlosigkeit und Krieg die Hauptmotive seiner durchgängig schwarz-weißen Fotografien. Diese zeigen das Elend der Menschen mit einem ästhetisierenden Pathos, das im modernen Fotojournalismus eher unüblich geworden ist, aber die ungeheure Wirkung seiner einprägsamen Bilder auf viele Betrachter erklärt – gerade wenn es darum geht, inmitten der Reizüberflutung durch tägliche Schreckensmeldungen der Medien die emotionale Anteilnahme wieder wachzurufen und vergessene Krisenregionen der Welt in den Fokus zu rücken.
Salgado veröffentlichte seine Fotoarbeiten zunächst in europäischen und amerikanischen Magazinen. 1981 war er bei einer Reportage über den damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan zufällig anwesend, als auf diesen am 30. März ein Attentat verübt wurde. Mit Aufnahmen hiervon wurde Salgado in den USA berühmt und verdiente so viel Geld, dass er sich nun verstärkt eigenen Projekten widmen konnte. 1986 erschienen seine ersten Fotobände, „Other Americas“ über die Armut in Lateinamerika und „Sahel: Man in Distress“, das Ergebnis eines achtzehnmonatigen Aufenthalts bei den „Ärzten ohne Grenzen“ im dürregeplagten Hungergürtel Nordafrikas.
Für die über 60 Millionen Flüchtlinge weltweit
1986 bis 1992 bereiste Salgado 23 Länder, um dem Überlebenskampf von Industriearbeitern – etwa in den Goldgruben Brasiliens, dem Eurotunnel oder an einem Staudamm in Indien – und der „allmählich verschwindenden Welt der Handarbeit“ nachzuspüren, wie es in der Einleitung zu seinem 1993 veröffentlichten Fotoband „Workers: An Archaeology of the Industrial Age“ heißt. Dieses monumentale Werk, begleitet von Ausstellungen in mehr als 60 Museen weltweit, ließ Salgado endgültig in die Liga der internationalen Top-Fotografen aufsteigen.
Sein nächstes großes Projekt, das ihn ab 1993 in 43 Länder führte, befasste sich mit dem Schicksal von Flüchtlingen. Daraus entstanden zwei Bücher, „Migrations“ und ein eigenständiges Werk über Flüchtlingskinder, „The Children“, die beide im Jahr 2000 herauskamen – deutsch als „Migranten“ und „Kinder der Migration“. Oft stellte Salgado sich und seine Arbeit auch in den Dienst internationaler Hilfsorganisationen wie UNICEF, UNHCR, WHO, Amnesty International und „Ärzte ohne Grenzen““, so etwa bei einer Fotoausstellung im New Yorker UN-Hauptquartier im Jahr 2000, für die Salgado neunzig Aufnahmen aus der „Children“-Kollektion zur Verfügung stellte.
Die Ausstellung galt den weltweit 30 Millionen Menschen ohne feste Unterkunft und diente dazu, Geld für die Kinderhilfsorganisation UNICEF zu sammeln, die Salgado seit 2001 zudem als prominenter „Botschafter des guten Willens“ (Goodwill Ambassador) unterstützt. Als das „Migrations“-Buch 2016 unter dem Titel „Exodus“ neu aufgelegt wurde, ebenso wie der Schwesterband über die Kinder, hatten seine Bilder nichts von ihrer Aktualität verloren angesichts von über 60 Millionen Flüchtlingen weltweit.
Wiederaufforstung der elterlichen Farm
2007 erschien unter dem Titel „Africa“ eine Sammlung der seit 1973 entstandenen Aufnahmen Salgados von diesem Kontinent, worin sich betörend schöne Landschaftsaufnahmen neben menschlichen Ikonen des Hungers, des Krieges und des Todes finden, was bei einigen Kommentatoren Irritationen auslöste. Da auch die Aufnahmen der Menschen – die Salgado grundsätzlich nie gegen deren Willen machte – stets präzise durchkomponiert wirken und eine eigenartige Schönheit ausstrahlen, oft verbunden mit einem Ausdruck von Demut und Ergebenheit, tauchte in der Fachkritik immer wieder der Vorwurf auf, er ästhetisiere das Elend und produziere Kitsch. Seine Fürsprecher und Bewunderer hielten dagegen, ihm gehe es gerade um Empathie und Anteilnahme bzw. auch darum, den Menschen ihre Würde zurückzugeben.

Salgado selbst hatte nach eigener Aussage in den Neunzigerjahren bei seinem Flüchtlingsprojekt, das ihn unter anderem aus nächster Nähe mit dem Völkermord in Ruanda konfrontierte, zum ersten Mal Zweifel an seiner Arbeit bekommen, sich schwere gesundheitliche Probleme zugezogen und auf ärztlichen Rat hin sogar zeitweise mit dem Fotografieren aufgehört.
Er kehrte in seine Heimat Aimorés zurück und musste feststellen, dass die Ländereien der Eltern verödet waren und nur noch zu einem halben Prozent aus Regenwald bestanden. Mit seiner Frau beschloss er, die Region wiederaufzuforsten und Spendengelder dafür einzutreiben. 1998 wurde das rund 680 Hektar große Gebiet in ein Naturschutzgebiet umgewandelt und die gemeinnützige „Instituto Terra“ ins Leben gerufen, die neben Aufforstungsprojekten auch Umweltforschung und -erziehung betreibt.
Ein „Liebesbrief an den Planeten“
Ab 2004 wandte sich der vielfach ausgezeichnete Fotograf einem neuen Mammutprojekt zu, das er „Genesis“ taufte und das ihm, wie er sagte, seine Zuversicht zurückgab. Auf über 30 Reisen sammelte er Eindrücke von unberührter Natur, von Wäldern, Meeren, Wüsten aus Sand oder Eis, den dort angesiedelten Tieren und isoliert lebenden Menschen aus ursprünglichen Kulturen. „Genesis“ sah Salgado primär als ein Wort für Anfang, ihm ging es weniger um die religiösen Konnotationen als darum, mit seinem „Liebesbrief an den Planeten“ dafür einzutreten, den noch intakten Teil der Umwelt zu schützen.
Die Buchausgabe zeiget mehr als 500 Bilder, Ausstellungen waren anschließend an verschiedenen Orten der Welt zu sehen, so in London, Paris, Singapur, New York, Barcelona, Berlin und München, Rotterdam, Budapest sowie zuletzt in Zürich.
Würdigungen eines Lebenswerks
Einen Bogen zu seinen beruflichen Anfängen als Ökonom schlug Salgado mit dem Fotoband „The Scent of a Dream“ im Jahr 2015, der das Leben auf den Kaffeeplantagen weltweit dokumentiert, darunter auch solche, die für eine nachhaltige, sozialverträgliche Produktion stehen. Ein bekannter Kaffeekonzern unterstützte dieses Projekt. Im Folgejahr erschien der Band „Kuwait“ als dreisprachige Ausgabe mit teils bisher unveröffentlichten Aufnahmen aus Salgados Bildarchiv zum verheerenden Flammeninferno nach der Bombardierung kuwaitischer Ölquellen durch den Irak im Zweiten Golfkrieg der Jahre 1990 und 1991.
Große Aufmerksamkeit wurde Salgado 2014 durch eine ihm gewidmete dokumentarische Filmbiographie des Regisseurs Wim Wenders zuteil, in der beide auch selbst auftraten. Der Titel „The Salt of the Earth“ ist ein Bibelzitat und spielt zudem auf Salgados Nachnamen an, der „salzig“ bedeutet. Sein Sohn Juliano steuerte dazu als Co-Regisseur Filmaufnahmen von gemeinsamen Expeditionen mit ihm bei. Im Oktober 2019 wurde Sebastião Salgado zum Ende der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.
An diesem Freitag ist Sebastião Salgado im Alter von 81 Jahren gestorben. Die genauen Umstände seines Todes wurden bisher nicht bekanntgegeben.
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