#Die große Feier
„Die große Feier“
Es war eine kalte Nacht in Washington. Bruce Springsteen trat in einen Lichtkreis vor den Stufen des dramatisch beleuchteten Lincoln Memorials und fror. Tom Hanks stand auf den Stufen über ihm, trug Handschuhe und fror offensichtlich auch. Präsident Biden blieb später drinnen, plaziert neben Lincolns Statue, die an diesem Abend aus dem Hintergrund heraus über allem thronte, und beschwor noch einmal die Einheit und den historischen Augenblick. War er wirklich da, als wir ihn sahen? Oder war er früher dagewesen, zu einem Zeitpunkt, als es noch nicht ganz so kalt war? Er fror jedenfalls offenbar nicht.
Es war die Nacht seiner Amtseinführung. In normalen Jahren eine Nacht der Bälle mit begrenztem Zutritt, nur auf Einladung, die auch für viel Geld zu haben ist. Dieses Mal, geschuldet der Gefahr von Anschlägen wie Ansteckung: ein Fernsehereignis. Eines, das während der Übertragung überhaupt erst entstand, ähnlich dem digitalen Parteitag der Demokraten im Sommer und inszeniert von derselben Firma in einer Mischung aus vorproduzierten Clips, die teilweise aufeinander bezogen waren, mit gutgelaunten Musikern aus dem ganzen Land, die live oder nicht von leeren Straßen, auf leeren Brücken, aus leeren Theatern, von Stränden und Bergen, mit Sonne oder Schnee zugeschaltet wurden. Dazu Einspieler von Aufzeichnungen vom selben Tag zu anderer Zeit, am selben Ort oder anderswo, alles kulminierend in einem gewaltigen Feuerwerk, dem Kamala Harris und ihr Mann draußen unter Lincolns Memorial in gebührendem Abstand von Katy Perry folgten, und die Familie Biden im Weißen Haus, wo ebenfalls eine Kamera plaziert war, die aufzeichnete, dass Joe ein Enkelbaby auf dem Arm hatte, die Kinder tanzten und dazu der Fernseher lief, der ihnen zeigte, was auch wir sahen, abzüglich sich selbst. Natürlich sang Katy Perry in offenbar viellagigem weißen Kostüm vor den Lichtstelen, die den spiegelnden Pool bis zum Kapitol rahmten, ihren Song „Fireworks“, und offenbar live.
„Celebrating America“ war der Abend überschrieben. Eine Selbstfeier der besonderen Art, voller Pathos, natürlich, und losgelöst von Raum und Zeit. Mit Unterstützung Hollywoods, das sich auf diese Weise eindrucksvoll auf der Bühne politischer Symbolik zurückmeldete, wurde zweierlei gefeiert: die Amtseinführung von Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris und der amerikanische Geist der Nachbarschaftshilfe. Alltagshelden, wie es gern heißt, wenn engagierte Bürger einander zur Seite stehen und ausbügeln, was der Staat versäumt hat, und schlechtbezahlte Menschen gemeint sind, die den Laden am Laufen halten. Die Alltagshelden am Mittwochabend waren Paketausfahrer, Soldaten, Krankenpfleger, Lehrer, die Astronauten der Raumstation ISS, Kinder, die Carepakete für Menschen nebenan packen, ein Junge, der in einem Reservat in North Dakota medizinische Hilfsmittel verteilt, ein Koch, der für hungernde Amerikaner kocht. „Hunger“, sagte Tom Hanks, „ist eine Realität in Amerika.“ War es zu diesem Zeitpunkt, dass Jon Bon Jovi mit seiner Band ins Bild kam und gutgelaunt „Here Comes the Sun“ auf einer Plattform im Meer bei Miami sang? Oder waren es Justin Timberlake und Ant Clemons mit „Better Days Are Here to Come“ aus Memphis? All dies belegte jedenfalls, was Joe Biden in seiner ersten Rede als 46. amerikanischer Präsident mittags gesagt hatte: „Wir sind gute Leute“. Auch da war es kalt gewesen.
Am Abend war die Kälte in Washington das einzige Merkmal von Wirklichkeit. Nur das Wetter bewies die Einheit von Ort und Zeit, nur wenn sie froren, konnte man sicher sein, die Menschen waren tatsächlich da, wo auch Joe Biden und Kamala Harris waren, die Lincoln-Statue und Tom Hanks. John Legend zum Beispiel am Flügel neben dem Pool. Aber wann hatte Kamala Harris an selber Stelle gesagt, dieser Ort, an dem auch Dr. King einst stand, bezeuge den Ehrgeiz Amerikas, für Gerechtigkeit zu sorgen, wirtschaftlich und zwischen den Rassen, wie es im Englischen heißt? Zuvor hatten die drei ehemaligen Präsidenten Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama miserabel ausgeleuchtet in der Rotunde zusammengestanden, und ihrerseits bei aller politischem Diskrepanz die Möglichkeit einer geeinten Nation beschworen. Standen sie tatsächlich da? Wann? Oder waren dorthin gebeamt worden und niemals gemeinsam dort gewesen?
Eines der großen Themen von Joe Biden bei seiner Rede nach dem Eid war die Gefahr von „Fake News“, der Vermengung von Fakten und Fiktion. Die Feier am Abend bewies die nahezu unbegrenzten Möglichkeiten der Manipulation.
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