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Galerienrundgang in der Leipziger Spinnerei

Zwanzig Jahre erst? Gefühlt ist der Baumwollspinnerei-Rundgang schon viel länger da, so etabliert ist er als Termin, aber tatsächlich haben die heutigen Betreiber das stillgelegte Industrieareal im Leipziger Westen erst 2001 gekauft, nachdem von den viertausend Arbeitsplätzen zu Wendezeiten nur noch vierzig übrig waren. Die Still­legung der Produktion war da kein Drama mehr, zumal ein Revitalisierungsprogramm begann, das die vier Hallen und sechzehn Funktionsgebäude zu Ateliers, Galerieräumen und Ausstellungsflächen umgestaltete. Im Jahr danach zogen die ersten Galeristen ein, an ihrer Spitze Judy Lybkes Eigen + Art und mit ihr der damals aufstrebende Maler Neo Rauch, um den sich der Mythos der Neuen Leipziger Schule bilden sollte. Ende April 2005 veranstalteten die Galerien des Spinnereigeländes erstmals ihren gemeinsamen „Rundgang“. Der Rest ist (Erfolgs-)Geschichte.

Zum Jubiläum das, was den Ruhm begründete

Am vergangenen Wochenende wurde sie mit der jüngsten Ausgabe fortgeschrieben, auf der es so voll war wie nicht einmal in den Boomzeiten Leipziger Kunst vor fünfzehn Jahren. Zum Jubi­läum haben viele Galerien auf das gesetzt, was ihren Ruhm begründet hat: Figuration. Allen voran natürlich die neuen Bilder des mittlerweile fünfundsechzigjährigen Neo Rauch, der bei Eigen + Art seine erste Galerieausstellung seit 2020 bestückt hat: „Stille Reserve“ umfasst acht große und vierzehn kleine Gemälde, deren Preisspanne von 280.000 bis 1,4 Millionen Euro reicht. Diese Leipziger Spitzenposition hat Rauch indes nicht milde gestimmt – auf einem der Großformate teilt er „liebevoll“ (Rauch) gegen einen Redakteur dieser Zeitung aus, dessen 2023 vorgenommene Analyse seines Werks den Maler tief verstimmt hat.

Nur wenige Meter weiter, bei Kleindienst, auch eine Galerie der ersten Stunde auf dem Spinnereigelände, werden Aquarellbilder von Rauchs Frau Rosa Loy ausgestellt: Los geht es hier bei 2900 Euro, die größten Bilder kosten knapp 50.000. Räumlich zwischen beide Ausstellungen hat sich bei Hempel mit Hartwig Ebersbach ein Veteran der vorangegangenen Leipziger Schule geschoben: Jahrgang 1940, aber jugendlich wild im Malgestus und auf dem Weg von Figuration zu Abstraktion noch einmal ein gutes Stück vorangekommen. Als wäre hier alles von einem Bildersturm durcheinandergewirbelt worden, stehen Leinwände kreuz und quer an die Wände gelehnt, und bisweilen enthüllen Aufschriften der Rückseiten Botschaften, die man den Motiven selbst nicht abgelesen hätte.

Ähnlich verschachtelt geht es bei Reiter zu, noch ein Spinnerei-Erstbezieher, der aber mit Christian Holze einen ganz jungen Leipziger zeigt, gemeinsam mit Márton Nemes und Holzes Hamburger Lehrer Anselm Reyle – dasselbe Trio ist derzeit auch in Reiters Berliner Dependance zu sehen. Holze malt mit allen Mitteln: Farbschlieren lässt er vom Computer auf gescannte Bilder drucken, ehe er das Ganze noch einmal übermalt. Wichtiger thematischer Ausgangspunkt ist ihm die Antike in ihrer Rezeption: Werke von Raffael, Bernini und Cy Twombly werden inkorporiert, und für das lackglänzende „Something New“ hat Holze sich mit dem in Farben schwelgenden Nemes zusammengetan, der seinem orange gemalten Bernini-Kopf plastische Elemente aufmontierte, die wie riesige Tränen auf der Leinwand sitzen (22.000).

Die ganze Bandbreite der Kunst

Drei Malerinnen aus Leipzig geben über die Breite dessen, was die Kunst dieser Stadt zu bieten hat, Auskunft: gegenstandslose Farbfeldmalerei von Franziska Holstein bei ASPN, Undine Bandelins expressiv-sarkastische Gesellschaftsbilder bei The Grass is Greener und als ein Höhepunkt des Rundgangs die Altmeisterin Doris Ziegler bei Lætitia Gorsy. Da gibt es neben schonungslosen Selbstporträts das menschenleere Breitwandgemälde „Terra familiaris“ von 2010 zu bestaunen – diese Galeriepräsentation ist eine Werkschau von musealem Rang.

Und Kunst von außerhalb? Aus der diesjährigen Kulturhauptstadt Chemnitz hat Jan Kummer bei Thaler originelle Hinterglasmalerei und Holzarchitekturmodelle mitgebracht – wahrhaft Komische Kunst. Aber alles beim Rundgang überstrahlt an Witz die Installation „Prägung“ des jungen Offenbachers Max Brück in der Galerie b2: eine raumfüllende Recyclinganlage, die Altkleider zerkleinert, um die Fetzen dann in einer Presse mittels zugefügtem Leim zu tellergroßen Scheiben zu verdichten, die dann in einer Dreißiger-Auflage für jeweils 300 Euro zu kaufen sind. Am kommenden Samstag, dem 17. Mai, soll Brücks Maschine noch einmal tätig werden. Das darf man nicht verpassen.

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